Alljährliche Prozedur: Kreuther Putschgerüchte

In der geschwächten Partei herrscht höchste Nervosität. An Seehofer traut sich noch keiner ran – aber Markus Söder könnte den Angriffauf die Fraktionsspitze im Landtag wagen
von  Abendzeitung
Er fühlt sich gerade mächtig stark - Umweltminister Markus Söder
Er fühlt sich gerade mächtig stark - Umweltminister Markus Söder © dpa

In der geschwächten Partei herrscht höchste Nervosität. An Seehofer traut sich noch keiner ran – aber Markus Söder könnte den Angriffauf die Fraktionsspitze im Landtag wagen

Eigentlich ist es jedes Jahr die gleiche Prozedur: Die Republik soll erschaudern, Bundeskanzlerin Angela Merkel sich fürchten, wenn die CSU an Heiligdreikönig in einem kleinen verschneiten Tal hoch hinterm Tegernsee für ein paar Tage den gefährlichen bayerischen Löwen spielt. Doch diese Welt ist in Wildbad Kreuth aus den Fugen geraten. Waren dort die Rollen jahrzehntelang genau verteilt, beim „Wer hat Angst vorm Kreuther Geist?“, geht jetzt alles durcheinander: Während Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin regieren kann, muss vor malerischer Bergkulisse inzwischen die CSU zittern und sich fürchten – vor allem vor sich selbst. Schon geht wieder das Gerücht vom Putsch um. So wie 2007, als die Partei in Kreuth Stoiber davon gejagt hat.

Diesmal könnte es sich zumindest um ein „Putscherl“ handeln – allerdings mit gravierenden Auswirkungen. An Horst Seehofer traut sich noch keiner ran. Auch wenn vergangene Woche ein paar Bundestagsabgeordnete die Weichen stellen wollten für Karl-Theodor zu Guttenberg. Doch der ist derzeit mit seiner Verteidigung als Bundesverteidigungsminister voll ausgelastet. So geht Seehofers Strategie voll auf: Wer am Hindukusch gebunden ist, kann im Kreuther Bergkessel nichts ausrichten.

Ein Bauernopfer aber bietet sich an: Der Chef der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, Georg Schmid. Nach Seehofer der zweitwichtigste Mann. Sein Nachfolger steht schon parat: Umweltminister Markus Söder will nach Informationen der AZ an die Fraktionsspitze wechseln. Aber auch er ist in der Fraktion umstritten. Vor allem im Vorstand. Dort fürchtet man, wenn Schmid fällt, fallen alle anderen 21 Mitglieder im Fraktionsvorstand auch.

Den Segen von führenden CSU-Politikern hat Söder sich schon geholt. Damit wäre der Franke auch als künftiger Ministerpräsident nicht mehr zu bremsen – wenn er das Vertrauen der Abgeordneten gewinnen kann.

Doch so einfach ist der Putsch nicht. Die Geschäftsordnung der CSU-Fraktion sieht keine Abwahl ihres Chefs vor.

Am Mittwoch um 18 Uhr kommt Georg Schmid nach Kreuth zum Gespräch mit den CSU-Bundestagsabgeordneten. Die sind nach der desaströsen Wahl auf nur noch 45 Volksvertreter geschrumpft. Sie würden auch unten in Kreuth im Hotel zur Post unterkommen. Für ihren neuen Fraktionschef Hans-Peter Friedrich ist es das erste Kreuth. Für seinen Landtags-Kollegen Georg Schmid könnte es das letzte werden.

Bei der Landesgruppe wird es für den geschüttelten Schorsch nochmal ein netter Abend. CSU-Chef Horst Seehofer gibt seinen politischen Bericht. Alle werden zusammenstehen, sich gegenseitig Rückendeckung versichern, vor den Kameras christsoziale Harmonie verbreiten. So wie es im Fußball üblich ist, kurz vor dem Trainerwechsel.

Ernst wird’s erst, wenn die Berliner Landesgruppe am Wochenende aus dem sonnengelben Tagungsschloss wieder abreist und am Montag die 92 Mitglieder der Münchner Landtagsfraktion anreisen.

Sie werden mit einem Donnerwetter begrüßt. Pünktlich zu ihrer Klausur kommt eine Umfrage des BR zur CSU. In der sieht sich die Partei unter 40 Prozent. Das kann für Revolutions-Stimmung sorgen.

Schon lange herrscht Unzufriedenheit mit dem jovialen Schmid, der selber gerne Ministerpräsident werden wollte, aber Seehofer den Vortritt lassen musste. Vor allem Führungsschwäche wird dem 55-Jährigen vorgeworfen. Bisher konnte der Schwabe sich nur halten, weil Seehofer ihn nicht mag. Das schweißt die Fraktion zusammen. Vom Ministerpräsidenten wollen sie sich ihren Chef nicht wegschießen lassen. Inzwischen sind Schmids Anhänger mürbe. Die Affäre um die BayernLB, in deren Verwaltungsrat er saß, hat ihn geschwächt.

Söder ist bis Mittwoch im Skiurlaub, schickt SMS und telefoniert, um seine Truppen zu sammeln. In Kreuth wird er in Lauerstellung gehen. Abwarten, wie explosiv die Stimmung ist, und wie hoch der Druck auf Schmid wird. Das ist Söders Taktik. Wird der ungeliebte Fraktionschef am Ende das Handtuch werfen, wie einst Stoiber? Die S-Frage: Schmid oder Söder? In der CSU heißt es: „In Kreuth ist inzwischen alles möglich oder auch nicht.“

Angela Böhm

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.