25. Jahrestag Rostock Lichtenhagen: Bilder rechter Gewalt in Deutschland

Tagelang belagern Neonazis und Anwohner im August 1992 die Asylbehörde und ein Wohnheim in Rostock. Es fliegen Brandsätze – und die Menge johlt vor Freude.
fhs, nk |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Rostock Lichtenhagen vor 25 Jahren: Am Rande des Geschehens geht ein Pkw in Flammen auf.
dpa Rostock Lichtenhagen vor 25 Jahren: Am Rande des Geschehens geht ein Pkw in Flammen auf.

Rostock - In den letzten Augusttagen 1992 geht ein symbolisches Bild des hässlichen Deutschen um die Welt: Es zeigt einen arbeitslosen Baumaschinisten im Trikot der Fußball-Nationalmannschaft, die Augen alkohol-glasig, die graue Jogginghose urinbefleckt, den Arm zum Hitlergruß erhoben.

Der Mann gehört zur johlenden Menge, die den Brandanschlag auf ein Wohnheim für vietnamesische Gastarbeiter in Rostock-Lichtenhagen bejubelt. Das Foto steht für eine der schlimmsten fremdenfeindlichen Ausschreitungen in der jüngeren deutschen Geschichte. In diesen Tagen jähren sich die rassistischen Krawalle von Rostock zum 25. Mal.

Jochen Schmidt wird diese Bilder wohl nie vergessen. "Wenn über einem nur noch eine Spannbetondecke ist und man von unten Schreie hört, Feuerschein sieht und Qualm riecht, es nicht links und nicht rechts geht, dann verlierst du irgendwann den Mut." Schmidt hielt sich am 24. August 1992 als Hospitant eines ZDF-Kamerateams in Rostock auf.

"Jeder schloss still mit seinem Leben ab"

"Und dann hat da oben eigentlich jeder still für sich mit dem Leben abgeschlossen", erinnert er sich. Mit rund 150 Vietnamesen, die in dem wegen des Fassadenbildes "Sonnenblumenhaus" genannten Heim wohnten, und Kollegen rettete er sich bis in den elften Stock und dann aufs Dach. Unten griffen Anwohner und Neonazis das Gebäude an und setzten mehrere Wohnungen in Brand.

Im Nachbaraufgang befand sich damals die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber von Mecklenburg-Vorpommern. Wochenlang war sie völlig überfüllt gewesen. Alle Asylsuchenden mussten zur Registrierung durch dieses Nadelöhr, bevor sie auf Unterkünfte im ganzen Bundesland verteilt wurden. Viele kampierten vor dem Haus – ohne Toiletten und Verpflegung. In den Geschäften nahmen Diebstähle rapide zu. Es gab Warnungen und Proteste in der Bevölkerung. Doch die Verantwortlichen reagierten nicht. Ab dem 22. August eskalierte die angespannte Lage. Jugendliche und Anwohner versammelten sich, warfen Steine und Brandsätze auf das Haus und die Polizei.

Später kamen Neonazis aus ganz Deutschland hinzu. Die Polizei wurde der Lage nicht Herr. Erst am 24. August entschieden die Behörden, die Aufnahmestelle zu räumen. Von da an richtete sich die Gewalt der Neonazis und der Tausenden Schaulustigen endgültig gegen die im Nachbaraufgang lebenden Vietnamesen. Die Polizei zog sich zeitweise zurück, erst in der Nacht zum 25. August gelang es, die Menschen in Sicherheit zu bringen.

Reporter Jochen Schmidt sagt in der Rückschau: "Rostock ist so etwas wie ein Prototyp für rechte Gewalt. Und dafür, wie leicht Agitatoren es schaffen, Massen zu bewegen."

Mit Heidenau kehren die erschreckenden Bilder zurück

Eine Gefahr, die laut Bianca Klose, Leiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin, fortbesteht: "Die Situation hat sich nicht grundlegend geändert, im Gegenteil." Die tagelangen Ausschreitungen Rechtsradikaler vor einer Asylunterkunft im sächsischen Heidenau im August 2015 hätten sehr an die Übergriffe 1992 erinnert, sagte die Leiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin. Auch heute seien Asylheime Ziel von Attacken, seien Flüchtlinge und -helfer Bedrohungen und Gewalt ausgesetzt.

Allein im ersten Halbjahr 2017 zählte das Bundeskriminalamt 137 Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte.


Rassistische Anschläge in den 1990ern

SOLINGEN (NRW), Mai 1993: Bei einem Brandanschlag auf ein Wohnhaus kommen fünf türkische Frauen und Mädchen ums Leben. 1995 verurteilt das Düsseldorfer Landgericht vier Männer zu Haftstrafen bis zu 15 Jahren. Tatmotiv: Hass auf Ausländer.

MÖLLN (Schleswig-Holstein), November 1992: Ein Brandanschlag setzt ein von Türken bewohntes Haus in Flammen. Zwei Mädchen und eine Frau sterben. Einer der beiden Brandstifter kommt wegen dreifachen Mordes lebenslänglich in Haft, sein jugendlicher Komplize muss für zehn Jahre hinter Gitter.

ROSTOCK (Mecklenburg-Vorpommern), August 1992: Rechte Randalierer belagern ein Asylbewerberheim im Stadtteil Lichtenhagen, dann greifen 400 Jugendliche ein benachbartes Ausländerwohnheim mit Brandsätzen an. Die Polizei zieht sich zurück (siehe Text links).

HÜNXE (NRW), Oktober 1991: Am Tag der Deutschen Einheit setzen drei Skinheads ein Asylbewerberheim in Brand. Ein libanesisches Mädchen wird lebensgefährlich verletzt. Für die 18 und 19 Jahre alten Täter gibt es mehrjährige Freiheitsstrafen.

HOYERSWERDA (Sachsen), September 1991: Rechtsextreme attackieren eine Asylunterkunft mit Pflastersteinen und Molotow-Cocktails. 32 Menschen werden verletzt, mehr als 80 festgenommen. Wegen Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Volksverhetzung müssen mehrere Täter in Haft.

Lesen Sie auch: Finanzpolitik: So würde Ihr Geldbeutel wählen

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.