AfD-Aussteigerin: "Mir wurden Krebs und Vergewaltigung gewünscht"

München/Dresden - AZ-Interview mit Franziska Schreiber: Die 30-Jährige aus Dresden war von 2013 bis 2017 AfD-Mitglied, im Vorstand der Jungen Alternative und rechte Hand von Frauke Petry. Nun hat sie ihr zweites Buch "Entwaffnet sie" veröffentlicht. Sie ist heute in keiner Partei mehr.
AZ: Frau Schreiber, Sie sind 2013 in die AfD eingetreten und waren die rechte Hand von Frauke Petry. Jetzt entlarven Sie öffentlich die Strategien der Partei. Haben Sie keine Angst? Werden Sie dafür nicht angefeindet?
Franziska Schreiber: Ich werde immer wieder in Wellen angefeindet - beim Austritt, beim ersten Buch ("Inside AfD"; Anm. d. Red.), jetzt wieder. Mir wurden zum Beispiel Vergewaltigungen durch Flüchtlinge gewünscht, oder auch, dass meine ganze Familie und ich Krebs bekommen. Es gab auch Morddrohungen. Ich habe gewisse Vorsichtsmaßnahmen getroffen: Bei bestimmten Veranstaltungen habe ich Personenschutz dabei und meine Adresse ist geschützt.
Sie brauchen ordentlich Mut für Ihre Aufklärungsarbeit.
Die Partei ist in dieser Hinsicht keine Partei wie jede andere. Man kann aus der Partei zwar still und leise austreten. Dann wird auch gegrummelt, geschimpft oder beleidigt, aber nicht bedroht. Wenn man aber die Missstände in der AfD aufzeigt und kritisiert, ist die Situation anders. Das wird einem übrigens auch schon prophylaktisch angekündigt, wenn man in der Partei dabei ist.
AfD-Aussteigerin: "Man hat das Bedürfnis, wieder etwas gut zu machen"
Warum nehmen Sie all das in Kauf?
Wenn einem bewusst wird, woran man die ganze Zeit beteiligt war, hat man schon das Bedürfnis, wieder etwas gut zu machen. Und meine Art und Weise ist, darüber aufzuklären, wie es in der AfD aussieht.

Haben Sie noch Kontakt zur Ex-Vorsitzenden Frauke Petry, die auch ausgetreten ist?
Nein, schon längere Zeit nicht mehr. Wir haben uns politisch anders entwickelt und diese Zeit hinter uns gelassen.
Was hat Sie zu Beginn so in den Bann der AfD gezogen?
Ganz am Anfang war ich einfach nur sauer auf alle anderen Parteien. Als die erste Legislaturperiode, bei der ich gewählt hatte, vorbei war und nicht das passiert ist, was man versprochen hatte, war das eine einschneidende Erfahrung. Ich dachte, die anderen Parteien sind schon alle so festgefahren, am besten wäre es, wenn jetzt eine neue Partei auf die Bühne treten würde und alles von Grund auf neugedacht wird. Die AfD behauptete anfangs unter anderem noch, normale Bürger in die Parlamente zu holen. Sie wollte die Abgeordneten alle acht Jahre austauschen, damit sich keine Seilschaften bilden können. 2013 hat sich die AfD wirklich noch den Anstrich gegeben: Wir sind einfache Bürger, die die Nase voll haben und die sich einbringen wollen.
"Die AfD ist eine von Rechtsextremisten dominierte Partei"
Haben Sie die rechten Tendenzen nicht wahrgenommen?
Beim Einstieg tatsächlich nicht. Ich gebe auch zu, ich war teils etwas naiv und habe Aussagen als Missverständnisse abgetan.
Wann haben Sie den wahren Kern der Partei erkannt?
Letztlich als Björn Höcke vom lebensbejahenden Ausbreitungstyp des Afrikaners sprach. Als ich das kritisiert habe, bin ich als Verräterin hingestellt worden - das hat mir die Augen geöffnet. Ich bin noch zwei Jahre Mitglied geblieben, weil wir planten, ein Gegengewicht zum "Flügel" aufzubauen und ihm, der immer mehr Radikale angezogen hat, gegenzusteuern. Aber das hat nicht funktioniert.
Was ist die AfD heute für Sie?
Die AfD ist eine von Rechtsextremisten dominierte Partei - das hat man beim letzten Parteitag ganz deutlich gesehen. Wer heute daran noch Zweifel hat, muss auf beiden Augen blind sein. Stichwort: Familiennachzug von Flüchtlingen. Höcke hat im Programm durchgesetzt, dass man dies gänzlich verbietet - in dem Wissen, dass das rechtswidrig ist. Es ist für mich ausgeschlossen, dass ein gemäßigterer Kurs eingeschlagen wird.
Coronakrise? "Anfangs war überhaupt nicht klar, wofür die AfD steht"
Ihr Buch heißt: Entwaffnet sie! Was ist aus Ihrer Sicht die größte Waffe, die die AfD hat?
Die mediale Aufmerksamkeit. Die AfD hat es perfektioniert, Aussagen zu tätigen, die extrem provokant und verletzend sind und damit Gegenreaktionen hervorzurufen. Sie trifft diese Aussagen bewusst so, dass sie nicht justiziabel sind und eine zweite Bedeutungsebene haben wie bei Höckes Ausspruch des Denkmals der Schande. Solche Tabu-Brüche sind sehr gut vorbereitet und überlegt.
Wie sollte die Öffentlichkeit darauf reagieren?
