Zwischen Hörsaal und Prostitution

Warum es immer mehr Studentinnen tun, was sie verdienen – und weshalb kaum eine über ihren Nebenerwerb reden will.
von  Abendzeitung
Eines der Bilder, mit dem Studentin Steffi für sich im Internet wirbt: Sie versteigert sich als „StudierMaus für Sex-Dates“.
Eines der Bilder, mit dem Studentin Steffi für sich im Internet wirbt: Sie versteigert sich als „StudierMaus für Sex-Dates“. © gesext.de

Warum es immer mehr Studentinnen tun, was sie verdienen – und weshalb kaum eine über ihren Nebenerwerb reden will.

Nur ein einziges Mal, schwört sich die Fremdsprachen-Studentin Laura (19), als sie finanziell völlig ausgebrannt ist – und lässt sich auf das Internet-Angebot eines reifen Mannes ein. Das schnell verdiente Geld ist verlockend: Im Nu rutscht sie in ein Doppelleben zwischen Hörsaal und Prostitution. In ihrem Buch „Mein teures Studium“ (Bertelsmann) erzählt sie, wie sie ihren Körper verkauft hat (siehe Interview).

Die Französin ist kein Einzelfall: Laut Studentengewerkschaft SUD prostituieren sich etwa 40000 französische Studenten, um ihr Studium zu finanzieren. In Deutschland soll die Zahl der Studierenden im Sex-Gewerbe unter einem Prozent liegen. Das wären bei den laut Statistischem Bundesamt knapp 930000 studierenden Frauen bis zu 9300 – doch schon die Anonymität des Internets macht eine exakte Erfassung unmöglich.

Internetseiten, auf denen Studentinnen Sex gegen Geld bieten, boomen

„Studenten mögen da in kürzester Zeit sehr viel Geld verdienen“, sagt Carmen Jörg, Leiterin von Mimikry, der Münchner Beratungsstelle für Prostituierte. „Aber der Unsicherheitsfaktor ist hoch.“ Allein die polizeiliche Erfassung könnte die berufliche Zukunft verbauen, dazu die seelischen Schäden. „Das Problem ist oft auch die Unprofessionalität der Mädchen“, sagt Jörg, „sie kennen die Regeln nicht, wissen nicht, dass man den Freier nicht küsst und stets ein Kondom benutzen muss.“

Internetseiten, auf denen Studentinnen Sex gegen Geld bieten, boomen. Selbst die Studenten-Community StudiVZ hatte mit registrierten Gruppen zu kämpfen, in denen Prostitution angeboten wurde. Die Betreiber löschten die Gruppen. Auf gesext.de geht es dagegen konkreter zu: Männer können „Sex-Dates“ ersteigern. Die Studentin Steffi (23) hat sich als „süße StudierMaus“ registriert. Das aktuelle Gebot für sie liegt bei 931 Euro. Alarmierend: Vor Einführung der Studiengebühren verzeichnet das Portal weniger als 200 Studentinnen. Im September 2007 schoss die Zahl auf über 1 000. Aktuell sind etwa 700 dabei.

Eine Nacht kostet bis zu 1000 Euro

Am Anfang ihres Studiums kellnerte Steffi noch, „aber der Rechnungsberg wuchs und wuchs“. Seit Juni hat sie sich schon 15 Mal versteigert. Moralische Bedenken hat sie nicht: „Mit dem Geld in der Tasche kann ich während der Klausurphase besser lernen.“ Ihre Kunden sind meist verheiratet. „Die Freude sich, dass sie mich beim Studium unterstützen können“, redet sie sich den etwas anderen Nebenerwerb schön. „Sie mögen den unprofessionellen Touch, die gegenseitige Diskretion – und, dass ich unkomplizierter bin als eine Geliebte.“

