Ägypten: Terror gegen Frauen

Auf dem Tahrir-Platz kommt es immer wieder zu Massenvergewaltigungen. Warum Frauen in Ägypten für Männer "Freiwild" sind.
N.Lebkuchen |
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Auf dem Tahrir-Platz kommt es immer wieder zu Massenvergewaltigungen. Warum Frauen in Ägypten für Männer "Freiwild" sind.

Kairo -  Es sind widerliche Jagdszenen: Dutzende Männer umkreisen eine Frau, drängen sie von ihren männlichen Begleitern ab, zwängen sie in eine dunkle Gasse: Sie reißen ihr die Kleider vom Leib, betatschen und vergewaltigen sie. Niemand hilft ihr – doch bei Youtube kann es jeder sehen.

Das ist keine Einzeltat, sondern fast Alltag auf dem Tahrir-Platz, dem „Platz der Befreiung“. Allein in den vier Tagen des Sturzes von Präsident Mohammed Mursi vergangene Woche sollen über 90 Frauen Opfer von Massenvergewaltigungen und Belästigungen geworden sein, wie „Human Rights Watch“ berichtet – die Dunkelziffer liegt wohl höher.

Im Gedränge tun sich mehrere Männer zusammen, manchmal sind es 100, die sich ein wehrloses Opfer suchen während der Rest auf dem Tahrir-Platz demonstriert. Wer sind die Männer, die sich im Rudel stark fühlen und sich brutal auf eine Frau stürzen? Es gibt nur Spekulationen. Manche vermuten Islamisten dahinter, die die Rolle der Frau als politisch aktive unterbinden wollen. Doch auch das Militär und die Opposition könnten hinter den Attacken stecken.

„In Ägypten herrscht eine Kultur der Straflosigkeit“, sagt Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland zur AZ. Unsittliches Anfassen oder Beschimpfungen werden im ganzen Land als Lappalie abgetan, die Männer werden meist nicht bestraft – auch weil sich die Frauen nicht trauen, eine Strafanzeige zu stellen. Diese Straflosigkeit gepaart mit der Frustration über die politische und soziale Lage führe, so Michalski zu einer „brutalisierten Gesellschaft“.

Und die gibt es nicht erst seit den jüngsten Unruhen. Bereits vor Mubarak und danach kam es zu sexuellen Übergriffen und Beleidigungen auf offener Straße. "Die Lage der Frau in Ägypten hat sich seit dem Arabischen Frühling in keinster Weise verbessert", berichtet Michalski. Aufmerksamkeit erregte 2011 aber die Vergewaltigung der amerikanischen Journalistin Lara Logan.

Doch es sind nicht nur Ausländerinnen, die belästigt werden: Genauso wie die Täter nicht zuzuordnen sind, so gibt es auch kein Muster für die Opfer: Junge westlich gekleidete Ägypterinnen sind ebenso betroffen wie ältere, burkatragende Frauen. Sogar Mütter, die mit ihren Kindern unterwegs sind.

Weit über die Hälfte der ägyptischen Frauen ist schon sexuell belästigt worden, nur in Afghanistan ist es laut einer Studie schlimmer. Im Global Gender Gap Report 2012, der die Gleichberechtigung weltweit beschreibt, steht Ägypten auf dem 126. Rang – von 135.

Von offizieller Seite gibt es keine Unterstützung für die Opfer - im Gegenteil. In Verruf geriet das Militär, als es 2011 Demonstrantinnen vom Tahrir-Platz verhaftete, folterte und „Jungfrauentests“ unterzog. Michalski fordert die internationale Politik auf, die Situation der Frauen „ganz oben auf die Agenda zu stellen.“

Trotz der verheerenden Umstände: Es gibt auch Initiativen in Ägypten, die für die Rechte und den Schutz der Frauen kämpfen. Auf harassmap.org können Opfer ihre Erlebnisse berichten, die Tat wird sogar auf einer virtuellen Karte verortet: Rund um den Tahrir-Platz waren es jüngst 134 Fälle.

Und es gibt physischen Schutz. So werden bei den jetzigen Demonstrationen die Teilnehmer getrennt. Die Männer protestieren auf der einen Seite des Platzes, die Frauen auf der anderen. „Diese Trennung muss sein, sonst würden die Männer sich einfach eine Frau greifen“, sagt Michalski.

Kontrolliert werden diese „Grenzen“ von Freiwilligen: Die Mitglieder der Organisation „Op Anti-Sexual Harassment/Assault“ und die „Tahrir Bodyguard“ stehen in knallgelben Bauarbeiterwesten auf dem Platz und gehen dazwischen, sobald sich wieder ein Pulk um eine Frau bildet. „Vier Fälle wurden uns heute Abend gemeldet, bei drei haben wir es geschafft, einzugreifen“, lautet ein Facebook-Eintrag. Eine Userin: „Die Welt braucht mutige Menschen, Frauen und Männer wie euch. Danke.“

 

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