"Akzeptanz braucht eine Perspektive": Wie die Landwirtschaft von morgen aussehen muss

Was läuft falsch in der Agrarpolitik? Wohin müsste die Reise gehen? Felix Prinz zu Löwenstein fordert im AZ-Gespräch einen radikalen Umbau.
Martin Balle, Natalie Kettinger, Natascha Probst |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Der promovierte Agrarwissenschaftler (*1954), Öko-Landwirt und Autor war u.a. Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft und Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft. Foto: Sigi Müller
Der promovierte Agrarwissenschaftler (*1954), Öko-Landwirt und Autor war u.a. Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft und Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft. Foto: Sigi Müller

Der promovierte Agrarwissenschaftler, Öko-Landwirt und Autor Felix Prinz zu Löwenstein (*1954) war unter anderem Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft und Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft. Im Gespräch mit der AZ berichtet er von seinen Vorstellungen einer Landwirtschaft der Zukunft.

AZ: Herr zu Löwenstein, wie oft haben Sie in den vergangenen Wochen demonstriert?
Felix Prinz zu Löwenstein: Am Samstag war ich auf der "Wir haben es satt!"-Demo in Berlin. Seit zehn Jahren demonstrieren wir gegen eine agrarindustriell bestimmte und für eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft.

Ihre "konventionellen" Kollegen gehen gegen das Abschmelzen der Subventionen auf Agrardiesel auf die Straßen. Ist das wirklich der springende Punkt?
Die Bauern haben ja schon 2019 demonstriert, damals fuhren auch schon große Mengen an Traktoren nach Berlin. Der Agrardiesel war jetzt einfach wieder ein Auslöser. Es gärt schon breiter und länger - vor allem wegen der enormen bürokratischen Last. Wenn man Bauern fragt, was sie am meisten quält, sagen sie: "Ich wache in der Früh auf und schon wieder ist eine neue Sau durchs Dorf getrieben worden." Das ist ein Vorwurf, den sich die Politik gefallen lassen muss.

Der promovierte Agrarwissenschaftler (*1954), Öko-Landwirt und Autor war u.a. Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft und Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft. Foto: Sigi Müller
Der promovierte Agrarwissenschaftler (*1954), Öko-Landwirt und Autor war u.a. Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft und Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft. Foto: Sigi Müller

Sie haben mal gesagt: "So wie wir uns heute ernähren und unsere Nahrung erzeugen, kann es nicht weitergehen." Was muss sich denn ändern?
Wenn der Normalfall - die konventionelle Landwirtschaft - weitergeht, führt das dazu, dass wir die Produktionsvoraussetzungen selbst vernichten: die biologische Vielfalt, die Qualität des Wassers, ein stabiles Klima, die Fruchtbarkeit der Böden. Ich würde mir wünschen, dass die Bauern zusammen mit der Umweltbewegung marschieren. Um der Politik zu sagen, dass sie die Rahmenbedingungen schaffen muss, mit denen sie all diese Produktionsvoraussetzungen erhalten können.

"Die Bürokratie ist unerträglich geworden"

Apropos Umweltbewegung: Die Grünen sind ja der Hauptgegner der Bauern, zumindest hatte man den Eindruck bei den Protesten. Was läuft da falsch?
In dieser Kritik an den Grünen sehe ich wenig Fundiertheit. Ich erlebe oft, dass mir ein Kollege sagt: "Die Grünen schaden uns wahnsinnig." Dann frage ich nach, warum. Aber dann kommt gar nichts. Das zuständige Ressort für den Agrardiesel zum Beispiel ist das Finanzministerium, geführt von der FDP. Natürlich haben die Grünen mitzuverantworten, was die Ampel macht. Aber vieles, gegen das jetzt protestiert wird, hat eine längere Geschichte.

