Wohnungsmangel beheben? Zurück zur Platte!

Blöcke aus Fertigteilen haben einen schlechten Ruf. Doch laut Experten bietet „serielles Bauen“ die einzige Chance, Wohnungsmangel in den Städten zu beheben.
Carsten Hoefer,dpa |
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Neuperlach wurde seit 1967 im Südosten Münchens als Satellitenstadt "auf der grünen Wiese" errichtet. Unten ein Bild aus den 70er-Jahren.
imago Neuperlach wurde seit 1967 im Südosten Münchens als Satellitenstadt "auf der grünen Wiese" errichtet. Unten ein Bild aus den 70er-Jahren.

Den Plattenbau ereilte nach Einschätzung mancher Bürger 1991 das gleiche Schicksal wie die DDR – der verdiente Untergang. Doch verschwunden ist nur der Name. Tatsächlich erlebt das Bauen mit in der Fabrik vorgefertigten Teilen unter neuem Namen eine Renaissance: Die Branche bevorzugt die Begriffe „serielles“ oder „elementiertes Bauen“.

Manche sprechen von „Platte 2.0“, was in der Baubranche aber nicht gern gehört wird. Nach Meinung vieler Fachleute bietet das serielle Bauen die einzige Chance, den Wohnungsmangel in Deutschland zu beheben. Auf der Münchner Baustoffmesse „Bau 2017“ wird es eines der großen Themen sein.

„Ohne eine stärkere Industrialisierung des Wohnungsbaus werden wir die Probleme auf den Wohnungsmärkten nicht lösen“, sagt Heiko Stiepelmann, stellvertretender Geschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie. „Für uns heißt das: Forcierung des seriellen Wohnungsbaus.“ Der Anlass dieser Forderung: Notwendig wären nach einer auch von Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) verbreiteten Faustformel etwa 400 000 Neubauwohnungen pro Jahr. Doch davon ist Deutschland weit entfernt – 2016 waren es nach einer Schätzung des Münchner ifo-Instituts vielleicht 300 000.

"Künftig sollten stärker Prototypen geplant werden"

Vorgefertigte Bauteile waren keineswegs eine Spezialität der DDR. Den schlechten Ruf verdanken die sozialistischen Plattenbauten nicht der Bauweise, sondern dem monotonen Charakter vieler Großsiedlungen. Standard in den 70er und 80er Jahren waren Gebäude der „Wohnbauserie 70“, die in Berlin-Marzahn und anderen ostdeutschen Städten in vieltausendfacher Ausfertigung errichtet wurden.

Aber auch die in Westdeutschland in den 60er und 70er Jahre auf der grünen Wiese errichteten Hochhausviertel und ihre sozialen Probleme haben Großsiedlungen in Verruf gebracht. Heute hält es die Bauindustrie für sinnvoll, wieder einheitliche Haustypen für den Geschosswohnungsbau zu entwickeln: „Statt bedingungslos dem Leitbild der Einzelfertigung zu folgen, sollten künftig stärker Prototypen geplant werden, die deutschlandweit in Serie umgesetzt werden können“, sagt Stiepelmann. So ließen sich nach Einschätzung des Bauindustrie-Hauptverbands die Kosten senken.

Kostensenkung ist aber keineswegs das einzige Motiv für die Renaissance des seriellen Bauens. In Zeiten knapper Fachkräfte hilft die Vorfertigung, wie Iouri Gigouline erläutert, Vertriebsleiter beim Baukonzern Max Bögl. Das Oberpfälzer Unternehmen hat industriell produzierte Raummodule entwickelt, die wie in einem Baukastensystem ganz unterschiedlich kombiniert werden können. „Es gibt immer weniger Menschen, die im Freien auf der Baustelle arbeiten wollen“, sagt Gigouline. Ihr Modul biete „den Vorteil, dass wir die Leute in der Halle beschäftigen können“.

Deutschland habe lange das Glück gehabt, dass viele günstige Arbeitskräfte aus dem Ausland zur Verfügung standen, sagt Gigouline. „Doch auch das wird weniger. Bei den Architekten steigt daher die Bereitschaft, auf seriell gefertigte Bauteile zurückzugreifen. Auch Wohnungsbaugesellschaften fragen verstärkt nach.“ Die Vorteile für die Bauherren seien vor allem ein fester Preis und ein fester Termin für die Fertigstellung, „sowie hohe Qualität dank industrieller Fertigung“.

Materialien und die Arbeitskräfte kosteten in etwa das Gleiche wie bei der traditionellen Bauweise. „Die Preisvorteile ergeben sich aus der Standardisierung der Fertigungsvorgänge und der verkürzten Bauzeit“, so Gigouline.
Doch ob Architekten, Baufirmen oder Wohnungsgesellschaften – fast alle sehen in den Bauvorschriften ein Hindernis. Denn diese sind alles andere als standardisiert. Jedes Bundesland hat seine eigene Bauordnung, hinzukommen immer weiter verschärfte Anforderungen in der Energieeinsparverordnung oder im Brandschutz.

„Bisher hat sich der serielle Wohnungsbau noch nicht in großem Maß durchgesetzt“, sagt Andreas Winkler, Sprecher des Verbands der Wohnungswirtschaft Rheinland Westfalen. Eine Idee zur Beschleunigung wäre die Typengenehmigung – werden mehrere baugleiche Gebäude errichtet, könnte auch die Baugenehmigung seriell ausgestellt werden. „Doch bisher muss jede Kommune jedes Haus neu genehmigen.“


Ihre Meinung:

Was halten Sie von „seriellem Wohnungsbau“ – schlimme Baukastenarchitektur oder Chance für mehr Wohnungen? Ihre Meinung per Post: AZ, „Leserbriefe, Stichwort Plattenbau“, Garmischer Straße 35, 81373 München.
Oder per Mail: leserforum@az-muenchen.de, Betreff „Plattenbau“

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