Worüber sprechen, wenn man sich nichts zu sagen hat?

Vielen fällt es schwer, ein leichtfüßiges Gespräch zu führen. Tilman Spengler schreibt in seinem neuen Buch über die Kunst der Konversation - und sagt in der AZ, was Beckmann und Kerner falsch machen
von  Abendzeitung
Stumm Löffeln in großer Runde - das geschieht nicht nur in Loriots Klassiker "Pappa Ante Portas"
Stumm Löffeln in großer Runde - das geschieht nicht nur in Loriots Klassiker "Pappa Ante Portas" © Imago

Vielen fällt es schwer, ein leichtfüßiges Gespräch zu führen. Tilman Spengler schreibt in seinem neuen Buch über die Kunst der Konversation - und sagt in der AZ, was Beckmann und Kerner falsch machen

AZ: Hallo Herr Spengler, wie geht’s?

TILMAN SPENGLER: Eine gefährliche Frage.

Dieser harmlose Klassiker?

Die Frage weckt gerade bei Männern, die deutsche Lust zum Klagen. Da werden einem oft Krankheitsgeschichten erzählt, die man gar nicht hören will.

Wetter gilt als Gesprächsstoff Nummer 1 – tritt man da auch ins Fettnäpfchen?

Man muss bedenken, ob man einen Allergiker oder eine Sonnenanbeterin vor sich hat – und wie man sich selbst als Person darstellen will. Wer sich als graues Aktentaschen-Mäuslein präsentieren will, bleibt beim Wetter.

Wie fängt man am besten ein Gespräch an?

Was man sagt, ist letztlich egal. Wichtig ist es, sein Gegenüber zu überrumpeln, seine Neugierde zu wecken. So, wie kürzlich jemand die englische Königin fragte: „Kann es sein, Majestät, dass wir diesselbe Amme hatten?“ Klug, die Altersfrage gleich mit einzubeziehen.

„Sind Sie öfter hier?“, so der Titel Ihres Buchs, ist auch eine populäre Frage-Floskel.

Sie ist ebenfalls nicht unriskant. Wer sie stellt, zeigt, dass er rumrudert, ungeübt in der Kunst der Konversation ist.

Ein gepflegtes Gespräch zu führen ist bei uns, so schreiben Sie, „ein besonders garstiges Problem“. Woran liegt’s?

An der Stärke im Schweigen. Ernst, tiefsinnig, verschlossen, grübelnd – dieses bescheuerte Kultur-Ideal haben wir als Nation so ziemlich alleine.

Was tun, wenn jemand Petersilie zwischen den Zähnen hat?

Worüber sollen Leute sprechen, die an einem Tisch sitzen und sich nichts zu sagen haben?

Notfalls sollten sie aufstehen und sich eine unterhaltsamere Gesellschaft suchen.

Das würde manche vor den Kopf stoßen.

Es gibt kein Regel-Zeugs für Gespräche. Mein Buch ist auch kein Ratgeber.

Wie wär’s trotzdem mit einer Anregung?

Also gut – finden Sie heraus, was an Ihrem Gegenüber auffällig ist, bringen Sie das ins Gespräch. Geben Sie ihm die Möglichkeit, sich ins rechte Licht zu setzen. Da die meisten am liebsten über sich reden, können Sie da nie ganz falsch liegen.

Besonders gern reden Schriftsteller über sich, sagt Marcel Reich-Ranicki.

Da ist was dran. Noch lieber rede ich über andere Schriftsteller.

Manchmal möchte man mitreden, kann es aber nicht, weil einem das Thema fremd ist. Manchmal möchte man mitreden, kann es aber nicht, weil einem das Thema fremd ist.

Nichtwissen ist keine Sünde. Auch, wenn einem das früher in der Schule oft eingetrichtert wurde: „Was, das weißt du nicht – schäm dich!“

Peinlich ist’s meist schon.

Ich bin für Ehrlichkeit. Eine Bildungslücke einzugestehen, ist besser als Lippen und Zähne nicht auseinander zu kriegen.

Gibt es Themen, die man nicht ansprechen sollte?

Nein, alles ist eine Frage der Vorgehensweise, des Geschmacks.

Wenn Sie etwas Petersilie zwischen den Zähnen haben, soll ich da auch ehrlich sein?

Unbedingt. Ich fände es schrecklich, wenn der Zauber meiner Worte durch diese lose Petersilie zerstört würde.

Ist Allgemeinbildung die Voraussetzung für ein gutes Gespräch?

Bildung schadet nie. Schon gar nicht in unserer Gesellschaft, in der einer schon als Alleswisser gilt, wenn er den Ersten Weltkrieg vom Zweiten unterscheiden kann. Aber gehen Sie unauffällig und mit Empathie damit um. Hauen Sie Ihr Wissen anderen nicht wie ein Lexikon um die Ohren.

Warum sagen Ältere so gern krass und geil?

Bildung fängt im Elternhaus an...

... wie alle Probleme. Statt die Kinder zu belehren, da werden sie nur bockig, sollten Eltern erst mal miteinander sprechen.

Viele Ältere reden sich gern jünger – sagen Worte wie krass, endgeil oder Hammer.

Diese Anbiederei finde ich unwürdig und peinlich.

In Ihrem Buch prangern Sie an, dass Redner stets zu Beginn versprechen: „Ich werde mich kurz fassen“.

Das ist sinnenfeindlichst. Vor einem Geschlechtsakt sagt man ja auch nicht, dass man sich kurz fasst.

In Talkshows fassen sich die Gäste gern lang, fallen sich gegenseitig ins Wort.

Typisch Besserwisser, jeder hört sich am liebsten zu.

Lernt man von Talkmastern, wie man ein Gespräch führt?

Nicht von Beckmann und Kerner. Verachtenswert, wie da die Leute vorgeführt werden.

Bringen Rhetorik-Kurse was?

Nur denen, die wie Vertreter reden wollen.

Morgen ist Pfingsten...

... das Fest der feurigen Zungen.

Hat damit die Kunst der Konversation angefangen?

Auf jeden Fall ist das Herabsteigen des Heiligen Geistes, dass sich die Jünger plötzlich in verschiedenen Sprachen verständigen konnten, eine Top-Konstellation für jedes Gespräch.

Unser Gespräch endet jetzt. Trete ich ins Fettnäpfchen, wenn ich Ihnen fröhliche Pfingsten wünsche?

Keine Sorge. Ohne Fettnäpfchen läuft’s nur bei einem Gespräch zwischen mir und meinem Weinglas.

Interview: Renate Schramm

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