Zum Beispiel?
Die Hauptbürokratielast hängt mit der europäischen Agrarpolitik zusammen, von wo die allermeisten Subventionen kommen. Das ist unerträglich kompliziert geworden, denn der Umbau der europäischen Agrarpolitik wurde seit Jahrzehnten verhindert: weg von einer Agrarpolitik, die einfach nur Hektarbesitz belohnt, hin zu einer Agrarpolitik, wo Bäuerinnen und Bauern für Leistungen bezahlt werden, die die Gesellschaft von ihnen braucht. Stattdessen hat man all die neuen Anforderungen an die Landwirtschaft einfach in das bestehende System hineingebaut. So ist ein Monster daraus geworden. Auch Verhinderer der Veränderung wie die europäischen Bauernverbände haben an diesem Monster mitgewirkt. Nun müssten wir über ganz andere Ansätze sprechen.

Interview mit Felix Prinz zu Löwenstein (Zweite von rechts) von Martin Balle (l), Natascha Probst (m) und Natalie Kettinger (r).
Interview mit Felix Prinz zu Löwenstein (Zweite von rechts) von Martin Balle (l), Natascha Probst (m) und Natalie Kettinger (r).

Über welche?
Darüber, dass es viele Dinge gibt, die der einzelne Bauer auf dem einzelnen Acker gar nicht lösen kann. Zum Beispiel, wenn man an die Wiedervernässung der Moore denkt, die die mit Abstand effektivste CO2-Einsparungsmethode im Rahmen der Landwirtschaft wäre. Das müssen Sie in einem regionalen Rahmen machen. Das kann der einzelne Bauer nicht, das geht auch nicht nur den Bauern an.

Sondern?
Den Tourismus, die Industrie, die Wasserwirtschaft. Wir brauchen Instrumente der Agrarpolitik, die ganze Regionen adressieren. In Holland gibt es ein spannendes Instrument, "collective contracts". Da setzen sich alle Akteure einer Region an einen Tisch, und fragen sich: Was wollen wir erreichen, was sind die Mittel, die wir brauchen, wer kann was beitragen? Damit gehen sie zum Staat und fordern Geld, das sie dann selbst verwalten.

Was halten Sie von der Tierwohlabgabe, die aktuell in der Diskussion ist?
Sie wäre ein elementares Instrument, um wirklich etwas zu verändern. Die Frage, wie mit den Tieren umgegangen wird, geht nicht nur den Bauern an, schließlich steht der Tierschutz im Grundgesetz. Hinzukommt: Die Akzeptanz dafür, wie wir die Nutztiere halten, ist längst nicht mehr da. Das Tierwohllabel, das wir jetzt haben, löst das Problem nicht. Die Landwirte zu zwingen, dass sie ihre Tiere ganz anders halten müssen, löst das Problem auch nicht, weil dann das Fleisch eben billig aus dem Ausland kommt.

Die Lösung wäre also die Tierwohlabgabe.
Ja. Der Kunde bezahlt etwa 40 Cent pro Kilogramm mehr. Dieses Geld geht in den Tierwohlfonds. Wenn der Bauer seine Haltung umbauen möchte, bekommt er aus dem Fonds eine Investitionsbeihilfe und 20 Jahre lang die Mehrkosten dieser besseren Haltung erstattet. So kann er das Wagnis des Umbaus eingehen. Das Spannende: Die Tierwohlabgabe wird auf alles Fleisch erhoben: das teure, das billige, das aus dem Inland, das aus dem Ausland. Wenn der Markt nicht mehr mit "billig" werben kann, wird er das schnell mit dem Tierwohl tun.

"Was der Handel verkaufen kann, das verkauft er gern"

Sind Sie zuversichtlich, dass die Abgabe kommt?
Natürlich gibt es viele Detailteufel, die muss die Politik lösen. Aber das Prinzip ist erarbeitet.

Verhindern die großen Lebensmittelketten den Umbau der Landwirtschaft?
Der Handel steht dem Wandel nicht im Weg. Was er verkaufen kann, das verkauft er gern.

Den Preis des Fleisches einfach zu erhöhen, so wie die Europäische Union das gerade diskutiert, hilft also nicht?
Per se den Preis zu erhöhen, hilft niemandem. Wir müssen die Art, wie wir erzeugen, verändern. Wir müssen dafür mehr Geld locker machen. Das passiert bei Bio ständig. Bio-Kunden essen sehr wenig Fleisch, aus einem sehr simplen Grund: weil es teurer ist.