Meist geht sie mit ihnen in ein Restaurant, danach ins Hotel. Der Preis: 200 Euro. Eine ganze Nacht kostet bis zu 1000 Euro. Als Prostituierte sieht sie sich dennoch nicht, eher als „Begleiterin – ich suche mir ja die Männer aus“. Angst vor brutalen Freiern hat sie angeblich nicht: „Ich erkenne den Charakter der Männer am Stil ihrer Mails.“

Wen sie trifft und was sie tut, hält sie geheim. „Zwei Kommilitoninnen, die’s auch machen, haben es mal Freundinnen erzählt, das war sofort rum an der Uni.“ Expertin Jörg: „Dabei ist es wichtig, dass jemand weiß, wo sich die junge Frau befindet. Bei Gefahr ist das die Rettung.“

Derzeit ist Steffi im sechsten Semester. Nach ihrem Abschluss soll Schluss sein mit den Freiern: „Ich will als Geisteswissenschaftlerin arbeiten.“ Jörg ist zuversichtlich: „Die meisten schaffen den Absprung.“

AZ-Interview mit Laura D.: „Ich habe mich geekelt“

Um zu überleben und ihr Studium zu finanzieren – hat die 19-Jährige ihren Körper verkauft und einen Bestseller darüber verfasst.

AZ: Wie fühlten Sie sich nach Ihrem ersten Kunden?

LAURA D.: Ich hatte 250 Euro in der Hand – und überlegte nur, was ich mir davon kaufen konnte.

Keine Reue?

Es gab eine Phase, in der ich mich vor mir selbst geekelt habe. Ich mied es, mich im Spiegel anzuschauen, fühlte mich hässlich und unattraktiv.

Hat das schnelle Geld den Ekel wett gemacht?

Eine Zeitlang. Ich konnte mir endlich was zu essen kaufen.

Sie haben davor in einem Call-Center gejobbt?

Ja, aber das Geld hat nicht zum Überleben gereicht. Ein Zweit-Job war nicht drin, dann hätte ich keine Zeit mehr fürs Studium gehabt.

Wie viele Männer hatten Sie in dem einen Jahr?

Nicht mehr als fünf – und immer die gleichen Kunden.

Wieso das?

Es ist beruhigender. Man kennt sich und ich musste nicht mehr online suchen.

Haben Sie sich mal verliebt?

Um Himmelswillen, nein. Sie waren meist im Alter meines Vaters. Ich habe sie verachtet.

Warum?

Aus Wut. Die meisten waren verheiratetet, und weil sie Geld hatten, gönnten sie sich lieber eine teure Studentin als eine preiswertere Prostituierte.

Gab’s mal Ärger?

Gewalttätig war keiner, aber ich hatte Angst, dass was passieren könnte, habe diese Angst aber verdrängt.

Haben Sie Kommilitoninnen im Milieu getroffen?

Ich habe eine kennen gelernt, die gerade ihren Doktor machte. Aber sonst gibt es keinen Zusammenhalt. Keine redet über ihr Doppelleben.

Sie auch nicht – oder wusste jemand davon?

Nein, niemand. Nach außen hin wollte ich eine Studentin wie andere sein.

Ihr Fazit nach einem Jahr Prostitution?

Ich habe vor nichts mehr Angst, seit ich mir wieder vertraue. Aber ich habe noch immer große Furcht vor Armut – die Miete nicht zahlen zu können, zu hungern.

Das heißt, im Notfall würde Sie’s nochmal machen?

Ich schäme mich nicht für das, was gewesen ist, aber es wird keine Fortsetzung geben.

Warum nicht?

Geist und Körper leiden einfach zu sehr darunter. Ich bin mir fremd geworden, erst seit ein paar Monaten kann ich mich mehr und mehr leiden.

Ihr Buch ist in Frankreich ein Bestseller. Was möchten Sie damit bewirken?

Jeder soll die Wahrheit erfahren: Das Studentenleben ist nicht immer die schönste Zeit im Leben. Tausende leben unterhalb der Armutsgrenze – nicht nur in Frankreich.

Dorina Herbst

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