Zwischen Gaza und Goa
Vor 60 Jahren wurde der Staat Israel gegründet: Der Filmemacher Yoav Shamir über die Drogentrips junger Militärrekruten, die Zukunft seines Heimatlandes und die Psyche der jungen israelischen Generation.
Yoav Shamir, heute feiert ganz Israel die Staatsgründung vor 60 Jahren. Feiern Sie auch?
Ich muss zugeben, es war mir gar nicht so bewusst, dass es schon heute ist. Ich bin momentan viel unterwegs. Wäre ich zuhause in Israel, würde ich natürlich mitfeiern.
Lassen Sie uns über die junge Generation Israels sprechen. Ihre Dokumentation „Flipping Out“ zeigt, wie sich junge Israelis nach Ende ihres Militärdienstes auf einen Drogentrip nach Indien begeben. Man hat den Eindruck diese Jugendlichen laufen vor ihrer eigenen Heimat davon.
Es ist sicherlich eine Art Flucht: Nach den langen drei Jahren im Wehrdienst geht man nach Indien. Das ist eine gesellschaftliche Konvention, fast eine Selbstverständlichkeit, eben weil es so viele machen. Die Zeit in der israelischen Armee ist eine extreme Erfahrung. Wer sie hinter sich gebracht hat, will entspannen, Party machen, Drogen nehmen. In Indien kann man all das. Bei manchen bricht der Drogenkonsum aber auch psychische Wunden auf, die nicht verheilt sind. Erlebnisse, die man als Soldat oder Soldatin gemacht hat, verfolgen einen plötzlich. Manche drehen durch. 'Flipping Out', heißt dieses Phänomen.
Suchen junge Israelis am Strand von Goa eine Art ideales Heimatland, ohne Konflikte?
Israel ist ein sehr kleines Land, umgeben von feindlich gesinnten Nachbarn. In diesem Bewusstsein wächst man in Israel auf. Als junger Rekrut steht man inmitten dieses Konflikts. Wer nach Indien aufbricht, lässt das zurück.
Dennoch bleiben die Jugendlichen unter sich, vorher stand man zusammen am Checkpoint, jetzt kifft man eben gemeinsam unter Palmen, wie ihr Film zeigt.
In der Tat wird nur das Land gewechselt, denn auch in Indien bleibt man innerhalb des gewohnten kulturellen Umfeldes. Man tauscht einfach die Militäruniform mit Hippie-Klamotten. Die meisten Israelis interessieren sich auch nicht besonders für die indische Kultur, haben mit Indern eigentlich überhaupt nichts zu tun. Sie halten sich innerhalb ihrer Enklaven auf. Sogar ihre Drogendealer sind Israelis. Das ist schon verrückt.
Wie verlief denn ihr Militärdienst?
Oh, es war schlimm. Ich hatte die ganze Zeit über mit mir zu kämpfen, musste mehrmals ins Gefängnis.
Warum?
Naja, ich sage es mal so: Mein Verhalten war oft dem eines Soldaten nicht angemessen. Das wurde bestraft.
Was war das größte Problem?
Ich wollte meine Individualität nicht für das Kollektiv aufgeben, wollte immer kritisch sein.
Schon als Teenager wird man eingezogen. Ist die Militarisierung der Jugend ein Problem?
Ja und Nein. Als junger Rekrut bekommt man eine enorme Aufgabe. Man befehligt, muss Verantwortung für das Leben und Überleben Anderer tragen. Gleichaltrigen in anderen Kulturen fehlt diese Erfahrung. Gleichzeitig stehen die jungen Rekruten unter ständigem Stress, ihr Adrenalin-Pegel ist konstant auf dem höchsten Level. Viele sehen den Militärdienst auch als Pflicht ihrem Heimatland gegenüber. Als Jugendlicher erfährt man seine Sozialisierung durch den Militärdienst.
Unterscheidet sich Israels junge Generation von der ihrer Eltern?
Nicht besonders. Ich glaube die Ideale der jungen und alten sind dieselben.
Die ersten 60 Jahre des Staates Israel haben die Generationen der Eltern und Großeltern bestimmt. Die Zukunft werden deren Kinder gestalten müssen. Was erwarten Sie?
Vieles hängt von der generellen Entwicklung im Mittleren und Nahen Osten ab. Von der Situation in unseren Nachbarländern. Ich hoffe es gelingt Brücken zu schlagen.
Wie sollte das Israel der Zukunft sein?
Weniger paranoid und weniger isoliert.
Gibt es bei den Mitgliedern der jungen Generation so etwas wie eine große Gemeinsamkeit?
Ich glaube, mehr noch als die vorherigen fühlt sich die heutige junge Generation gespalten: Einerseits sind sie Teil des Westens. Zum anderen suchen sie nach ihrer eigenen Identität. Die israelische Identität ist ja an sich schon komplex. Dann kommt noch die jüdische dazu, und die ist ja noch viel komplizierter.
Ist die junge Generation liberal?
Oh ja, sehr liberal. Sie feiert Parties, trifft Freunde. Ihr Lebensstil unterscheidet sich nicht von dem anderer Jugendlicher im Westen.
Und gibt es es eine Lösung für all diese inneren Konflikte?
Sex, Drugs and Rock n' Roll.
Interview: Reinhard Keck
Yoav Shamir, geboren 1970 in Tel Aviv, studierte an der dortigen Universität erst Geschichte, dann „Film und Fernsehen“ mit dem Schwerpunkt „Dokumentation“. 2001 wird Yoav Shamirs erste (Video-) Produktion „Marta & Luis“ auf dem Filmfestival Edinburgh vorgestellt. 2003 gibt er sein Spielfilmdebüt mit „Checkpoint“, der Preise in München und Amsterdam erhält. Seine Dokumentation „5 Days“, in der er die Räumung der israelischen Siedlungen in Gaza zeigt, war sein bisher größter Erfolg. Sein aktuelles Werk ist die Dokumentation "Flipping Out". Derzeit arbeitet er an einem Film über Antisemitismus.