Bio ist generell teurer. Ist gesunde und nachhaltige Ernährung nur etwas für Wohlhabende?
Die Frage ist: Ist es wirklich teurer oder kostet es nur mehr? Wir verursachen mit unserer Produktion in der Landwirtschaft so viele Kosten, die sich nicht im Preis wiederfinden. Die Wahrnehmung, dass unserer Lebensmittel billig wären, ist völlig falsch. Es gibt eine französische Studie zu den Wasserwerken. Die geben pro Jahr 1,5 Milliarden Euro aus, um Pestizide und Nitratrückstände aus dem Nutzwasser herauszureinigen. Wenn Frankreich darüber hinaus alles aus dem Grundwasser filtern wollte, was landesweit eingetragen wird, würde das 50 Milliarden Euro kosten - so viel wie die Bruttowertschöpfung der französischen Landwirtschaft.

Was ist also zu tun?
Das ist relativ einfach, die EU-Kommission hatte das verstanden. Der European Green Deal sah deshalb vor, bis 2030 den Stickstoffeinsatz in der Landwirtschaft und die Pestizidwirkung zu halbieren. Das sind zwei zentrale Probleme, damit hätte man schon die meisten Baustellen abgearbeitet.

Müssen Pestizide bis dahin teurer werden?
Ja. Und damit die Bauern nicht in nachvollziehbarer Empörung nach Berlin fahren, müsste man das Geld, das aus entsprechenden Abgaben gewonnen wird, pro Hektar an sie zurückzahlen. Die Bauern würden dann sofort auf Unkrautvernichter verzichten und sich lieber eine Hackmaschine anschaffen, die Landmaschinenindustrie würde sofort die Maschinen zur Verfügung stellen, die sie heute nicht baut, weil die Auflagen zu gering sind, und die chemische Industrie würde mit Hochdruck Mittel entwickeln, die weniger toxisch sind - weil für die dann weniger Abgabe zu zahlen wäre.

Was fordern Sie von der Politik?
Ein klares Bekenntnis dazu, dass wir einen grundlegenden Umbau unseres Agrar- und Ernährungssystems vor der Brust haben und das nicht allein von den Bauern zu bewältigen ist. Transformation ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Leider passiert in dieser Hinsicht gerade gar nichts. Ein Finanzminister, der den Bauern verspricht, sie von Auflagen zu befreien, hat nicht verstanden, dass es den Umbau braucht.

Was wünschen Sie sich noch?
Dass dieser Umbau eine verlässliche und langfristige Perspektive bekommt. Es muss klare Stationen geben. So, wie es jetzt mit der Agrar-Diesel-Abschmelzung geschieht. Wenn wir die europäische Agrarpolitik von Flächen- auf Leistungsentlohnung umbauen wollen, geht das nicht von jetzt auf gleich. Aber auf einen Prozess mit Stationen können sich alle einstellen: die Betriebe, der Markt - und auch der Pacht-Markt.

Würde das die Akzeptanz bei den Bauern steigern?
Ja. Akzeptanz braucht eine Perspektive.

"37 000 Biobauern zeigen, dass ein Systemwechsel möglich ist"

Was kann der einzelne Landwirt jetzt schon tun?
Natürlich bin ich als einzelner Landwirt rettungslos in den Rahmenbedingungen verhaftet, die mir politisch gesetzt werden, weil ein großer Teil des Einkommens aus Subventionen besteht. Daran lässt sich nichts ändern. Man hat im jeweils bestehenden System relativ wenig Reaktionsmöglichkeiten. Nehmen Sie eine 10 000-Mastschweine-Anlage mit Vollspaltenböden und Fütterungsanlage und der Landwirt erzielt pro Schwein einen "Gewinn-Beitrag" von fünf Euro. Der kann nicht sagen, dass er den Tieren gerne ein bisschen mehr Platz geben würde. Seine einzige Chance ist, das System zu wechseln.

Und das geht?
Natürlich. Man kann Biobauer werden. Wir haben zwar jetzt durch die Inflation einen Dämpfer bekommen am Markt. Aber wir sind nicht hinter die 20 Prozent Wachstum im ersten Corona-Jahr zurückgefallen. Da tut sich was! Das ist nach wie vor eine Zukunftsoption. Und die 37 000 Biobauern in Deutschland zeigen, dass ein Systemwechsel möglich ist. Doch innerhalb des Systems kann ich unter Umständen noch etwas anderes machen.

