AKW als Notreserve: Söder befürchtet "Blackouts"

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist persönlich enttäuscht von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Nach dessen "gutem und starken" Start als Ampel-Minister stelle er sich zunehmend die Frage, ob der Grüne seiner Aufgabe gewachsen sei, sagte Söder gestern nach einer Sitzung des bayerischen Kabinetts.
Der CSU-Chef hatte schon kurz nach dem Bekanntwerden von Habecks Absicht, zwei der drei noch laufenden deutschen Atomkraftwerke nach dem Jahreswechsel in "Notreserve" zu nehmen, mit harscher Kritik reagiert, die er nun ausbaute.
Habecks Plan bedeute nichts anderes als die Abschaltung der Anlagen. Der Bundeswirtschaftsminister sei inzwischen wieder vollständig "in der grünen Welt gefangen", sagte Söder. Habecks "Einzelentscheidung" dürfe sich nicht die gesamte Bundesregierung zueigen machen, weil es in der Krise deren Verschlimmerung bedeute, wenn mittendrin auf den Strom für zehn Millionen Haushalte verzichtet werde.
Blackouts durchaus möglich
Söder interpretierte den jüngsten Stresstest für das deutsche Stromnetz so, dass im Winter nach Abschaltung der Atommeiler "Blackouts" durchaus möglich seien. Dabei hätte wenigstens ein Streckbetrieb für die Anlagen ohne Weiteres weitergehen können, doch Habeck sitze "in der grünen Tonne".
Söders Stellvertreter und Bayerns Wirtschafts- sowie Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) steigerte sich beinahe in eine Wutrede hinein. Die Grünen nähmen in Kauf, dass Stromkunden vom Netz genommen werden müssen, nur um das Gesicht nicht zu verlieren, wetterte er.
Mit "massiven Falschaussagen" über den Strombedarf bereite man "Mangelverwaltung" vor. "Dieser Mangel ist offenbar politisch gewollt", sagte Aiwanger. Er selbst sei kein Fan der Atomkraft, aber "in der Not muss man mit dem Teufel tanzen". Bayern sei bei den Bemühungen um eine sichere Energieversorgung im Winter und darüber hinaus "nur begrenzt handlungsfähig", bedauerte der Wirtschaftsminister. Berlin lasse es an Voraussicht fehlen: "Man träumt in den Tag hinein."
Söder sagte dem Habeck-Plan von der Notreserve dasselbe Schicksal voraus, wie es die Gasumlage erlitten habe: "Es scheitert." An den Ampel-Koalitionspartner FDP appellierte der bayerische Regierungschef, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) müsse die Energiepolitik zur Chefsache machen, weil sein Wirtschaftsminister bei der Sicherung der Strom- und Gasversorgung überfordert sei und "einfache handwerkliche Dinge nicht funktionieren". "Mit der derzeitigen Linie wird es für unser Land schwierig werden", prophezeite Söder.
Tatsächlich greift Habecks Plan auch aus Sicht von FDP-Fraktionschef Christian Dürr nicht weit genug. Es wäre richtig, die drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, "damit mehr Menge in den Markt kommt, mehr Menge bedeutet sinkende Preise", sagte er im ZDF-"Morgenmagazin".
Doch zurück in den Freistaat: Auch das dritte Entlastungspaket der Ampel stößt nicht auf die Zustimmung der bayerischen Staatsregierung. Einiges davon gehe in die "richtige Richtung", aber beim "Kleingedruckten" fielen zahlreiche Schwachstellen auf, sagte Söder.
So sei nichts für den Mittelstand und mittelständische Betriebe vorgesehen, ebenso wenig Maßnahmen gegen die steigenden Spritpreise. "Italien und Frankreich können es", sagte Söder, "wir nicht".
Söder: 9-Euro-Ticket nicht auf Prioritätenliste
Vor allem kritisierte Söder die ausgebliebene Absprache mit den Ländern: "Ein so länderunfreundliches Verhalten hat es schon lange nicht mehr gegeben." In der Folge sollten zwar Finanzminister- und Ministerpräsidentenkonferenz darüber beraten, "aber danach": "Das ist ziemlich von oben herab." Im Übrigen müssten die Länder mitfinanzieren - da sei keineswegs ausgemacht, dass man alles zahlen müsse. Die Empörung unter den Ministerpräsidenten über den "schlechten Stil" Berlins sei "relativ groß".
Söder ließ erkennen, dass ein Nachfolgeprogramm für das 9-Euro-Ticket bei ihm nicht oben auf der Prioritätenliste steht. Der verbilligte Fahrschein sei für "Städter und Urlauber sehr positiv" gewesen, habe aber zur Lösung der Energieprobleme nichts beigetragen und auch im ländlichen Raum "keine hohe Resonanz" gefunden. Ein weiteres ÖPNV-Ticket sei nur möglich, wenn der Bund auch die Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr erhöhe. Die Verkehrsgesellschaften stünden wegen der explodierenden Energiepreise vor hohen Defiziten. Dennoch verschließe sich Bayern einem neuen Ticket "von vornherein nicht".
Habecks Entscheidung, die Meiler Isar 2 bei Landshut und Neckarwestheim in Baden-Württemberg als "Notreserve" vorzuhalten, ist nach Auffassung des Vorsitzenden der Grünen im Bayerischen Landtag Ludwig Hartmann "unter den gegebenen Umständen der Königsweg zwischen Energieversorgungssicherheit und Risikoverantwortung". Der Stresstest habe gezeigt, dass die Atomkraftwerke weder Gas einsparten, noch den Strompreis nennenswert senkten.
Isar 2 könne Bayern "lediglich im unwahrscheinlichen Extremfall helfen, das Netz stabil zu halten". Wer jetzt noch immer nach Laufzeitverlängerungen rufe, habe das Ergebnis des Stresstests nicht verstanden, meinte Hartmann.
Der CSU warf der Grünen-Fraktionschef vor, in der Vergangenheit "den Ausbau der Erneuerbaren Energien verschleppt, den Netzausbau sabotiert und eine gasabhängige Freunderlwirtschaft mit dem Despoten Putin aufgebaut" zu haben. Die AKW-Notreserve sei "das Symptom der völlig verfehlten Energiepolitik der letzten Jahre".