abgeordnetenwatch.de: "Die CSU macht sich zum Anwalt der Autolobby"

Der bayerischen Staatskanzlei wird im Abgasskandal "Kumpanei" mit BMW vorgeworfen. Ein vertrauliches Dokument belegt das.
von  Tobias Wolf
Die Staatskanzlei von CSU-Chef Horst Seehofer hat sich zusammen mit BMW für laschere Abgasregeln stark gemacht.
Die Staatskanzlei von CSU-Chef Horst Seehofer hat sich zusammen mit BMW für laschere Abgasregeln stark gemacht. © dpa/AZ

Berlin/München - Es ist ein brisantes Papier, das die bayerische Staatskanzlei am 27. Oktober 2015 an das Kanzleramt in Berlin schickte. Genau einen Tag, bevor auf EU-Ebene nach dem VW-Dieselskandal über künftige Abgasstandards entschieden werden sollte, übermittelt die Behörde von Ministerpräsident Horst Seehofer die "Position der bayerischen Staatsregierung" zu dem Thema. Kernbotschaft des Dokuments: Die EU-Kommission sei mit ihren Vorschlägen zur Stickoxidbegrenzung viel zu weit gegangen. Begründung: "Die Automobilindustrie ist nicht imstande, diese Vorgaben umzusetzen." So heißt es in dem dreiseitigen Papier. Strengere Abgasregeln sollten also verhindert werden.

Das Schreiben, das die bayerische Staatskanzlei an den zuständigen Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt schickte, liegt der AZ vor. Darin wird um eine "vertrauliche Behandlung" gebeten. Sprich: Offenbar soll nichts nach Außen dringen. Das hat Gründe: Denn auf der zweiten Seite des Dokuments finden sich "die wichtigsten Forderungen der BMW Group im Einzelnen". Und die Positionen des Autobauers sind nahezu deckungsleich mit denen der CSU-Staatsregierung.

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Das hat die lobbyismus-kritische Transparenzorganisation abgeordnetenwatch.de hellhörig werden lassen. Sie hatte das Schreiben im vergangenen September auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes vom Kanzleramt offiziell angefordert – zunächst ohne Erfolg, wie die Lobbykritiker jetzt mitteilen.

"Eine Lobbypolitik, die Gesundheitsschäden billigend in Kauf nimmt"

In einer aktuellen Pressemitteilung bezichtigt abgeordnetenwatch.de das von CDU-Mann Peter Altmaier geführte Kanzleramt nun sogar der Lüge. "Eine Landesregierung, die sich im Geheimen zum Anwalt der Autolobby macht – das ist skandalös genug. Mindestens genauso skandalös ist aber, wie uns das Bundeskanzleramt an der Nase herumführen will", erklärt Martin Reyher von abgeordnetenwatch.de.

Hintergrund: Nach zweimonatiger Suche behauptete die Bundesregierung in einem Brief an die Transparenzorganisation vom Dezember, das Dokument in ihren Akten nicht finden zu können. "Das war eine unverschämte Lüge. Denn selbstverständlich gibt es das brisante Schreiben. Die Regierungszentrale hatte eine Kopie sogar offiziell an den Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des VW-Skandals übermittelt", sagt Lobbykritiker Reyher. Dass das Dokument tatsächlich an den Untersuchungsausschuss ging, bestätigten Ausschuss-Mitglieder der AZ.

Erst nach einer zweiten Recherche konnte das Kanzleramt das Papier schließlich doch finden und der Transparenzorganisation am vergangenen Freitag zuschicken. "Der Fall zeigt, wie die Bundesregierung gefährlichen Lobbyeinfluss auf politische Entscheidungen geheim halten will", kritisiert Reyher.

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Und auch die Opposition ist empört. Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer, der Mitglied im Abgas-Ausschuss ist, sagt der AZ: "Die bayerische Staatsregierung hat beim Bundeskanzleramt für lasche Abgasgrenzwerte von Autos lobbyiert. Es ist armselig, dass Seehofer und Merkel nicht einmal den Mut haben, das öffentlich einzugestehen." Er kritisiert vor allem auch den Verkehrsminister: "Herr Dobrindt versteht sich offensichtlich als Dienstleister der Autoindustrie und nicht als zuständiger Minister für die Überwachung von Abgaswerten."

Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Stephan Kühn, spricht von einer "Kumpanei" zwischen BMW und CSU: "Ohne Scham macht die CSU die Autoindustrie zum Regierungspartner. Das ist eine indiskutable Lobbypolitik, die Gesundheitsschäden bei Bürgerinnen und Bürgern billigend in Kauf nimmt." Die Akten belegten auch, wie erfolgreich sich letztlich die Bundesregierung für schwächere Abgastests eingesetzt habe. "Am Ende war die erlaubte Abweichung viel höher als ursprünglich von der EU-Kommission geplant", erklärt Kühn der AZ.

Und was sagen Kanzleramt und Staatskanzlei zu der Sache? AZ-Anfragen blieben bislang unbeantwortet.

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