Wie sicher ist der ICE?
BERLIN - „Die Bahn hat bisher vor allem Glück gehabt.“ Erschreckende Berichte: Viele Achsen erfüllen europäische Festigkeits-Normen nicht. Experten warnen vor einer tickenden Zeitbombe. Die Lösung der Bahn? Die Zugtoiletten sollen gesperrt werden
Schon wieder Sicherheitsprobleme bei der Bahn: Offenbar werden bei einigen Laufradachsen von ICE-3-Zügen die europäischen Festigkeits-Normen nicht eingehalten. Experten warnen vor einer tickenden Zeitbombe. Der Bahn-Konzern weist das offiziell zurück – und sucht in vertraulichen Briefwechseln mit dem Eisenbahn-Bundesamt hektisch nach Lösungen.
Erst vor sechs Wochen war ein Zug im Kölner Hauptbahnhof entgleist, weil eine Antriebsachse glatt durchgebrochen war. „Das Leben einer Vielzahl von Menschen war unmittelbar in Gefahr“, warnte das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) damals. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen ein, die Bahn ließ ihre Züge überprüfen – und gab Entwarnung. Nur: Die jetzt beanstandeten Radachsen sind aus einem ganz anderen Werkstoff als die Achse, die in Köln durchgebrochen war. Gibt es also noch viel mehr Probleme als zunächst angenommen?
„Für diesen Laufradsatz wird die Dauerfestigkeit nicht nachgewiesen“, zitieren das ARD-Magazin „Monitor“ und „Spiegel Online“ einen vertraulichen Brief der Bahn vom 5. August an das EBA. Der Ingenieur Vatroslav Grubisic, ehemals Experte für Zugräder und Achsen am Fraunhofer-Institut, ist fassungslos: „Im Prinzip dürfte man solche Achsen nicht einbauen. Es ist unverständlich, dass sie seit Jahren im Einsatz sind.“
Absurde Lösungsvorschläge
Das EBA ließ jetzt mitteilen, dass die Herstellerangaben bei der Zulassung der Achsen fehlerhaft gewesen seien. Und die Bahn hat recht absurde Lösungsvorschläge. So soll ein Großteil der Zug-Toiletten geschlossen werden – ohne das mitgeführte Frisch- und Abwasser verringere sich die Last auf die Achse, heißt es.
Außerdem schlug die Bahn dem EBA vor, die Bremsen an den Problem-Achsen abzuschalten. „Durch das Abschalten der Wirbelstrombremsen an diesen Mittelwagen kann die Kraftbeanspruchung reduziert werden“, heißt es in einem weiteren Brief.
Im Klartext: Züge, die streckenweise mit 300 Sachen durch die Lande brettern, sollen künftig nur noch mit halber Bremskraft fahren. Die Behörde hält die Vorschläge für ausreichend – ordnete darüber hinaus aber an, dass die Wartungs-Intervalle verkürzt werden. Ab sofort sollen die ICEs alle 120000 Kilometer überprüft werden.
"Bisher vor allem Glück gehabt"
Früher waren Wartungsintervalle von 72000 Kilometern üblich. Das hatte die Bahn im Jahr 2005 raufgesetzt auf 144000 Kilometer – aus Kostengründen. Schließlich will der Konzern so bald wie möglich an die Börse. Bahn-Vorstand Karl-Friedrich Rausch wies die Vorwürfe zurück: „Es ist nicht sachgerecht, von einem einzelnen Bruch vorschnell auf die Unsicherheit aller Achsen zu schließen.“ Die Bahn dementierte auch Berichte, wegen der Unfälle mit dem ICE-3 seien Engpässe entstanden, weshalb Frankreichs Staatsbahn SNCF der Bahn einen TGV ausleihen müsse. Noch wird übrigens geprüft, ob die Bahn künftig weiterhin 300 Stundenkilometer schnell fahren darf oder die Geschwindigkeit erstmal drosseln muss. Für Ingenieur Grubisic ist klar: „Die Bahn hat bisher vor allem Glück gehabt.“