Abschied von der Frischmilch?

MÜNCHEN/HAMBURG - Immer öfter steht im Supermark die neue ESL-Milch im Regal. Verbraucherschützer beklagen, sie sei für die Kunden nur schwer zu erkennen und fürchten, dass die echte Frischmilch bald ganz verschwindet. Deswegen starten sie jetzt eine Protestaktion
Beim Thema Milch sieht Silke Schwartau schwarz: „Da wird uns klammheimlich ein wertvolles Lebensmittel weggenommen“, schimpft die Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg. „Das ist, wie wenn die Supermarktbetreiber zu den Kunden sagen würden: Es gibt jetzt keine Äpfel mehr. Esst stattdessen Apfelmus.“
Was Schwartau so sauer aufstößt: Immer mehr Supermärkte ersetzen die traditionelle Frischmilch durch so genannte ESL-Milch. Die steht, wie normale Frischmilch, im Kühlregal, hält aber länger – weil sie länger erhitzt wird (siehe Info).
Das Problem: Die Hersteller bezeichnen auch die ESL-Milch als „Frischmilch“. Ein Etikettenschwindel, sagt Schwartau, der die Verbraucher nicht nur täusche. Die „Begriffsakrobatik“ führe auch dazu, dass echte Frischmilch schleichend aus dem Regal verschwinde.
Aktion „Rettet die Frischmilch“
Um das zu verhindern, hat die Verbraucherzentrale Hamburg die Aktion „Rettet die Frischmilch“ gestartet. Mit Klebezetteln, die sie an Milchregale heften, sollen die Kunden den Supermärkten deutlich machen, dass ihnen was fehlt.
Die Chancen stehen gut, dass die Aktion erfolgreich ist. Von „tausenden Beschwerden“ wegen des Frischmilch-Problems berichtet Silke Schwartau. „Der Unmut ist groß“, sagt auch Andrea Danitschek von der Verbraucherzentrale Bayern. Die Kunden, so die Verbraucherschützer, fühlten sich über den Tisch gezogen, weil ihnen ein Produkt als „frisch“ verkauft werde, das im Extremfall drei Wochen alt ist – und auch nicht wie Frischmilch schmecke.
„Der Geschmack ist durchaus ähnlich“, findet dagegen Claudia Eberl vom Landesverband der bayerischen Milchwirtschaft. Bei den Kunden jedenfalls sei ESL-Milch beliebt: „Immer mehr Verbraucher kaufen sie – eben weil sie länger hält. Das ist praktischer.“
Discounter haben echte Frischmilch ganz aussortiert
Tatsache ist: Echte Frischmilch wird in den Supermarktregalen rar. Ein Markttest der Verbraucherzentrale Hamburg zeigt: Bei Discountern wie Aldi, Lidl oder Penny gibt es sie gar nicht mehr. Bei Edeka fand sich unter 24 Milchsorten keine einzige Frischmilch. Bei Real lag der Anteil bei sechs Prozent. „Wir folgen mit der Umstellung dem Trend im Markt“, heißt es dazu lapidar bei Lidl. „Der Handel profitiert natürlich, wenn die Milch länger im Regal stehen kann“, sagt hingegen Verbraucherschützerin Schwartau. „Dann gibt es weniger Rücklauf.“
Immerhin: Jüngst haben sich Handel und Milchwirtschaft mit dem Verbraucherministerium auf einen Kompromiss bei der Kennzeichnung geeinigt. Echte Frischmilch wird künftig mit dem Zusatz „traditionell hergestellt“ versehen, ESL-Milch mit „länger haltbar“. Was die Selbstverpflichtung bringe, bleibe abzuwarten, so Verbraucherschützerin Danitschek. „Bislang ist in Bayern noch nichts davon zu sehen.“
A. Jalsovec
Info: Die Milchsorten
Früher gab’s im Supermarkt nur Frisch- oder H-Milch. Vor gut zehn Jahren kam ESL-Milch auf den Markt. Das Kürzel steht für „Extended Shelf Life“ – „längere Haltbarkeit im Regal“. Was die Milchsorten unterscheidet:
Frischmilch. Sie wird pasteurisiert, das heißt: bis zu 30 Sekunden auf rund 75 Grad erhitzt. Das dehnt ihre Haltbarkeit auf bis zu zehn Tage im Kühlschrank aus.
ESL-Milch. Sie wird sehr kurz (1 Sekunde) auf 127 Grad hocherhitzt und ist gekühlt bis zu drei Wochen haltbar.
H-Milch. Sie wird ultrahocherhitzt – also für wenige Sekunden auf bis zu 150 Grad. Sie kann ungeöffnet mindestens zwölf Wochen gelagert werden.
Bei allen Erhitzungsverfahren gehen Vitamine verloren. Bei Frischmilch liegt der Verlust bei rund zehn Prozent, bei H-Milch sind es bis zu 25 Prozent. ESL-Milch liegt dazwischen. Am Calcium-Gehalt ändert die Erhitzung nichts.