„Zeige ihnen, was wir hier durchmachen“

Sein Foto zeigt einen verwundeten amerikanischen Soldaten nach einem Angriff der Taliban. Für dieses Bild wurde der britische Fotograf Tim Hetherington mit dem World Press Photo–Preis, dem Oscar der Pressefotografen, ausgezeichnet. Im Interview erzählt er vom Konflikt in Afghanistan, dem tödlichen Alltag der Soldaten und warum er kein „Kriegsfotograf“ sein will.
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Tim Hetherington.
TH Tim Hetherington.

Sein Foto zeigt einen verwundeten amerikanischen Soldaten nach einem Angriff der Taliban. Für dieses Bild wurde der britische Fotograf Tim Hetherington mit dem World Press Photo–Preis, dem Oscar der Pressefotografen, ausgezeichnet. Im Interview erzählt er vom Konflikt in Afghanistan, dem tödlichen Alltag der Soldaten und warum er kein „Kriegsfotograf“ sein will.

Tim Hetherington, wie ist ihr Foto entstanden?

Ich habe das Bild in einem Stützpunkt im Korengal-Tal aufgenommen, einem zentralen Schauplatz im Krieg der Amerikaner in Afghanistan. Das Tal befindet nahe der Grenze zu Pakistan, wo schwere Gefechte mit lokalen Taliban-Gruppen toben. Der Soldat in meinem Foto wurde verletzt, nachdem er Deckung vor dem Feuer der Angreifer gesucht hatte. Es war ein ziemlich harter Tag für alle. Am Abend ruhten wir uns aus, die Kämpfe nahmen ab, wir warteten auf den Helikopter um den Verwundeten auszufliegen. Das Licht war schon sehr schwach, fast Dunkelheit, wie man auf dem Foto sieht.

Ihr Bild ist Teil einer Story über den Afghanistan-Krieg.

Ich berichte für das Magazin Vanity Fair zusammen mit dem Reporter Sebastian Junger über eine bestimmte Einheit, dem sogenannten Second Platoon, Battle Company. Ich will zeigen, wie es ist, an der vordersten Spitze des amerikanischen Krieges in Afghanistan zu sein.

Wie sieht das tägliche Leben der Soldaten aus?

Für manche ist es schon die vierte Kriegs-Tour, viele waren vorher im Irak, nun sind sie in Afghanistan. Obwohl sie beinahe schon an Krieg gewohnt sind, ist es natürlich bei weitem keine normale Situation. Diese Männer sind inmitten von feindlichem Gebiet, in einen Stützpunkt gepfercht. Jeden Tag wird auf sie geschossen, ihre Freunde sterben oder werden schwer verletzt.

Sie haben bereits von Kriegsschauplätzen im Tschad und in Liberia berichtet. Wie haben Sie den Krieg in Afghanistan empfunden?

Ich war besonders von der Intensität der Kämpfe im Korengal-Tal überrascht. Und wie jung die Soldaten sind und wie alt sie geworden sind hinsichtlich ihrer Reife. Wissen Sie, gestern war ich in London unterwegs und dort gibt es 22-jährige Kids, die besessen sind vom Shopping. Und da sind diese Soldaten gleichen Alters in Afghanistan, die mit emotional extrem schwierigen Situationen klar kommen müssen. Es gibt Soldaten, die sind Sergeant und 27 Jahre alt, aber für mich haben sie eine Reife, vergleichbar mit der eines 40-Jahrigen oder vielleicht sogar älteren Mannes.

Woher kommen diese Soldaten?

Viele von ihnen sind Angehörige der Minderheiten: Afroamerikaner, Hispanics oder arme Weiße, aus dem mittleren Westen der USA. Ich frage mich, wie viele Kongress-Abgeordnete haben Söhne, die in Amerikas Kriegen dienen? Ich kenne die Antwort nicht, aber ich nehme an, man kann sie an einer Hand abzählen. Und ich frage mich, was wäre, wenn die Söhne von Politikern in diesen Kriegen sterben würden.

Was bringt Sie selbst dazu ihr Leben zu riskieren?

Ich bin interessiert an visuellen Geschichten und ich versuche nahe an extreme Situationen heranzugehen. Ich würde sagen mich interessieren intensive psychologische Situationen. Es ist aber nicht so, dass ich Kriegen hinterjage, überhaupt nicht.

Es gibt dieses Klischee des mutigen aber auch skrupellosen Kriegsfotografen...

...Ich sehe mich nicht als Kriegsfotografen und es zieht mich nicht per se in Kriegsgebiete. Jeder der versucht, mich so darzustellen, urteilt nach seinen eigenen Vorurteilen. Nur haben die sehr wenig damit zu tun, was ich bin und was ich mache. Gleichwohl denke ich, es ist relativ einfach, über jene sogenannten Kriegsfotografen zu urteilen. Denn das machen Leuten, die nicht einschätzen können, wie schwierig es ist, in diesen Situationen zu arbeiten. Aber das ist eine Debatte, an der ich nicht besonders interessiert bin.

Warum berichten Sie dann über Kriege?

Ich würde nicht sagen mein Fokus liegt auf Konflikten, aber ich denke Konflikt ist wichtig zu zeigen und zu diskutieren. Ich finde, das ist etwas Positives. Manche sagen beim World Press Photo sieht man jedes Jahr erneut nur Krieg und Gewalt, aber ich denke es ist umgekehrt: Wenn Menschen im Krieg sterben, dann ist Krieg nicht zu diskutieren etwas sehr Negatives. Meine Arbeit berührt gelegentlich auch Kriege, aber auf eine - zumindest versuche ich dies immer - möglichst konstruktive Art und Weise.

Gleichwohl scheinen sich besonders in den USA immer mehr Medien eher für die Eskapaden einer Britney Spears zu interessieren und weniger für das Leben eines Front-Soldaten.

Ich denke was veröffentlicht wird und was nicht, hat relativ wenig damit zu tun, was die Leute tatsächlich wollen. Am Ende haben Anzeigen und Werbung den größten Einfluss. Natürlich lässt sich Popkultur viel einfacher konsumieren als etwa Auslandsberichterstattung. Aber beispielsweise sieht man an den Vorwahlen in Amerika, dass die Leute durchaus an Politik interessiert sind. Auch an den sozialen Netzwerken im Internet erkennt man, worüber die Menschen etwas wissen wollen - und dazu gehört auch, was in der Welt passiert.

Sie haben die höchste Auszeichnung erhalten, die in ihrem Beruf möglich ist. Verspüren sie Genugtuung?

Ich bin sehr stolz. Ich fühle mich sehr geehrt, ich hätte nie gedacht, dass ich gewinne. Ich bin jetzt lange genug in diesem Business um zu wissen, dass man diese Preise nicht anstreben sollte - am Ende ist man meistens nur enttäuscht. Meiner Story über Afghanistan hilft diese Auszeichnung natürlich sehr. Die Soldaten in Afghanistan sagten: Zeige den Menschen da draußen, wie es bei uns ist und was wir hier durchmachen. Interview: Reinhard Keck

Tim Hetherington, 1970 in Liverpool geboren, studierte Literatur in Oxford und arbeitete zunächst für Buchverlage. Anschließend studierte er „Fotojournalismus“ und fotografierte für die Obdachlosen-Zeitung ‘The Big Issue’, später dann für die Tageszeitung „The Independent“. Als freier Fotograf und Filmemacher arbeitete Hetherington acht Jahre lang in Sierra Leone und Liberia. Derzeit lebt er in London.

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