Eine kurze, sachliche Richtigstellung ist wichtig, aber sie muss von jeder Emotion befreit sein. Wenn die Öffentlichkeit den Köder schluckt und sich teils über Tage hinweg darüber empört, ist das genau das, was die AfD haben will! Dann können sie sich wieder als Opfer stilisieren: Wir werden immer falsch verstanden, man darf in Deutschland ja gar nichts mehr sagen und so weiter.
In der Corona-Krise hat sich viel Frust angestaut. Wie sehr profitiert die AfD davon?
Einerseits ist sie schlingernd in die Krise gestartet. Anfangs war überhaupt nicht klar, wofür die AfD steht. Zuerst hatte sie sogar kritisiert, dass die Bundesregierung nicht hart genug durchgreift. Dann ist sie umgestiegen auf die Meinung, dass die Einschränkungen zu hart sind und dass eine Impfpflicht kommen werde. Dadurch konnte sie nun andererseits an Verschwörungstheoretiker, Esoteriker, Pharma-Kritiker und Querdenker anknüpfen und neue potenzielle Wählergruppen erschließen. Und das ist eine größere Gruppe, als man denkt: Laut Umfragen fühlt sich ein Drittel aller Deutschen Verschwörungstheorien zugeneigt.
Sie schreiben, dass AfD-Anhänger besonders anfällig für Verschwörungstheorien sind. Und: je abstruser, desto fesselnder. Warum ist das so?
Weil sich alle AfDler schon grundsätzlich in dem Mythos befinden, dass "die oben" etwas aushecken. Es liegt also der Verdacht einer Verschwörung nahe. Und jetzt kommt ein zweites Element der Verschwörungstheoretiker ins Spiel: Diese glauben fast nie nur an eine Theorie, fast immer an mehrere.
Warum?
Die Lücken der einen Theorie werden mit der anderen aufgefüllt. Und deren Lücken mit der nächsten. Am Ende steht ein Weltbild, das nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Diese Menschen stehen unter einem enormen Dauerstress, denn das sind Untergangsszenarien, Fünf-vor-Zwölf-Erzählungen, "Wenn wir jetzt nichts tun, geht unser Land unter"-Geschichten. Das sorgt einerseits dafür, dass sie sich in ihrem Hass radikalisieren, und andererseits dafür, dass sie andere unbedingt missionieren wollen. Deswegen ist die AfD auch lange Zeit so erfolgreich gewesen, weil jedes einzelne Mitglied so motiviert war, sich für diese Ideen aufzuopfern.
Inwiefern?
Menschen sind beispielsweise nicht mehr in den Urlaub gefahren, sondern haben ihre Zeit im Wahlkampf verbracht und haben auch ihr gesamtes Geld anstatt für den Urlaub an die AfD gespendet.
So viel Hingabe für eine Partei, die keine Lösungen im Programm hat.
In der AfD sagt man übrigens: Es gibt Dinge, die schreibt man nicht ins Programm, die tut man einfach, wenn die historische Stunde gekommen ist.
Welche Dinge?
Völliger Stopp der Migration, Einführung des Ariernachweises, Todesstrafe - und auch die Ostgebiete sind in vielen Teilen der AfD kein Tabu-Thema.
"Viele Menschen denken: Jetzt ist die Zeit für eine Protestwahl"
Wie geht man auf eine Person zu, die in eine Verschwörungstheorie oder in AfD-Nähe abdriftet?
Ganz gefährlich wird es, wenn jemand denkt, er kann nur noch unter seinesgleichen Spaß haben. Hier kann es helfen, etwas zusammen zu unternehmen, Zeit miteinander zu verbringen, positive Erinnerungen zu schaffen wie etwa einen Angelausflug oder Fußball spielen und dabei bewusst Politik auszuklammern.
Gemeinsame Zeit, Erlebnisse, Verbundenheit - das hilft?
Wir haben über die Waffen der AfD gesprochen, im Umkehrschluss muss man auch fragen: Was ist unsere stärkste Waffe? Es sind: die Mütter, Väter, Brüder, Schwestern, beste Freunde. Sachargumente oder gar die große Wissenskeule sind im Vergleich dazu ein sehr stumpfes Schwert.
Wie viele AfD-Wähler haben Sie schon zurückgewonnen?
Ich habe eine kleine Liste des Stolzes - im mittleren bis oberen zweistelligen Bereich.
Was erwarten Sie für die Bundestagswahl im September?
Ich glaube, dass viele Menschen, gerade in einer Krise, die als unübersichtlich wahrgenommen wird, denken: Jetzt ist nicht die richtige Zeit für eine Protestwahl. Allerdings haben sich viele andere Parteien größte Mühe gegeben, aus diesem Vorteil so wenig wie möglich zu machen. Die CDU zum Beispiel wirkt auf mich, als wäre sie regierungsmüde und würde sich eine Pause wünschen.
Ihre Prognose für die AfD?
Ich denke, dass die AfD verlieren wird, allerdings nicht so viel wie man sich erhoffen würde - wenn man an den Verfassungsschutz denkt, an das Hickhack innerhalb der Partei oder an ihr sehr provokantes Wahlprogramm. Ich denke, sie wird drei, vier Prozent verlieren. Sollte sich die AfD noch mehr radikalisieren, begibt sie sich in die Nähe des Parteiverbotsverfahrens - das ist noch eine Gefahr für die AfD oder besser gesagt: die Hoffnung für uns.
