91 Tote: Polizei nimmt zweiten Mann fest

Bei den Terroranschlägen in Norwegen hat es weit mehr Tote gegeben als zunächst angenommen. Jetzt hat die Polizei einen zweiten Verdächtigen festgenommen.
Oslo -
Update 17:40 Uhr: Die norwegische Polizei hat laut der Nachrichtenagentur NTB am Samstag einen Bereich der Hauptstadt Oslo evakuiert. Betroffen war ein Gebiet in der Nähe des Regierungsviertels, wo sich am Freitag ein Bombenanschlag mit sieben Toten ereignet hatte, wie NTB meldete.
Update 16:21 Uhr: Der mutmaßliche norwegische Attentäter ist nach offiziell unbestätigten Angaben von Antiterror-Spezialisten aus der Luft angegriffen und mit Tränengas betäubt worden. Der TV-Sender NRK berief sich am Samstag auf „Polizeikreise“ mit entsprechenden Angaben.
Die Spezialeinheit soll am Vortag sofort nach den ersten Meldungen über Schüsse per Hubschrauber zu der 40 Kilometer entfernten Insel Utøya geflogen sein. Die Polizei wollte nichts über die Umstände der Festnahme des als rechtsradikal eingestuften Norwegers mitteilen.
Er wurde festgenommen und nach Oslo gebracht. Im Sender NRK wurden Videobilder mit dem als Polizisten verkleideten 32-Jährigen gezeigt, wie er vor der Festnahme eine Pistole auf einen am Boden liegenden Jugendlichen richtet. Daneben liegen direkt am Wasser mehrere Verletzte oder Tote.
Update 13:57 Uhr: Die norwegische Justiz ermittelt offiziell gegen den nach dem Bombenanschlag in Oslo und dem Blutbad auf der Insel Utoya festgenommenen 32-jährigen Verdächtigen. Er wurde am Samstag vorläufig der Durchführung von Terrorakten beschuldigt.
Die norwegische Zeitung „Verdens Gang“ berichtete, der Mann habe rund zehn Wochen vor den Anschlägen vom Freitag sechs Tonnen Kunstdünger bestellt, der für den Bau von Bomben verwendet werden kann.
Der 32-Jährige war nach der Schießerei auf der Insel in der Nähe von Oslo festgenommen worden und kooperierte nach Angaben der Polizei mit den Behörden. Er soll einen christlich-fundamentalistischen Hintergrund haben und anti-muslimische Ansichten vertreten.
Update 13:31 Uhr: Die norwegische Polizei hat außerhalb eines Hotels, in dem sich Ministerpräsident Jens Stoltenberg aufhielt, einen Mann festgenommen. Er sei festgenommen worden, weil er ein Messer bei sich gehabt habe, sagte der rund 20 Jahre alte Mann, als er von der Polizei abgeführt wurde.
Er sei Mitglieder der Jugendorganisation der Arbeiterpartei, die auf Utoya ihr Sommerlager abgehalten hatte und trage das Messer, weil er sich unsicher fühle. Stoltenberg hatte im Ort Sundvollen nahe der Insel Utoya die Überlebenden der Schießerei mit 84 Toten besucht.
Die norwegische Polizei hat indessen gegenüber der Internetseite des norwegischen Fernsehsenders NRK vorherige Medienberichte dementiert, wonach sie im Zusammenhang mit den Attentaten von Norwegen nach weiteren Verdächtigen suche. Wir prüfen alle Eventualitäten, aber wir suchen nach niemandem konkreten„, sagte Polizeinspektor Einar Aas der Nachrichtenseite.
Allein 84 Todesopfer wurden nach dem Massaker in einem Jugendsommerlager auf der Insel Utøya unweit der Hauptstadt Oslo geborgen. Bei einer vorangegangenen Bombenexplosion im Osloer Regierungsviertel starben sieben Menschen. Ministerpräsident Jens Stoltenberg sprach von der schlimmsten Katastrophe Norwegens seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die Polizei schloss am Samstag nicht aus, dass sich die Opferzahl noch weiter erhöhen könnte. Im See um die Insel Utøya werde nach weiteren Opfern gesucht. Bis zum späten Freitagabend waren die Behörden zunächst von insgesamt 17 Toten ausgegangen.
Weltweit löste der Doppelanschlag, der nach bisherigen Erkenntnissen der Polizei in Oslo von einem 32-jährigen Norweger verübt wurden, Entsetzen aus. Der noch am Freitag festgenommene Mann soll als Einzeltäter gehandelt haben. Er wird der rechten Szene zugeordnet und soll "christlich-fundamentalistisch" orientiert sein. Zwei Schusswaffen, darunter eine Maschinenpistole, wurden sichergestellt.
