Winnenden: Der Vater des Amokläufers

Nach fünf Jahren: Die Stadt Winnenden klagt gegen die Eltern des Amokläufers - weil sie überhaupt nicht bereit seien, sich an der Schadensregulierung zu beteiligen
von  dpa
Die Trauer sitzt noch immer tief: Gedenken in Winnenden an die Opfer des Amoklaufs.
Die Trauer sitzt noch immer tief: Gedenken in Winnenden an die Opfer des Amoklaufs. © dpa

Die Stadt Winnenden beschließt eine Klage gegen die Eltern des Amokläufers - weil sie überhaupt nicht bereit seien, sich an der Schadensregulierung zu beteiligen. Die Geschichte des Vaters

Winnenden  – Der Streit um Schadenersatz geht auch fast fünf Jahre nach dem Amoklauf von Winnenden weiter. Die Stadt Winnenden hat eine Klage gegen die gegen die Eltern des Täters angekündigt. Die Versicherung und die Anwälte der Opfer und Angehörigen haben unterdessen eine Lösung gefunden. Die Eltern von Tim K. seien nicht bereit gewesen, sich „in irgendeiner Weise“ an der Schadensregulierung zu beteiligen, teilte die Stadt nach einer Gemeinderatssitzung am Dienstagabend mit.

Der 17-jährige Tim K. hatte im März 2009 mit einer Waffe seines Vaters ein Blutbad mit 15 Toten in Winnenden und Wendlingen angerichtet und sich selbst erschossen. In einem Strafprozess war der Vater des Amokläufers wegen fahrlässiger Tötung zu einem Jahr und sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Er hatte die Tatwaffe unverschlossen im Kleiderschrank aufbewahrt. Wer ist dieser Mann, der sich weigert, für den Schaden zu zahlen, den sein Sohn angerichtet? 

Sein pubertierender Sohn hat vor knapp fünf Jahren an seiner früheren Schule und auf seiner Flucht ein Massaker mit 16 Toten angerichtet. Der Vater trägt dafür eine Mitschuld, entschied das Landgericht Stuttgart in zwei Prozessen. In einem Revisionsverfahren wurde seine Strafe auf eineinhalb Jahre auf Bewährung gekürzt. Der Vorsitzende Richter legte Jörg K. damals nahe, das Urteil endlich anzunehmen. „Sie sollten sehen, was Sie sich, Ihrer Familie und den Angehörigen der Opfer antun, wenn das Verfahren in die nächste und nächste und nächste Runde geht.“ Wer ist dieser Mann, der in beiden Prozessen nur durch Schweigen auffiel?

Nach Auskunft seines Anwalts, Erik Silcher, ist Jörg K. (55) ein gebrochener Mann und völlig mittellos. „Er ist kein Mensch, der Gefühle nach außen trägt. Moralisch fühlt er sich extrem verantwortlich, juristisch aber nicht.“ Wegen der horrenden Prozesskosten habe er seine Firma verkaufen müssen, arbeite seither dort nur noch als Angestellter. Das gemeinsame Domizil der Familie in der Nähe von Winnenden sei zwar verkauft worden, aber mit Schulden belastet gewesen. Von daher sei nichts übriggeblieben.

Die Eltern des Amokläufers waren nach Auskunft der Stadt Winnenden nicht im Ansatz bereit, für die bei dem Amoklauf in Winnenden entstandenen Schäden aufzukommen. Sie hätten alle Vorschläge hierzu abgelehnt. „Dabei wären die Stadt Winnenden und die Unfallkasse Baden-Württemberg bereit gewesen, den Eltern bei der Schadensregulierung sehr weit entgegenzukommen“, hieß es aus dem Gemeinderat, der deshalb beschloss, die Eltern zu verklagen. Zuletzt hätte sich die Stadt sogar mit 750 000 Euro zufriedengegeben. Obwohl sich die Schäden auf rund 9,5 Millionen Euro belaufen sollen. Der Anwalt der Stadt, Jens Rabe, hat für den Vater des Amokläufers kein Verständnis: „Mal wieder igelt er sich ein, und versucht nicht, eine menschliche Lösung zu finden. Dieser Mann hätte die Chance gehabt, endlich reinen Tisch zu machen.“

Auch der Vater hat es mehr mit Waffen als mit Gesprächen, glauben Gutachter

Jörg K. hat Klage gegen das Zentrum für Psychiatrie in Weinsberg eingereicht. Er will damit die Übernahme von Schadenersatzforderungen erreichen. Der Hintergrund: Die Klinik habe ihm nicht von der Gefahr berichtet, die von seinem Sohn ausging. Den Ärzten des Klinikums wirft Anwalt Silcher vor, sie hätten bei Sitzungen von Mai bis September 2008 die Gefahr erkennen können, die von dem Jugendlichen ausging. Die Eltern seien darüber nicht informiert worden. Tim K. hatte einem Zwischenbericht der Klinik zufolge unter anderem von Hass gesprochen und Tötungsfantasien geäußert. Das Geld wolle der Sportschütze aber nicht für sich, betont Silcher. Der Mann habe nicht einmal genügend Mittel, um die Klage zu finanzieren. Deswegen sei Prozesskostenhilfe beantragt worden. Laut Rabe müssen die Vermögensverhältnisse vor einem Prozess nicht offenbart werden. „Vor einem Urteil oder einem Vergleich kann man niemanden zwingen, sich zu seinen Vermögensverhältnissen zu äußern.“ Deswegen verklage die Stadt Winnenden den Vater.

Einen tieferen emotionalen Zugang zu seinem Sohn hatte Jörg K. angeblich nicht, aber möglicherweise eine ähnliche Art, persönliche Defizite zu kompensieren. So interpretieren die Gutachter das kleine Arsenal an Gewehren und Pistolen sowie tausende Schuss Munition, die der Vater zu Hause aufbewahrte. Dass er auch mit seinem Sohn Tim zum Schießtraining mit der späteren Tatwaffe ging, obwohl er von psychischen Problemen wusste, könnte unter Sprach- und Hilflosigkeit abzubuchen sein: Wenn schon kein Gespräch über seelische Nöte möglich war, wollte der Vater seinen Sohn wohl wenigstens unter Leute bringen. Auch sonst versuchten die Eltern, dem kontaktarmen Tim all seine Wünsche zu erfüllen – und seien es Killerspiele für den PC, Horrorfilme oder eine Softair-Pistole vom Typ Beretta. Mit einer echten Pistole diesen Typs richtete er am 11. März 2009 an seiner früheren Schule in Winnenden und Wendlingen ein Blutbad an. Die Tatwaffe hatte sein Vater unverschlossen im Schrank aufbewahrt.

 

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