Alleinherrscher in der Teufelsrunde
MÜNCHEN - Er hält sich für den besten Zocker weit und breit, doch das macht Horst Seehofer vor dem CSU-Parteitag nicht gelassen. Trotz einiger Erfolge verbreitet der CSU-Chef Angst und Schrecken
Sie ist nur was für Zocker. Die Nerven wie Drahtseile haben und zu höchstem Risiko bereit sind beim Schafkopf, dem liebsten Kartenspiel der Bayern. Die „Teufelsrunde“! Bei dieser Spezial-Variante darf nur Solo gespielt werden. Der Spieler kennt die Hälfte seiner Karten noch nicht und muss schon sagen, was er macht. Er kann nun entweder Schwein haben und die richtigen Karten bekommen. Oder er versucht, aus nichts trotzdem was zu machen. CSU-Chef Horst Seehofer hat die „Teufelsrunde“ eingeführt – auch in der Politik, behauptet Landtagspräsidentin Barbara Stamm, seine CSU-Vize, in ihrer Rede zu Seehofers 60. Geburtstag.
Der bayerische Ministerpräsident ist ein Zocker auf Teufel komm raus. Dabei fühlt er sich allen überlegen, als einer, der immer noch einen Trumpf in der Hand hält. Weil aber selbst nicht alle Schafkopfer die „Teufelsrunde“ kennen, sattelt er in seinen Gesprächen lieber auf Schach um. Weil da nichts dem Zufall überlassen ist. Es kommt ganz allein auf das Können an. Er habe alle Schachcomputer zuhause, verkündete Seehofer kürzlich. Natürlich auch „Mephisto“. Womit wir wieder beim Teuflischen wären.
„Ich bin ein Schachspieler“, sagt der CSU-Chef derzeit bei jeder Gelegenheit, und: „Die anderen spielen ja alle nur Mühle.“ Damit meint er auch die in der CSU. Sie aber müssen Seehofer am Samstag auf dem Parteitag in Nürnberg wieder zu ihrem König küren – mit einem ordentlichen Ergebnis. Ob sie ihn wollen oder nicht. Seehofer weiß, dass ihm die CSU ausgeliefert ist. 90,34 Prozent der Delegierten haben 2008 für ihn gestimmt. Das ist seine Marke.
Er ist der Quelle-Retter und der Guttenberg-Entdecker
Eigentlich müsste er nach seinem ersten Jahr an der CSU-Spitze super drauf sein. Er hat der Partei ihren Stolz zurückgegeben: In Berlin ist sie wieder auf Augenhöhe mit der CDU und der Kanzlerin. Die Themen setzt Seehofer: Er führt einen Operettenkrieg gegen die CDU in Sachen Europa. Nervt die Schwesterpartei mit einem festen Termin für Steuersenkungen, obwohl die Mehrheit der Wähler eh nicht dran glaubt. Bei der Europawahl hat er die CSU wieder zu 48,1 Prozent geführt. Für die Quelle-Mitarbeiter ist er der Retter. Seine größte Leistung aber: Er hat Karl-Theodor zu Guttenberg entdeckt, der für die Union zum Wähler-Magnet wird.
Die „Sizilianische Eröffnung“, von der Seehofer beim Schach so schwärmt, weil sie zu einem scharfen, komplizierten Kampf führt, ist ihm in der Politik perfekt gelungen. Kein Grund zur Sorge also. Doch Seehofer ist derzeit so dünnhäutig wie einst sein Vorvorvorgänger Max Streibl, bevor der wegen der Amigo-Affären davongejagt wurde. Die Journalisten beschimpft er als Märchenschreiber. Von der SZ fühlt er sich unsauber dargestellt und lästert nun über deren Chefredakteur. Über „Focus“ zieht er her, weil da stand: „Seehofer hat keine Freunde.“ Seine Heimatzeitung „Donaukurier“ macht er schlecht, weil die schrieb: „Seehofer ist ein Populist.“ Die „Bunte“, die sein Doppelleben aufdeckte, sieht er als Staatsfeind Nummer eins.
Nicht mal zu seiner Frau Karin hat Seehofer da noch Vertrauen. Als die beim Sommerempfang in Schloss Schleißheim ungezwungen mit der AZ-Landtagskorrespondentin plaudert, packt er Karin am Arm und zerrt sie lautstark weg: „Mit allen anderen, aber mit der redest du nicht.“
Nicht mal seiner eigenen Frau vertraut er
Dabei ist es nicht nur sein privates Doppelleben, das ihm zu schaffen macht. Vor allem Guttenberg vermiest ihm die Laune. Der Baron bekommt von Bürgern und Presse das, wonach Seehofer so süchtig ist: Anerkennung! Deshalb lässt der Ministerpräsident nun den Chef raushängen und offenbart menschliche Defizite. Seinen Bürochef Gerhard Reichel ließ er feuern. Zuvor hatte er mit ihm noch die Morgenbesprechung abgehalten und dem Beamten keinen Ton vom Rauswurf verraten.
Dem braven Innenstaatssekretär Bernd Weiß, der sich schriftlich entschuldigt hatte und 45 Minuten früher die Regierungsrunde verlassen musste, drohte er mit Rauswurf. Aber erst, als Weiß schon weg war. Seiner Wirtschaftsstaatssekretärin Katja Kessel (FDP) verbietet er eine Delegations-Reise nach Brasilien, obwohl alle Flüge und Hotels schon bezahlt sind – sie hätte sonst am Dienstag im Kabinett gefehlt.
Kann er in dem Zustand einen Derblecker vertragen?
Seehofer versucht, Angst und Schrecken zu verbreiten. Auch in der Landesleitung herrscht das Zittern, ob man ja alles richtig macht, um einen Gute-Laune-Parteitag für Seehofer zu inszenieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel muss gefeiert werden, weil sie heute, am Tag ihrer Rede vor der CSU, 55. Geburtstag hat. Am Abend sollen die Delegierten dann auch noch Seehofers 60.Geburtstag nachfeiern. Mit einem Überraschungsgast: der Kabarettist Wolfgang Krebs, der die Dreifaltigkeit Seehofer, Stoiber und Beckstein doubelt und Bundeskanzlerin Angela Merkel noch dazu, soll für große Fröhlichkeit sorgen.
Zwischendurch bekamen die Organisatoren Zweifel, überlegten gar, ob sie Krebs wieder ausladen sollten. Der hatte nämlich beim Mediensommerfest von Sozialministerin Christine Haderthauer einen fulminanten Auftritt in der Szenerie einer Supermarktkasse: Als Stoiber diskutierte er mit einer Kassiererin die EU-Verpackungsordnung. Als Beckstein brachte er die „Rabattmarken von der Marga“. Als Seehofer schmachtete er die Dame an: „Sie schauen aber gut aus, haben Sie heute schon was vor?“
Ob Seehofer in seiner derzeitigen Gemütslage ein Derblecken verkraften kann? Ein Spiel steht jedenfalls nicht auf seiner Liste: „Mensch ärgere dich nicht“.
Angela Böhm