Über den Ablauf des schrecklichen Geschehens im Jugendlager auf Utøya, die möglichen Hintergründe und die bisherigen Aussagen des mutmaßlichen Täters wollte die Polizei auf einer Pressekonferenz am Samstagmorgen in Oslo keine Einzelheiten nennen.
Der 32-Jährige habe bisher nicht im Blickfeld der Polizei gestanden. Zwar sei er bereit auszusagen, man stehe aber vor "äußerst umfassenden und langfristigen Ermittlungen".
Die Osloer Innenstadt, wo die Explosion große Zerstörungen angerichtet hat, wurde am Samstag vom Militär gesichert. Die Einheiten sollten vor allem die Ermittlungsarbeit der Polizei im Regierungsviertel absichern, sagte Ministerpräsident Stoltenberg.
Die Aufforderung an alle Bürger, sich aus der Innenstadt fernzuhalten, wurde aber wieder aufgehoben. Die norwegische Flagge wehte auf allen öffentlichen Gebäuden auf halbmast. Die von dem Anschlag besonders schwer getroffenen Teile des Zentrums seien am Morgen fast menschenleer gewesen, berichtete ein Reporter der Nachrichtenagentur dpa. "Das ist heute wie in einer Geisterstadt", sagte der 17 Jahre alte Harald Jakhelln.
Im Laufe des Vormittags sammelten sich Passanten an den Absperrungen des Militärs. In vielen Gesichtern stand das Entsetzen über das Ausmaß der Zerstörung. "Es ist schrecklich, dass wir jetzt auch eine solche Situation haben. Ich denke dabei auch an die Menschen in London, New York und anderen Orten, wo solches geschehen ist", sagte Oslos Bürgermeister Fabian Stang der dpa. "Es wird immer wichtiger, dass wir zusammenhalten."
Oslos Polizeichef Øystein Mæland erklärte im TV-Sender NRK: "Natürlich wirkt das sehr massiv mit dem Militär. Aber es ist eine normale Hilfeleistung für uns." Über die Gefahr weiterer Anschläge sagte er: "Oslo ist heute wieder eine sichere Stadt."
Nach der Bombenexplosion im Regierungsviertel am Freitagnachmittag fuhr der mutmaßliche Attentäter nach Überzeugung der Polizei mit dem Auto zur 40 Kilometer entfernten Insel Utøya. Dort eröffnete der als Polizist verkleidete Attentäter das Feuer auf die etwa 600 Jugendlichen in dem Ferienlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF. Überlebende berichteten im TV-Sender NRK von Panik und Chaos.
Viele der Teenager im Alter von 14 bis 17 Jahren sprangen aus Todesangst ins Wasser, um schwimmend von der Insel zu entkommen. Der Attentäter habe auch auf sie geschossen. Unklar ist noch, wie der Mann in dem Feriencamp bis zur seiner Festnahme so viele Menschen umbringen konnte.
Nach Angaben des TV-Senders NRK betrieb der Festgenommene eine kleine Firma für Agrarprodukte. Hier könne er sich auch die nötigen Kenntnisse zur Herstellung von Sprengstoff beschafft haben. Auf einer als islamkritisch geltenden Webseite sind unter seinem Namen veröffentlichte nationalistische Äußerungen zu finden. Multikulturalismus wird darin als kultureller Marxismus und als anti-europäische Hassideologie bezeichnet, deren Ziel es sei, die europäische Kultur, Identität und das Christentum zu zerstören.
Norwegens König Harald V. forderte seine Landsleute auf, "in dieser schweren Situation zusammenzustehen und einander zu stützen". Regierungschef Stoltenberg sprach von einer "nationalen Tragödie" und sagte: "Seit dem Zweiten Weltkrieg haben wir in unserem Land keine schlimmere Katastrophe erlebt."
Über seine persönlichen Erinnerungen an Sommerlager auf der Insel Utøya sagte der Ministerpräsident, der zugleich Chef der sozialdemokratischen Arbeiterpartei ist: "Utøya war das Paradies meiner Jugend. Gestern wurde es in eine Hölle verwandelt."
Die internationale Gemeinschaft zeigte sich erschüttert von den Anschlägen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama verurteilten die Tat. Bundespräsident Christian Wulff übermittelte König Harald V. seine Anteilnahme. Für die Ermordung friedlicher Bürger gebe es keine Rechtfertigung, schrieb Kremlchef Dmitri Medwedew.
US-Präsident Obama rief zu einer stärkeren Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terror auf. Der britische Premierminister David Cameron bot Norwegen Hilfe an, unter anderem durch eine enge Zusammenarbeit der Geheimdienste beider Länder. Bislang war Norwegen von Terroranschlägen verschont geblieben.