Warum viele Männer erst spät Väter werden

Später als eigentlich geplant entscheiden sich Männer der «Generation Praktikum» für ihr erstes Kind. Eine veränderte Arbeitswelt und überholte Rollenklischees blockieren den Wunsch nach Familie.
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Kinder kommen gleichzeitig mit den Geheimratsecken
dpa Kinder kommen gleichzeitig mit den Geheimratsecken

Später als eigentlich geplant entscheiden sich Männer der «Generation Praktikum» für ihr erstes Kind. Eine veränderte Arbeitswelt und überholte Rollenklischees blockieren den Wunsch nach Familie.

Vor einem halben Jahr endlich war es soweit: Michael Kuhlow (Name geändert) wurde mit 41 Jahren Vater, ein langgehegter Wunsch. Seine früheren Partnerinnen wollten kein Kind. «Dann musst du warten und wirst älter und älter», sagt der freiberuflich arbeitende Journalist. Ob aber Job und Kind zusammen passen, darüber habe er sich nie den Kopf zerbrochen: «Das geht immer irgendwie.» Im ersten Jahr mit dem Baby hat er die Rolle des Alleinverdieners übernommen: «Ich sehe das aber nicht dogmatisch. Danach kann meine Freundin Karriere machen.»

Die jungen Männer und ihre Einstellung zu Kindern und Familie hat jüngst das Deutsche Jugendinstitut in München in den Blick genommen. In der Studie «Null Bock auf Familie? Der schwierige Weg junger Männer in die Vaterschaft» kommt es zu dem Ergebnis, dass mehr als 92 Prozent der jungen kinderlosen Männer zwischen 15 und 33 Jahren später einmal Vater werden wollen. Allerdings liegt der Anteil derjenigen, die ihren Wunsch dann auch realisieren, um einiges niedriger. «Uns hat einerseits überrascht, dass der Kinderwunsch tatsächlich so hoch ist und andererseits, wie viele Männer kinderlos bleiben», sagt Claudia Zerle, Autorin der Studie.

Kindheit der Männer spielt Rolle bei Vaterschaft

Neu ist, dass die Untersuchung in einer Mischung aus Jugend- und Familiensoziologie kinderlose Männer und Väter nach ihren Motiven befragt hat.

Befragt wurden im Auftrag der Bertelsmann Stiftung deutschlandweit 1800 Männer zwischen 15 und 42 Jahren. Die Wissenschaftler gehen davon aus, «dass sehr früh die Weichen dafür gestellt werden, ob und warum Männer (keine) Väter werden wollen und ob und wie sie eine Vaterschaft leben wollen». Männer etwa, die mit mehreren Geschwistern und bis zu ihrem 15. Lebensjahr mit beiden Elternteilen aufgewachsen sind, wollen häufiger drei oder mehr Kinder in die Welt setzen.

Später als eigentlich geplant bekommen Männer der «Generation Praktikum», die beim Berufseinstieg eine Phase unsicherer Arbeitsverhältnissen durchlaufen, ihr erstes Kind. Am liebsten würden sie im Schnitt mit 28 Jahren erstmals Vater werden, verschieben das aber auf das Alter zwischen 29 und 33. Grund sind nach Ansicht des Deutschen Jugendinstituts nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen: Die Jugendphase, die heute weit bis ins dritte Lebensjahrzehnt hinein reicht, wird durch verlängerte Ausbildungszeiten überdehnt.

Wunschvorstellung: Erst Beziehung und Arbeit, dann Familie

Hinzu kommt, dass sich - vor allem im Westen Deutschlands - die Mehrheit der Männer nach wie vor der klassischen Ernährerrolle verschreibt. Knapp 60 Prozent der Befragten machen ein «ausreichendes Einkommen, um eine Familie ernähren zu können» zur Bedingung für ein Kind. Ebenso viele wünschen sich zunächst einen sicheren Arbeitsplatz. Und nicht zuletzt wollen zwei Drittel der Männer erst dann das Wagnis der Vaterschaft eingehen, wenn sie eine stabile Beziehung haben. Kein Wunder also, dass von den Männern zwischen 35 und 40 Jahren mehr als ein Drittel kinderlos ist. Und wer doch Vater geworden ist, tappt oft in die «Modernisierungsfalle», gibt Thomas Rauschenbach zu bedenken, Direktor des Jugendinstituts: Die Männer finden sich in einer ambivalenten Vaterrolle wieder, weil sie einerseits Geld verdienen, andererseits aber auch Zeit für das Kind haben wollen.

«Es muss vom Arbeitgeber aus die Möglichkeit da sein, dass man ohne Angst hingeht und sagt: 'Ich würde gern heimgehen zum Kind für ein halbes, dreiviertel Jahr, vielleicht von Voll- auf Teilzeit abspecken für die Zeit'», sagt der 27-jährige Bernhard Wiesner (Name geändert), einer der befragten Männer. Und Ingmar Siebert (Name geändert), 23, Single, keine Kinder, befürchtet: «Ich kann mir gut vorstellen, dass man doch als Hausmann eher ein bisschen schief angeschaut wird. Dieses Rollenverständnis hat sich über Generationen hinweg so eingeprägt, dass noch viele in dieser Kategorie denken, auch wenn sie's vielleicht nicht offen zugeben.»

Vorbilder wichtig

Deshalb brauchen junge Männer «facettenreiche Bilder vom Mann- und Vatersein», fordern Claudia Zerle und ihre Co-Autoren. Dabei spielten Vorbilder als Identifikationsfiguren eine zentrale Rolle: der aktive Vater in der Nachbarschaft, ein in seiner Familie engagierter Chef oder ein Lehrer in der Schule. «Gerahmt werden müssen diese neuen Rollenbilder allerdings auch durch strukturelle Bedingungen der Arbeitswelt und staatliche Maßnahmen». Das Deutsche Jugendinstitut schlägt etwa vor, Ausbildungen auch in Teilzeit möglich zu machen. Neben Kinderbetreuungs-Einrichtungen an Hochschulen plädiert es außerdem für sozialstaatliche Transfers an junge Menschen sowie ein Eltern-Bafög. Wenn außerdem der Arbeitgeber für betriebliche Kinderbetreuung, familienfreundlichere Arbeitszeiten und mehr Teilzeit-Arbeitsplätze sorgt, würden Männer - und Frauen - sich schneller für Kinder entscheiden. (Isabel Fannrich-Lautenschläger, epd)

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