Wen schützt der Verfassungsschutz?

Die Döner-Mordserie bringt die Behörden in Bedrängnis – besonders die Verfassungsschützer in Thüringen, Sachsen und Hessen: Was wussten deren Ermittler? Haben Aktivitäten des Verfassungsschutzes das Entstehen des braunen Netzwerks, aus dem die mutmaßlichen Mörder stammen, begünstigt und gefördert? Und was suchte ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes am letzten Tatort in Kassel, Minuten, bevor dort 2006 Halit Yozgat erschossen wurde?
Die beiden toten Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt haben ihre politischen Wurzeln beim so genannten Thüringer Heimatschutz – eine rechtsextremistische Organisation mit einem V-Mann des Verfassungsschutzes an ihrer Spitze: Tino Brandt. Der 36-Jährige galt als Kopf der Neonazi-Szene in Thüringen – die inhaftierte Beate Z., Mundlos und Böhnhardt waren im „Heimatschutz“ aktiv und tauchten auch als Rechtsextremisten im Verfassungsschutzbericht des Landes auf.
Brandt war fast seit Beginn seiner politischen Aktivität bis 2001 ein Spitzel des Verfassungsschutzes. 200000 Mark soll ihm die Behörde in den sieben Jahren seiner Tätigkeit gezahlt haben. Brandt wurde Landes-Chef der NPD – das Geld benutzte er nach eigenen Angaben, um den Heimatschutz aufzubauen. Dessen Aktivisten bauen Rohrbomben, horten Sprengstoff. 1997 wird das Trio festgenommen, aber schnell wieder freigelassen. Sogar der Polizei kommt der Verdacht, dass sie mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten.
Ein entsprechender Vermerk, dass Beate Z. eine Verbindungsfrau des Verfassungsschutzes ist, findet sich sogar in den Akten des Landeskriminalamts, gilt aber mittlerweile als nicht mehr zutreffend. Als sie 1998 untertauchen, werden sie weiter mit Pässen und Autos unterstützt – mutmaßlich von ihren Gesinnungsgenossen. 2003 wird das Verfahren von 1998 wegen des Fundes von 1,4 Kilo TNT wegen Verjährung eingestellt. Da haben die drei schon vier Morde auf ihrem Gewissen. Offensichtlich konnten sie sich also relativ ungehindert in der Republik bewegen – und auch, als nach dem Mord in Nürnberg ein Phantombild erstellt wird, das zumindest Uwe Böhnhardt sehr ähnlich sieht, bleibt ein Fahndungserfolg aus.
Stattdessen geschieht etwas sehr Seltsames: Ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes wird festgenommen, verhört und dann wieder auf freiem Fuß gesetzt. Die Polizei in Kassel war auf ihn gestoßen, als sie den Tod von Halit Yozgat aufklären wollte. Der wurde im April 2006 in seinem Internet-Café erschossen – das neunte Opfer der Döner-Mordserie. Die Beamten gleichen Spuren ab, suchen die letzten Besucher des Cafés. Drei melden sich freiwillig – vom vierten und letzten fehlt jede Spur. Zehn Tage später finden sie ihn – es ist ein hauptamtlicher Mitarbeiter des Verfassungsschutzes.
Er behauptet, er habe dort nur privat gesurft und sich selbst mit dem Vorfall, den er nur aus der Zeitung kenne, nicht in Verbindung gebracht. Die Fahnder durchsuchen seine Wohnung, finden ein Buch über Serienmorde. Aber der Verfassungsschützer hat ein Alibi für mehr als einen Mord. Schnell gilt er nicht mehr als Beschuldigter, die Behörden sprechen von einer „Verkettung unglücklicher Umstände“. Die Politiker des hessischen Landtags, die die Arbeit des Verfassungsschutzes eigentlich kontrollieren sollten, erfuhren davon drei Monate später aus der Zeitung.
Es war der letzte Mord an ausländischen Kleinunternehmern durch die nun toten mutmaßlichen Täter. Der oberste Verfassungsschützer Thüringens, Thomas Sippel, hatte bereits vor zehn Jahren versucht herauszufinden, ob das Neonazi-Trio als Informant für seine Behörde gearbeitet habe. Das Ergebnis ist unbefriedigend: Es gab keine Hinweise, aber „letzte Zweifel konnten auch nicht beseitigt werden“.
Dem „Focus“ sagte er, dass es aber möglich sei, dass sein Vorgänger sie auf eigene Rechnung geführt habe. Der Münchner Bundestagsabgeordnete und ehemalige KVR-Chef Hans-Peter Uhl schließt nicht aus, dass aus den Ermittlungen zur Mord-Serie eine Verfassungsschutz-Affäre entsteht: „Ich habe das Gefühl, das wird noch sehr interessant“, sagte er der „Mitteldeutschen Zeitung“.
„Terrorismus in der Nähe der RAF“
Die Erkenntnisse schrecken Politiker aller Parteien auf. „Das muss ein Weckruf sein“
BERLIN - Bei Politikern aller Parteien schrillen die Alarmglocken: Ist das Problem rechter Gewalt jahrelang verharmlost worden? Und: Welche Rolle spielt der Verfassungsschutz? Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Erkenntnisse „erschreckend und außergewöhnlich“. Man müsse ihnen „mit größter Sorgfalt nachgehen“. Und: „Die Vorfälle lassen Strukturen erkennen, die wir uns so nicht vorgestellt hätten.“ Ihr Innenminister Hans-Peter Friedrich veranstaltete am Sonntag eine Sonder-Pressekonferenz und erklärte: „Es sieht so aus, als hätten wir es tatsächlich mit einer neuen Form des rechtsextremen Terrorismus zu tun.“ Unionsfraktionschef Volker Kauder sieht die Taten „in der Nähe des Terrorismus’ der RAF. Dieses Maß an politisch motivierter Menschenverachtung ist erschütternd.“ CSU-Ministerin Ilse Aigner findet die Vorgänge „unglaublich“, am Mittwoch werde sich das Kabinett damit beschäftigen. Hinterfragt wird vor allem die Rolle der Ermittler, insbesondere des Verfassungsschutzes. Thomas Oppermann (SPD), Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, hat für diese Woche eine Sondersitzung der Gruppe einberufen. „Ich will wissen, was die Behörden wussten. Das muss ein Weckruf für die Bekämpfung des Rechtsextremismus sein.“ Ralf Stegner, Landeschef der SPD Schleswig-Holstein: „Dass über ein Jahrzehnt rechtsextreme Mörder skrupellose Mordtaten verüben können und eher per Zufall entdeckt werden, wirft viele Fragen auf.“ Zum Beispiel auch, ob die Ermittler vielleicht nicht so genau hinsehen wollten. Grünen-Chefin Claudia Roth: „Es rächt sich verheerend, in welcher Art und Weise nicht zuletzt diese Bundesregierung Rechtsextremismus und seine Gefahren verharmlost und ignoriert hat.“ Muslimische, türkische und jüdische Verbände forderten eine entschiedenere Bekämpfung der Gefahr von rechts. Dieter Graumann, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, verlangte ein Verbot der NDP.