Walter Kohl über den Bruch mit dem Vater: Abgründe einer Familie

Walter Kohl wäre fast an der Rolle als Sohn des Altkanzlers zerbrochen. Jetzt verarbeitet er sein Leben in einem Buch.
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Die Kohls: Familien-Idyll 1975 mit den Söhnen Walter (re.) und Peter. „Wir liefen auf seiner politischen Bühne mit, als Teil des Bühnenbildes.“
dpa Die Kohls: Familien-Idyll 1975 mit den Söhnen Walter (re.) und Peter. „Wir liefen auf seiner politischen Bühne mit, als Teil des Bühnenbildes.“

Walter Kohl wäre fast an der Rolle als Sohn des Altkanzlers zerbrochen. Jetzt verarbeitet er sein Leben in einem Buch.

Er hat unter ihm gelitten, dem übermächtigen Vater, der nur als „Gast“ zuhause war und der der Politik alles opferte, inklusive der Familie. Walter Kohl hat Zeit seines Lebens versucht, mit seiner Rolle als „Sohn vom Kohl“ zurechtzukommen. Fast wäre er daran zerbrochen, in besonders dunklen Stunden schien ihm Selbstmord als einzige Lösung. Doch jetzt, mit 47 Jahren, begehrt Walter Kohl auf gegen die „Bürde meiner Herkunft“. In seiner Autobiografie „Leben oder gelebt werden“ (Integral-Verlag), die am 14. Februar erscheint, schrieb sich der gelernte Volkswirt sein Leben von der Seele. Ein Versuch, endgültig aus dem Schatten des Vaters zu treten.

Der unnahbare Vater

1963 wurde Walter, der ältere der beiden Kohl-Söhne, geboren. Die Familie lebte damals noch in Ludwigshafen-Gartenstadt. 1971 zogen die Kohls in die Villa nach Oggersheim.

Doch meist war der Vater weit weg, dem Sohn erschien er zu Hause wie ein seltener „Gast“, der sich nach den Mahlzeiten in seinem kleinen Arbeitszimmer vergrub. „Es war selten, dass er sich mit uns beschäftigte.“ Anders Mutter Hannelore. Sie war die „allerwichtigste Person im Familienkosmos“.

In seinem Buch beschreibt Walter Kohl, wie er früher seinen besten Freund glühend beneidete, weil dessen Vater Fernfahrer war. „Sein Vater fuhr immer im Lkw vor, was mir sehr imponierte. Als Zeichen, dass er da war, ließ er die Hupe ertönen. Mein Vater dagegen kam immer irgendwie auf leisen Sohlen nach Hause, den Kopf voller Gedanken. Damit konnte ich wenig anfangen.“ Das bittere Fazit: „Jeder Junge wünscht sich einen Vater, mit dem er gemeinsam die Welt erkunden kann, der mit ihm zelten geht oder Fußball spielen. Ich habe es nicht geschafft, meinen Vater zu erreichen.“

Die wahre Familie

Seine Heimat war und ist die Politik, schreibt Walter Kohl über seinen Vater. „Seine wahre Familie heißt CDU, nicht Kohl. Niemals hätte er, mit ganz wenigen Ausnahmen, einen Partei- oder Ämtertermin zugunsten einer familiären Verpflichtung fallen lassen. Wir liefen auf seiner politischen Bühne mit, als Teil seines Bühnenbildes, aber ohne tragende Rolle.“ Seine Mutter habe zwar immer propagiert, dass es irgendwann besser werde, der Vater mehr Zeit für die Familie haben werde. „Aber da gab sie sich einer Selbsttäuschung hin.“

Der Tod der Mutter

2001 beging Hannelore Kohl in der Villa in Oggersheim Selbstmord. Sie hatte jahrelang an einer schweren Lichtallergie gelitten.

Walter Kohl erfuhr nicht vom Vater, sondern von dessen Büroleiterin Juliane Weber vom Tod der geliebten Mutter. Er rast nach Hause, bricht weinend am Leichnam seiner Mutter zusammen. Stunden dauert es, bis er wieder einen klaren Gedanken fassen kann. „Mein Blick fiel auf die Schüssel auf dem Nachttisch, und ich wusste sofort, auf welche Weise sie in den Tod gegangen war. Sie hatte alles systematisch vorbereitet, sie hatte die Medikamente, aus denen sie sich den tödlichen Trank mixte, sorgfältig gesammelt.“ Während er am Leichnam seiner Mutter trauert, liest er ihren Abschiedsbrief. Den Inhalt verschweigt er. Die Folgen des Selbstmords seiner Mutter fasst er in knappen Sätzen zusammen. „Hier wird nichts mehr so sein, wie bisher. Ihr Weggang wird unser Haus, unsere Familie für immer verändern.“

Damals habe er auch ganz konkret an Selbstmord gedacht. Er plante schon die Details: Es sollte wie ein Tauchunfall aussehen, er besorgte extra die Ausrüstung. Nur der Gedanke an den eigenen Sohn habe ihn davon abgehalten.

Der Bruch mit dem Vater

Nach dem Tod Hannelore Kohls verschlechtert sich das ohnehin angespannte Verhältnis zu seinem Vater zusehends. Zum Eklat kommt es, als Helmut Kohl eine neue Beziehung eingeht. Maike Richter ist Regierungsdirektorin im Bundeswirtschaftsministerium und 34 Jahre jünger als der Alt-Kanzler. 2008 heiraten sie. Seine Söhne informiert Helmut Kohl per Telegramm. „Mir wurde sogleich klar, dass durch die Wahl dieses speziellen Kommunikationsmittels eine einmalige, abschließende Information gegeben werden sollte. Eine Tatsache war geschaffen worden. Sie war final und nicht mehr zu diskutieren.“ Es ist eine überraschende Nachricht. „Es war nur wenige Wochen nach Vaters schwerem Sturz zu Hause in Oggersheim. In der damaligen Krise wurde nie von einer bevorstehenden Hochzeit gesprochen.“

Doch schon zuvor hatte Maike Richter die Söhne auf Distanz gehalten. „Sie wollte so wenig wie möglich mit der ,alten’ Familie, der Familie Hannelores, zu tun haben“, schreibt Walter Kohl. „Dies hatte sie mir schon mehrfach bedeutet. Einmal hatten wir eine heftige Auseinandersetzung, und ich fragte sie, warum es so schwierig sei, schon einfache Besuche zu organisieren. Sie gab mir ganz unverblümt zu verstehen, dass sie meinen Vater am liebsten für sich ganz alleine haben wollte.“

Im August 2008 gibt Walter Kohl sein erstes Interview, und spricht darin auch über seine Enttäuschung, dass weder er noch sein Bruder zur Hochzeit geladen worden waren. Dieses Interview führt zum endgültigen Bruch mit dem Vater, der dem Sohn nicht verzeihen kann, dass er öffentlich über Privates sprach. „Mein Vater hat sich inzwischen vollständig von mir losgesagt. Auf meine direkte Frage: Willst du die Trennung? antwortete er mir nur knapp: Ja.“ Bis heute dauert die Trennung an.

Beatrice Oßberger

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