20 Jahre danach: Und die Mauer steht doch!

Deutschland ist wiedervereinigt? Politisch stimmt das. Aber in der Realität gibt es immer noch eine hartnäckige Zweiteilung in Ost und West – bei Wirtschaft, Gesundheit oder Kinderbetreuung
von  Abendzeitung
Ein Stück der Berliner Mauer
Ein Stück der Berliner Mauer © dpa

Deutschland ist wiedervereinigt? Politisch stimmt das. Aber in der Realität gibt es immer noch eine hartnäckige Zweiteilung in Ost und West – bei Wirtschaft, Gesundheit oder Kinderbetreuung

Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“ – die Worte von Willy Brandt waren der Slogan der Nach-Wendezeit. Doch zwanzig Jahre nach dem Mauerfall hat es mit dem Zusammenwachsen immer noch nicht ganz geklappt. Noch immer gibt es zwischen Ost und West gewaltige Unterschiede. Die AZ zeigt, wo.

Monatlicher Verdienst

Noch immer verdienen die Ostdeutschen deutlich weniger als die Wessis. Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst für Wessis lag laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2008 bei 3213 Euro (Männer: 3413 Euro, Frauen: 2724 Euro). Ossis verdienten im vergangenen Jahr dagegen im Schnitt nur 2431 Euro (Männer: 2447, Frauen: 2357 Euro).

Lebenshaltungskosten

Der Verdienstunterschied wird wieder aufgewogen durch die niedrigeren Lebenshaltungskosten. Nach einer Studie der Uni Kassel sind Lebensmittel und Konsumgüter im Osten rund 6,5 Prozent billiger als im Westen. Auch die Mieten sind günstiger. In München zahlt man pro Quadratmeter rund zehn Euro Miete, in Leipzig zwischen fünf und acht. Somit können sich viele Hartz-IV-Empfängern im Westen weniger leisten als ihre Ost-Kollegen, weil der Regelsatz überall gleich ist.

Arbeitslosigkeit

Auch hier gibt es ein Ost-West-Gefälle: Die Arbeitslosenquote im Osten war im September mit 12,3 Prozent fast doppelt so hoch wie im Westen (6,9 Prozent). Besonders betroffen waren Mecklenburg-Vorpommern, Teile Sachsen-Anhalts, Brandenburgs und Thüringens. Ein Grund ist die Struktur im Osten: Es gibt dort nur wenige Wirtschaftszweige mit hoher Wertschöpfung, wie beispielsweise Forschungsunternehmen. Nach einer Analyse des ifo-Instituts trägt sich die Ost-Wirtschaft bisher nicht selbst: Ein Fünftel der Binnennachfrage werde durch Zahlungen vom Bund, dem Länderfinanzausgleich und den Sozialversicherungen finanziert. Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) sieht eine Angleichung der Wirtschaftsleistung auf West-Niveau erst in 50 Jahren.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Hier ist Ostdeutschland wieder im Nachteil (siehe Grafik unten links). Die Sterblichkeit nach einer Herz-Kreislauf-Erkrankung ist in Mecklenburg-Vorpommern zirka doppelt so hoch wie die in Baden-Württemberg. Das ergab eine Studie des Instituts für Sozialmedizin an der Berliner Charité. Auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sterben mehr Menschen an Herzinfarkten als in Bayern.

Tabakkonsum

Vielleicht ist das ein Grund für die erhöhte Herzinfarkt-Anfälligkeit: Ostdeutsche rauchen mehr. Laut Statistischem Bundesamt qualmen zum Beispiel 25 Prozent der Bewohner Mecklenburg-Vorpommerns. In Brandenburg und Sachsen-Anhalt sind es immer noch rund 22 Prozent. In Westdeutschland sind nur noch die NRW-Bürger ähnlich starke Raucher, hier paffen 24 Prozent der Landesbevölkerung.

Übergewicht

Auch das könnte Grund für die Häufung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Osten sein. Wie der „Zeit“-Journalist Matthias Stolz in seinem Buch „Deutschlandkarte“ zusammengetragen hat, sind die Ossis dicker als Wessis. Der Anteil übergewichtiger Personen (Body-Mass-Index mehr als 30) ist mit mehr als 17 Prozent in Meck-Pomm am höchsten. Auch Sachsen-Anhalt und Thüringen sind dick dabei.

Kita-Dichte

Inzwischen findet sogar die CSU, dass es mehr Kinderbetreuung geben muss. Der Osten, wo Frauen schon zu DDR-Zeiten gearbeitet haben, hat die Nase hier vorn (s. Grafik Mitte). Matthias Stolz zitiert eine Statistik des Leibniz-Instituts für Länderkunde, danach sind nirgends so viele Kinder in Ganztagesbetreuung wie in den neuen Ländern. In Thüringen haben 75 Prozent der Kinder einen Kita-Platz. In Sachsen sind es über 62 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mehr als die Hälfte. In Ostbayern liegt die Quote bei null Prozent.

Cabrio-Dichte

Ein Indikator für die Wohlstands-Verteilung im Land ist zum Beispiel der Anteil von Luxus-Autos wie Cabrios an der Gesamt-Pkw-Zahl (Grafik unten rechts). Zwar hatten 2008 schon 73,3 Prozent der Ost-Haushalte überhaupt ein Auto. 2003 waren es laut IWH nur 71,9 Prozent (im Westen konstant 77,9). Aber Cabrios muss man jenseits der alten Grenze lange suchen.

Wahlbeteiligung

Sie wird im gesamten Bundesgebiet immer schlechter. Doch nirgendwo ist sie bei der letzten Bundestagswahl so abgeschmiert wie im Osten: In Sachsen-Anhalt gingen nur 60,5 Prozent der Menschen zur Wahl, in Mecklenburg-Vorpommern nur 63 und in Sachsen nur 65 Prozent. In Bayern, NRW und Rheinland-Pfalz lag sie bei 72 Prozent oder knapp darunter, am höchsten war sie in Hessen, hier gingen 73,9 Prozent zur Wahl. Vielleicht hängt das mit einer weiteren Zahl zusammen, die das Institut für Demoskopie in Allensbach erhoben hat: 20 Jahre nach dem Mauerfall fühlen sich 42 Prozent der Ostdeutschen immer noch als Bürger zweiter Klasse. Da steht die Mauer noch.

Annette Zoch

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