Interview

Angst vor steigenden Kosten in der Krisenzeit: "Von der Gefühlslage her ist es zu viel"

Viele Menschen sorgen sich vor den steigenden Kosten - und geben dem Staat die Schuld. Wie es um die Demokratie steht und warum sie mehr als ein Dienstleister ist.
Markus Lohmüller |
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Teilnehmer einer Demo des Bündnisses "Bewegung Halle" ziehen durch Halle/Saale. Mit dabei ein Banner mit der Aufschrift: "Wir frieren nicht für eure Politik!"
Teilnehmer einer Demo des Bündnisses "Bewegung Halle" ziehen durch Halle/Saale. Mit dabei ein Banner mit der Aufschrift: "Wir frieren nicht für eure Politik!" © Hendrik Schmidt/dpa

AZ-Interview mit Ursula Münch: Sie ist seit 2011 Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Zuvor war sie Professorin für Politikwissenschaft und Dekanin der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr München.

AZ: Frau Münch, eine Umfrage nach der anderen belegt es: In Deutschland nimmt das Vertrauen in die Demokratie ab. Wie ernst ist die Lage?
Ursula Münch:
Natürlich muss man das ernst nehmen. Erst zum Tag der Deutschen Einheit hat der Ostbeauftragte der Bundesregierung eine Umfrage mit dramatischen Ergebnissen vorgelegt: Demnach sind nur etwa 39 Prozent der Ostdeutschen mit der Demokratie hierzulande zufrieden. Im Westen sind es 59 Prozent. Wir sollten aber nicht nur darüber reden, dass ein Teil der Bevölkerung unzufrieden ist. Wenn wir die öffentliche Wahrnehmung zu sehr auf die Unzufriedenen fokussieren, verstärken wir das Problem letztlich nur.

Ursula Münch
Ursula Münch © abp Tutzing

Wie erklären Sie sich die größere Unzufriedenheit im Osten?
In den ostdeutschen Ländern mischt sich die Unzufriedenheit über die eigenen Lebensumstände schnell mit einer kategorischen Kritik am politischen System. Das lässt sich seit der deutschen Vereinigung beobachten, als viele Erwartungen zunächst enttäuscht wurden. Die von Bundeskanzler Helmut Kohl versprochenen "blühenden Landschaften" ließen lange auf sich warten. Stattdessen erlebten viele Menschen massive Einschnitte in ihr Leben. Das scheint bis heute eine offene Wunde zu sein.

"Wir werden auch diese Krise überstehen"

Eine Wunde, in die jetzt wieder Salz gestreut wird.
Aber nicht nur durch die aktuellen Krisen. Seit geraumer Zeit gibt es Leute in der ostdeutschen Politik, allen voran in der AfD, die die vorhandene Unzufriedenheit ständig noch aus eigennützigen Motiven befördern. Die das Gefühl verstärken, dass man Bürger zweiter Klasse sei. Die immer wieder darauf hinweisen, dass man weniger verdiene - und dabei die geringeren Lebenshaltungskosten verschweigen. Die erwähnte Umfrage zeigt allerdings auch, dass in ganz Deutschland vor allem die Menschen unzufrieden sind, die über weniger Geld und weniger Bildung verfügen und zudem noch in dünn besiedelten Gegenden mit schlechter Infrastruktur leben. Und solche Gegenden gibt es eben im Osten nach wie vor mehr als im Westen.

Seit Jahren befindet sich das Land in einer Art Dauerkrise. Auf Finanz-, Euro- und Migrationskrise folgte die Corona-Pandemie. Jetzt sind es der Krieg in der Ukraine und seine Folgen, die uns beschäftigen. Die Proteste gegen die Energiepolitik versprechen einen "heißen Herbst". Ist das nun womöglich die eine Krise zu viel?
So würde ich das nicht sagen. Wir werden auch diese Krise überstehen. Aber natürlich ist es von der eigenen Gefühlslage her zu viel. Das geht jedem so. Garantiert auch den politisch Verantwortlichen, die sich die aktuellen Krisen ebenfalls nicht gewünscht haben. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass das keine vom Westen, von deutschen Politikern gemachten Krisen sind. Gerade der Krieg in der Ukraine ist ein externer Schock. Natürlich kann man jetzt neunmalklug sagen, wir hätten schon früher unsere Energielieferungen diversifizieren müssen. Aber es ist müßig, sich jetzt darüber zu streiten. Im Großen und Ganzen und im Vergleich zu anderen Industriestaaten sind wir in einer komfortablen Ausgangslage und können viele Belastungen finanziell abfangen.

