Alle gegen Tsipras und sein Reformpaket

Geschlossene Geschäfte, von Traktoren blockierte Straßen, gestrichene Flüge und Massendemonstrationen im ganzen Land: Derart umfangreiche Proteste hat Griechenland seit Ausbruch der Krise nicht gesehen. Nach Schätzungen der Gewerkschaften gingen gestern mehrere Hunderttausend Menschen auf die Straßen, um gegen ein weiteres Reformprogramm der Links-Rechts-Regierung von Alexis Tsipras zu protestieren.
Kaum ein Wirtschaftsbereich, der nicht bestreikt wurde. Rechtsanwälte und Ärzte legten die Arbeit ebenso nieder wie Lehrer und Staatsdiener. Selbst die gelben Taxis, die sonst das Athener Stadtbild prägen, fuhren nicht. Auch die Pforten der Akropolis und des Archäologischen Museums von Athen blieben geschlossen.
Was all diese Menschen im Protest vereint, ist ein neues gewaltiges Sparpaket in Höhe von 1,8 Milliarden Euro, zu dem Griechenland sich gegenüber seinen Gläubigern verpflichtet hat. Mit den vorgesehenen Sparmaßnahmen sowie massiven Steuererhöhungen und Rentenkürzungen soll das marode Rentensystem des Landes gerettet werden; auch sind die Maßnahmen Voraussetzung für weitere finanzielle Hilfen der Geldgeber.
„Dass Griechenland so viel Geld zur Rettung seiner Rentenkassen benötigt, ist rein rechnerisch Fakt“, erklärt Panagiotis Petrakis, Professor für Wirtschaft an der Universität Athen. „Im Laufe der Krise haben die Menschen 25 Prozent ihrer Einkommen eingebüßt, hinzu kommt die hohe Arbeitslosigkeit. So wird viel weniger eingezahlt und es klaffen immer größere Löcher in den Rentenkassen.“
Der Teufelskreis sei, dass die Menschen ausgerechnet jetzt in der Krise noch höhere Steuern, Abgaben und auch Rentenbeiträge zahlen sollten. Etwa die Landwirte: Für sie sollen sich die Beiträge innerhalb der nächsten zwei Jahre von 7 auf 20 Prozent fast verdreifachen.
Im Teufelskreis befindet sich auch die Entwicklung der griechischen Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit liegt mittlerweile bei rund 26 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit beträgt sogar fast 49 Prozent.
Die Krise fördert Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft
Junge Leute, die in Cafés und Bars arbeiten, erhalten symbolische fünf Euro Lohn am Tag und sind auf Trinkgelder angewiesen. Versteuert wird solches Geld nicht. Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft haben während der Krise auf mehr als 22 Prozent zugelegt und sorgen dafür, dass der Staat noch weniger Geld einnimmt.
Dass nun ausgerechnet Alexis Tsipras die Wut der Menschen zu spüren bekommt, darf nicht weiter verwundern. Zu gut sind etwa den Landwirten die Fernsehbilder von vor zwei Jahren im Gedächtnis, als der linke Politiker sich auf einem Traktor sitzend präsentierte und versprach, den Agrarsektor nicht zusätzlich zu belasten.
Dennoch muss das aktuelle Reformpaket verabschiedet werden, wenn das Land weiterhin Geld erhalten soll. Hier aber steht Tsipras vor einem zusätzlichen Problem: Im griechischen Parlament mit seinen 300 Sitzen verfügt er lediglich über die knappe Mehrheit von drei Mandaten. Je stärker die Proteste der Menschen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es Abweichler geben wird.
Statt politischer Stabilität, die das Land so dringend bräuchte, wird deshalb bereits spekuliert, dass Regierungschef Tsipras erneut Neuwahlen ausrufen könnte (AZ berichtete). Eine weitere Option für den Syriza-Chef wäre, sich unter den kleinen Parteien im Parlament Verbündete zu suchen.