Was wäre das?
Es gibt immer mehr Ansätze zur Solidarischen Landwirtschaft. Das bedeutet, dass man sich einen Kreis von Verbraucherinnen und Verbrauchern sucht, die einen Hof unterstützen, indem sie seine Produkte kaufen. Aber natürlich ist das nichts für den 10 000-Schweine-Mensch, der die nächsten zehn Jahre seinen Kredit abzahlen muss.

Warum steigen dann nicht noch mehr Landwirte um?
Vorneweg eine Zahl: Das Thünen-Institut hat festgestellt, dass es in den letzten 25 Jahren nur drei oder vier Jahre gab, in denen die Einkommen pro Arbeitskraft in den Biobetrieben schlechter waren als in konventionellen. In 21 Jahren war Bio also rentabler. Warum es dann nicht jeder macht? Offengestanden ist da noch viel Ideologie im Spiel. Und es gibt natürlich viele Bauern, die überhaupt keine Möglichkeit zur Veränderung haben, weil sie sich in eine Pfadabhängigkeit hineinmanövriert haben. Wenn Sie zum Beispiel eine große Biogasanlage betreiben, können Sie nicht einfach anfangen, die mit Biomais zu füttern. Das ist viel zu teuer.

Gibt es noch weitere Hürden?
Ja, dass die Leute an den Landwirtschaftsschulen und Unis zum Thema Ökolandbau meist nichts bis Unsinn lernen. Wir haben jahrelang mit dem Bauernverband darum gerungen, dass Ökolandbau zum Prüfungsfach wird. Und: In Deutschland geben wir jedes Jahr vier Milliarden Euro für Agrarforschung aus. Die Mittel, die davon in systemische Forschungsansätze gehen, wie wir sie im Ökolandbau brauchen, bei denen aber keine Produkte zum Verkauf entstehen, belaufen sich auf einen niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Landwirtschaftliches Gut seit Mitte des 19. Jahrhunderts

Waren Sie selbst eigentlich schon immer Bio-Landwirt?
Nein. Von 1986 bis 1992 war ich ein konventioneller.

Was ist dann passiert?
Es gab dieses schleichend zunehmende Unbehagen im Umgang mit Pestiziden. Mir war einerseits klar, dass diese Stoffe nicht ins offene System gelangen dürfen. Andererseits musste ich oft Kompromisse machen. Ein Beispiel: Sie dürfen bei starkem Wind nicht spritzen. Aber wenn die Spritze noch halb voll ist und Wind aufkommt, müssen Sie sie trotzdem leeren, wenn für den nächsten Tag Regen angesagt ist. In einem Vortrag hat mir dann jemand plausibel gemacht, dass Umstellen machbar ist. Also habe ich einen Plan erstellt und ihn einem Professor vorgelegt, von dem ich wusste, dass er Öko ziemlich bescheiden findet. Als der sagte, die Rechnung stimmt, hab ich es gemacht.

Das Anwesen Ihrer Familie ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein landwirtschaftliches Gut. Gibt es etwas, das noch immer so gemacht wird, wie damals?
Vielleicht muss man es andersherum betrachten: Die Periode, in der wir in der Landwirtschaft alles komplett anders gemacht haben, ist ein winziger Zeitraum bezogen auf die 10 000-jährige Geschichte des Ackerbaus, in dem wir aber unfassbar viel negativ verändert haben. Wenn man sich die Explosion von Nahrungsmittelunverträglichkeiten anschaut, muss die Frage erlaubt sein, ob wir da nicht etwas falsch machen. Das betrifft nicht nur die Bauern, sondern die gesamte Lebensmittelindustrie. Eine Landwirtschaft vor 150 Jahren war unerträglich unproduktiv im Vergleich zu heute. Dahin wollen wir nicht zurück. Aber wir müssen wieder lernen mit den Funktionsmechanismen natürlicher Systeme zu arbeiten - und nicht unter deren Ausschaltung, wie wir das mit Hilfe der Chemie machen. Nur dann werden wir die Funktionsfähigkeit dieser Ökosysteme erhalten können.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.