„Wir glauben trotzdem, dass sie noch lebt“
Vor einem Jahr verschwand die vierjährige Maddie aus einer Ferienanlage in Portugal. Die Eltern kämpfen weiter um Öffentlichkeit. Doch nach 12 Monaten haben die portugiesischen Behörden keine Ergebnisse.
Das Poster der kleinen Maddie im Fenster ist verblasst. Der Besitzer des Londoner Pubs will es trotzdem hängen lassen. „Die Eltern tun mir leid“, sagt er, „ich bringe es nicht über Herz, das Bild abzunehmen“. Dass sie heute noch so aussieht, das allerdings bezweifle er. „Kinder verändern sich schnell.“Was er nicht ausspricht, sind die viel größeren Zweifel: Daran, dass das Mädchen überhaupt noch lebt, glauben nicht mehr viele. Genau ein Jahr ist es heute her, dass die vierjährige Madeleine McCann aus dem portugiesischen Praia da Luz verschwand.
Ein Jahr, in dem die Eltern in einer beispiellosen Medienkampagne auf ihr Kind aufmerksam machten und schließlich selbst in Verdacht gerieten. Ein Jahr, nach dem die Ermittler einräumen müssten: Wir haben nichts.
Die McCanns machen weiter.
„Ich denke, dass sie wahrscheinlich noch lebt“, sagt Maddies Vater Gerry. Für die TV-Dokumentation „Madeleine: One Year on – Campaign for Change“ ließen sich die Eltern mit der Kamera begleiten. Sie sprechen von ihren Selbstvorwürfen, weil sie zum Zeitpunkt der Verschwindens ihrer Tochter in einer Tapas-Bar waren. „Wenn wir an dem Abend bei ihr gewesen wären, dann wäre alles möglicherweise nicht passiert“, sagt der Vater unter Tränen. Noch immer würden sie überschüttet mit Hassbriefen, als „Abschaum“ und „Psychopathen“ beschimpft.
Schon wenige Tage nach dem Verschwinden des Kindes hatten die Eltern eine gigantische Medienmaschinerie in Gang gesetzt. Das Mädchen mit dem besonderen Fleck im rechten Auge blickte nicht nur von Bauzäunen und Litfaßsäulen, David Beckham rief auf, nach Maddie Ausschau zu halten, Harry-Potter- Erfinderin Joanne K. Rowling spendete 3,7 Millionen Euro.
Doch nicht nur die Medienkampagne war der Grund, warum so viele an Maddies Schicksal Anteil nahmen. Maddie war Synonym für den Albtraum aller Eltern. Es handelte sich nicht um ein Unterschichtenkind, verwahrlost womöglich, unbeaufsichtigt auf der Straße, alleine auf dem Schulweg. Hier ging’s nicht um einen Plattenbau, sondern um eine Ferienanlage, in der Leute der gehobenen Mittelschicht verkehren – die McCanns sind beide Ärzte. Und da verschwindet, einfach so, am Abend, ein Kind aus einer Ferienwohnung, während die Eltern nur wenige Meter weiter sitzen. Alle halbe Stunde wollen die McCanns nachMaddie und ihren Geschwistern Sean und Amelie (beide 3) geschaut haben.
Der erste „Hauptverdächtige“
Die portugiesischen Behörden patzten gleich am Anfang - der Tatort wurde nicht sofort abgeriegelt, auch wurden die Grenzbehörden so spät informiert, dass ein Entführer das Land längst hätte verlassen können. Auch in den Monaten danach führen die Fülle von Spuren und Hinweisen nicht weit. Der erste „Hauptverdächtige“ war der Brite Robert Murat, der in der Nähe des Hotels wohnt. Laut Zeugenaussagen hat er am Abend von Maddies Verschwinden in der Nähe der Wohnung eine Zigarette geraucht. Seine Mutter behauptet allerdings, ihr Sohn sei bei ihr gewesen. Er wurde freigelassen. Inzwischen verklagt er elf britische Zeitungen und einen TV-Sender wegen Verleumdung auf 2,5 Millionen Euro Schadenersatz.
Viel spektakulärer waren andere Verdächtige, die die Polizei ausmachte; Maddies Eltern. An den Stammtischen schwelte der Unmut schon länger: Warum haben sie ihre Kinder überhaupt alleine gelassen? Die Eltern gaben im Lauf der Ermittlungen zu, ihren Kindern gelegentlich Beruhigungsmittel gegeben zu haben, wenn sie abends ausgingen. Auch Experten kritisierten die Medienkampagne: Die Eltern würden ihrem Kind schaden, denn: Sei Maddie wirklich entführt, sei ihr Leben gerade dadurch bedroht, dass ihr Gesicht weltweit bekannt ist.
„Wie in einem Horrorfilm“
Im September 2007 wurden Maddies Eltern offiziell zu Verdächtigen erklärt. Angeblich gab es Blutspuren in ihrem Wagen. Haben sie Maddie versehentlich getötet und dann weggeschafft? War die ganze Kampagne eine Lüge, ein weltweites Theater? Bewiesen ist nichts dergleichen. Die McCanns werden weiter als Verdächtige geführt, ihre Freunde verhört. Gerry McCann betonte, sie hätten sich „wie in einem Horrorfilm gefühlt“, als man sie verdächtigte. Zum Jahrestag will das Paar in einem Gottesdienst in Liverpool an Maddie erinnern. Über den Ermittlungsstand wissen dieMcCanns nichts – „nicht einmal, ob die portugiesische Polizei noch nach Maddie sucht“, sagt Gerry McCann. Dort heißt es nur: „Die Ermittlungen gehen voran.“ Doch auch daran I glauben nicht mehr viele.
Tina Angerer
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