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"Der Weg zu Entlastungen führt zwangsläufig über ein politisches Ringen"

Die Ängste sind trotzdem groß.
Die gesamtwirtschaftliche Stärke und der haushaltspolitische Spielraum Deutschlands helfen dem Einzelnen natürlich nichts, wenn er seine Strom- oder Gasrechnung nicht mehr bezahlen kann. Viele werden Unterstützung brauchen, aber nicht alle. Man kann deshalb nicht einfach mit der Gießkanne darüber gehen. Und damit sind wir beim Problem: Wenn die vorhandenen Mittel gerecht verteilt werden sollen, dann ist Schluss mit "unbürokratischen Lösungen". Dann müssen schwierige politische Entscheidungen getroffen werden. Aufgrund unserer Datenschutzregeln und föderaler Abstufungen weiß der Staat nicht, an wen er das Geld überweisen soll. Der Weg zu Entlastungen führt zwangsläufig über ein politisches Ringen. Das mag nicht immer sofort zur Beruhigung beitragen.

Ein wiederkehrender Vorwurf lautet, dass die Politik an den Interessen der Bevölkerung vorbeiregiert.
Das hört sich einfach an: die Interessen der Bevölkerung wahrnehmen. Tatsächlich hat die Bevölkerung aber keine einheitlichen Interessen. Sie hängen davon ab, ob ich eine Bäckerei am Laufen halten muss oder ob ich in dieser meine Semmeln kaufe. Ob ich als alleinerziehende Mutter mit einem kleinen Einkommen drei Kinder ernähren muss oder ob ich meinen Pool vielleicht nicht mehr heizen kann. Hinzu kommen weitere Zielkonflikte: Es darf jetzt nicht nur darum gehen, den Leuten die Energiekosten zu ersetzen; wir müssen auch Energie sparen - nicht nur wegen Putin. Denn wir haben ein noch größeres Problem als den Ukraine-Krieg und das ist der Klimawandel. So einfach ist das mit den Interessen der Bevölkerung also nicht.

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Haben wir zu lange geglaubt, dass wir ohne Zumutungen unseren Lebensstil behalten können?
Für Ostdeutschland trifft das garantiert nicht zu. Hier gab es gerade in der Zeit nach der Wiedervereinigung verdammt viele Zumutungen. Aber natürlich: In einem großen Teil der Republik hat man bisher sehr behaglich gelebt. Und die Volksparteien haben den Leuten im Grunde suggeriert, dass es mit ein paar kleinen Anpassungen hier und dort so weitergeht. Wenn die Anpassungen zu groß geworden sind, haben wir Bürger uns gleich gerächt. Das weiß vor allem die SPD aus tiefer Traumatisierung heraus. Die Hartz-IV-Gesetze belasteten die eigene Klientel und die Rache folgte bei den Wahlen. Die wenigsten von uns waren bisher bereit, Zumutungen hinzunehmen. Gleichzeitig muss man aber auch sehen, dass es Teile der Bevölkerung gibt, für die jede weitere Zumutung tatsächlich zu viel ist.

Auch die Medien stehen vermehrt in der Kritik. Oftmals wird die Berichterstattung als einseitig und unkritisch empfunden. Trägt der sogenannte Mainstream-Journalismus Mitschuld am Vertrauensverlust?
Wir haben eine pluralistische Medienlandschaft. Den Mainstream-Journalismus gibt es nicht - beziehungsweise nur in der Propaganda der AfD. Natürlich ist es ein Problem, dass in den Medien eher Leute arbeiten, denen es finanziell gut geht, die besser gebildet sind als der Durchschnitt und die oft in Städten wohnen. Dadurch fällt es ihnen vielleicht manchmal schwer, alle Teile der Bevölkerung im Blick zu behalten. Aber ich verwahre mich dann schon gegen den Eindruck, es werde nur noch einseitig berichtet. Die Medien werden im Großen und Ganzen ihrer Aufgabe gerecht und entlarven Fehlverhalten in der Politik und im öffentlichen Leben.

Und dennoch entsteht oft der gegenteilige Eindruck.
Das mag auch daran liegen, dass sich viele Leute nicht mehr wirklich mit den verschiedenen Medien auseinandersetzen. Statt auf Tageszeitungen greift man auf die sogenannten Sozialen Medien zurück - und übersieht dabei, dass auf digitalen Plattformen jeder Falschnachrichten und Lügen in die Welt posaunen kann. Wenn man diese Inhalte dann bei den seriösen Medien vermisst, hat das den guten Grund, dass dort redaktionell sorgfältig gearbeitet und nicht jeder Mist unter die Leute gebracht wird.

