Wie George Clooney: Die sanfte Rausschmeißerin

Wenn Unternehmen Mitarbeiter feuern, rufen sie Elke Schmidt. Die bringt es ihnen schonend bei – und erlebt trotzdem heftige Gefühlsausbrüche. Taschentücher gehören zu ihrer Arbeitsausrüstung
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Zum Gespräch, bitte! Die Münchner „Change Managerin“ Elke Schmidt sieht sich vor allem als Türöffnerin.
Petra Schramek Zum Gespräch, bitte! Die Münchner „Change Managerin“ Elke Schmidt sieht sich vor allem als Türöffnerin.

Wenn Unternehmen Mitarbeiter feuern, rufen sie Elke Schmidt. Die bringt es ihnen schonend bei – und erlebt trotzdem heftige Gefühlsausbrüche. Taschentücher gehören zu ihrer Arbeitsausrüstung

Und plötzlich bricht der 150-Kilo-Mann in Tränen aus und weint wie ein Kind und hört nicht mehr auf. Er hat soeben seinen Arbeitsplatz verloren. Da tröstet es ihn auch wenig, dass kein Geringerer als der smarte George Clooney die unfrohe Botschaft überbringt.

Eine Szene aus der für sechs Oscars nominierten Tragikomödie „Up in the Air“. Darin verkörpert der US-Schauspieler einen Mann, der einen Job verrichtet, der die meisten Menschen wohl in tiefe Depressionen treiben dürfte: Er teilt anderen ihre Entlassung mit.

Auch Elke Schmidt hat sich den Film wie eine halbe Million andere Deutsche angesehen – und dabei oft mit dem Kopf genickt. Denn die 58-Jährige erledigt einen vergleichbaren Job. Nicht in Hollywood, sondern in München.

Wenn hiesige Unternehmen Mitarbeiter entlassen, rufen sie nach ihr, damit sie es den Betroffenen schonend vermittelt: in Ruhe mit ihnen redet, Kaffee trinkt, die Gründe der zuvor von der Firma ausgesprochenen Kündigung nochmal erläutert, Tränen trocknet und neue Perspektiven aufzeigt. Also alles das tut, wofür die meisten Chefs keine Zeit und worauf sie natürlich auch manchmal keine Lust haben.

„Ich sehe mich eher als Türöffnerin“

Der AZ-Reporter trifft die Rausschmeißerin. Ein mulmiges Gefühl, jener Frau gegenübertreten, für die das Wort „Rezession“ wie Poesie klingen muss, für die die Schlagzeile, dass ein Betrieb hunderte Mitarbeiter entlässt, eine gute Nachricht ist und für volle Auftragsbücher sorgt.

Doch Elke Schmidt ist anders als George Clooney in „Up in the Air“, der darin mit professioneller Anteilnahme sein Programm abspult, emotionale Fließbandarbeit leistet. Wie die Münchnerin ihre Rolle interpretiert, wird schon beim Fototermin deutlich. Nur ungern möchte sie vor einer Tür posieren. „Nicht, dass der Eindruck entsteht, ich würde Leute vor die Tür setzen“, sagt die Blondine mit den hellblauen Augen. „Ich sehe mich eher als Türöffnerin.“ In ein neues Leben. Oder so.

George Clooney überreicht jedem frisch Geschassten ein „Dossier“, in dem es vor allem um die rechtliche Absicherung des Arbeitgebers geht. Schmidt möchte eine „lebensabschnittsgerechte Neuorientierung“ bieten. Das klingt natürlich etwas schönfärberisch, und auch die schockierten Angestellten müssen erst davon überzeugt werden.

„Wer jemals ein Imperium aufgebaut hat, war genau in Ihrer Situation!“

„Sehen Sie es als Chance“ – dieser Satz sei tabu, betont Betriebspädagogin Schmidt. Ein falsches Wort könne verheerend sein, wenn es der Betroffene danach der Abteilung berichtet und so auch die Arbeitsmoral der verbleibenden Kollegen drückt. Clooney hat sich seinen Standardsatz zurechtgelegt: „Wer jemals ein Imperium aufgebaut hat, war genau in Ihrer Situation!“

Salbungsvolle Worte, die selbstverständlich nicht bei jedem gut ankommen. Wie Clooney erleben auch Schmidt und ihre Kollegen in der boomenden „Outplacement“-Branche sehr unterschiedliche Reaktionen: vom Familienvater, der das Portemonnaie mit den Kinderfotos auf den Tisch knallt bis zur Auszubildenden, die kreidebleich wird und kein Wort sagt. Es gebe Phasen, so Schmidt. „Zuerst kommt die Angst, dann Wut, dann Trauer – und danach erst Kreativität.“

„Das geht mir schon nahe“

Sie bedauert, dass es in Deutschland noch keine richtige „Trennungskultur“ gebe. „Wir haben so viele Rituale für den Einstand eines Mitarbeiters, die Entlassung wirkt aber leider oft improvisiert.“

In „Up in the Air“ kommt eine junge Karrieristin sogar auf die Idee, das Ganze kostensparend per Videobotschaft zu erledigen. Eine Szene, bei der Schmidt im Kino den Kopf schüttelt: „Wie soll so etwas funktionieren? Der sieht das Video, sitzt da – und dann?! Das wäre unmenschlich und ist unrealistisch.“

Wie sie mit der Realität lebt, täglich frisch Entlassenen gegenüberzusitzen? „Das geht mir schon nahe und kostet Kraft“, sagt Elke Schmidt. „Beim Laufen kriege ich den Kopf frei.“

Timo Lokoschat

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