Akw-Laufzeiten: Farce oder Revolution?

Die Laufzeit-Verlängerung fällt massiver aus als erwartet – entsprechend heftig sind die Reaktionen. Was nun wie lange läuft, wie viel Geld dafür fließt – die AZ klärt wichtige Fragen.
von  Abendzeitung
Verkündet die Energie-„Revolution“: Angela Merkel
Verkündet die Energie-„Revolution“: Angela Merkel © dapd

BERLIN - Die Laufzeit-Verlängerung fällt massiver aus als erwartet – entsprechend heftig sind die Reaktionen. Was nun wie lange läuft, wie viel Geld dafür fließt – die AZ klärt wichtige Fragen.

Immerhin laufen die deutschen Atomkraftwerke nicht 1412 Jahre länger, wie eine Agentur in der Eile schrieb, sondern bis zu 14 und um im Schnitt um 12: Doch die Laufzeitverlängerung ist bei dem Gipfel im Kanzleramt deutlich länger ausgefallen, als zuvor zu erwarten war. Die wichtigsten Fragen:

Wie lange dürfen die Meiler zusätzlich laufen? Die sieben älteren Akw, die vor 1980 gebaut wurden, können acht Jahre länger laufen als im rot-grünen Atomkonsens vorgesehen. Die zehn neueren Werke bleiben 14 Jahre länger am Netz. Macht im Schnitt zwölf Jahre.

Wann geht das letzte Akw vom Netz? Schon jetzt lassen die Betreiber ältere Werke drosseln oder stillstehen, damit sie deren Reststrommengen auf lukrativere Meiler übertragen können. Dies geht auch künftig. So könnte bis 2050 Atomstrom produziert werden.

Was zahlen die vier Atomkonzerne dafür? Von Eon, Vattenfall, RWE und EnBW wird eine Brennelementesteuer verlangt, die 2,3 Milliarden Euro pro Jahr bringen soll. Sie wird aber nur sechs Jahre erhoben, außerdem kann sie als Betriebsausgabe abgesetzt werden. Fällig wird zudem ein Sonderbeitrag zur Ökostrom-Förderung: insgesamt 1,4 Milliarden bis 2016, danach neun Euro pro Megawattstunde. Damit, so das Öko-Institut, wird etwa ein Viertel der Zusatzgewinne abgeschöpft. Die Aktien der Konzerne feierten Kurssprünge.

Kann das noch kippen? Ja, und zwar in Karlsruhe. Bremen und NRW haben gestern bereits ihre Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt, wenn der Bundesrat nicht beteiligt wird. Die Frage ist unter Juristen massiv umstritten. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte gestern, die Verfassungsressorts hielten es für „vertretbar“, die Zwölf-Jahres-Verlängerung ohne Bundesrat zu machen. Zuvor war in den letzten Wochen allerdings durchgesickert, dass die Ministerien wie auch ein Gutachten des Bundespräsidialamtes davon ausgehen, dass mehr als zehn Jahre kaum zu machen sind.

Wie sind die Reaktionen? Bundeskanzlerin Angela Merkel feierte die Einigung als „Revolution“: „Unsere Energieversorgung wird die effizienteste und umweltverträglichste weltweit.“ Endlich gebe es Planungssicherheit. SPD, Grüne, Ökostrom-Anbieter und Umweltverbände laufen dagegen Sturm. Sie werfen der Regierung eine Farce, Käuflichkeit, Verkauf der Sicherheit der Bürger und einen Kotau vor der Atomlobby vor.

Was sagen die Stadtwerke dazu? Bundesweit gab es gestern massive Kritik von den Kommunen. Die Münchner Stadtwerke nennen den Beschluss ausdrücklich einen Fehler, weil er den Ausbau von erneuerbaren Energien bremse. Sie selbst setzen aber weiter auf den Ausbau von Öko-Strom: Bis 2025 soll der komplette Bedarf in München daraus gedeckt werden.

Was kann der Bürger nun tun? Seinen privaten Ausstieg planen und zu einem Ökostromanbieter wechseln. tan, sp

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