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"Diesen Unfug darf man nicht aussitzen"

Die Milliardenpakete der Bundesregierung sollen nicht zuletzt auch den sozialen Frieden sichern und das Vertrauen in die Politik erhalten. Geht die Rechnung auf?
Es gibt einen Teil der Bevölkerung, der den Staat als reine Dienstleistungsorganisation betrachtet. Der Staat muss für sie die höheren Energiekosten und die pandemiebedingten Kosten ausgleichen; schafft er das nicht, taugt er nichts. Aber natürlich ist eine freiheitliche Demokratie wesentlich mehr. Es geht nicht nur um materielle Sicherheit, sondern auch um die Wahrung von Freiheitsrechten. Wer das nicht begreift, neigt schnell dazu, aus materieller Unzufriedenheit heraus Rundumschläge gegen die Demokratie und das sogenannte Establishment zu schleudern.

Was wir in der Tat wieder erleben.
Der Unmut wird im Moment ganz stark lanciert. Es gibt Institutionen und Akteure innerhalb, aber vor allem auch außerhalb Deutschlands, die an nichts mehr Interesse haben, als genau die Mär zu verbreiten, der Staat sei nicht handlungsfähig, die einfachen Leute würden nicht gehört und ihnen werde nicht geholfen. Diesen Unfug darf man nicht aussitzen. Denn die Wirklichkeit ist eine andere: Wozu werden ansonsten all die Pakete geschnürt, all die Abwägungen getroffen, auch all die Fehler gemacht und wieder revidiert, um einigermaßen gut durch diese Krise zu kommen? Es gibt keine idealen Lösungen. Irgendwer wird sich immer benachteiligt fühlen. Aber es gibt insgesamt ein stetes Bemühen um das Wohl aller.

Geld allein reicht also nicht. Was kann die Politik noch machen, um wieder mehr Vertrauen in die Demokratie herzustellen?
In dieser Woche erreichte uns die Nachricht vom zu frühen Tod der CSU-Politikerin Barbara Stamm. Sie hat das gelebt, was alle Politiker machen müssen: nicht nur Botschaften verbreiten, sondern mit den Leuten reden. Dafür haben wir große Parlamente. Es ist die Aufgabe von Abgeordneten, Maßnahmen zu erklären und den Leuten zuzuhören. Es ist aber auch die Aufgabe von Parteien, von jedem Parteimitglied, um Verständnis zu werben, sich zu streiten und sich nicht wegzuducken. Aber das Zugehen auf die Leute wird den Politikern unheimlich schwer gemacht, wenn sie von einem kleinen, aber lauten Teil der Bevölkerung ständig beschimpft, verleumdet und sogar bedroht werden. Da kommen wir in einen gefährlichen Teufelskreis. Es ist in unser aller Interesse, diese Schreihälse in die Schranken zu weisen. Es ist eine Bürgeraufgabe, deutlich zu machen, dass wir für die Demokratie einstehen und uns deshalb nicht alles gefallen lassen.

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4 Kommentare
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  • am 09.10.2022 12:34 Uhr / Bewertung:

    Friert ihr für die Ukraine?
    Hungert ihr auch für Afrika?
    Zahlt ihr für Italien?
    Arbeitet ihr für die ganze Welt?

  • Knoedel am 09.10.2022 11:08 Uhr / Bewertung:

    Man darf aber auch nicht vergessen, das wir jahrzehntelang auf der Überholspur gelebt haben. Zumindest die meissten. Z.B. nur zum Baden um die Welt fliegen, oder das wir durch Völlerei an Wohlstandskrankheiten leiden etc. Da gibt es noch zig andere Beispiele. Wir haben auch die Rohstoffe anderer Länder ausgebeutet und in menschenunwürdigen Billiglohnländern produzieren lassen. Da fällt es natürlich schwer sich etwas einzuschränken. Man kann ja wieder mal öfter Kartoffeln kochen, anstatt sich den Homeservice zu gönnen. Ich weiss, das man mit der Wahrheit aneckt, aber es ist halt die Realität.

  • FFF-Nein Danke am 09.10.2022 09:22 Uhr / Bewertung:

    Solange die Regierung unsere Steuergelder in andere Länder verteilt, und die Probleme in Deutschland nicht sieht, wird der Unmut und das Vertrauen in die Regierung immer größer werden.

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