Von zuhause aus arbeiten: Grüne fordern Home-Office für Jedermann?

Die Smartphones und Tablets machen es möglich – die engen Grenzen zwischen der Arbeitswelt und dem Privatleben lösen sich zunehmend auf, die beiden bislang strikt getrennten Welten verschmelzen ineinander. Dienstliche Mails können auch noch zuhause gelesen werden. Dokumente oder andere Unterlagen kann man überall bearbeiten, auch außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit.
Als Konsequenz dieser Entwicklung fordern die Grünen für alle Beschäftigten in Deutschland einen Rechtsanspruch auf flexibles Arbeiten und ein Home-Office – „sofern keine wichtigen betrieblichen Gründe dagegen sprechen“.
Arbeiten daheim: Immer weniger tun's
In einem Papier, das der AZ vorliegt, appellieren die Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Kerstin Andreae, und Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner an Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), den Weg für einen Rechtsanspruch freizumachen. „Appelle aus der Politik reichen für einen Umbruch nicht aus.“ Alle Beteiligten – Arbeitgeber, Gewerkschaften und Beschäftigte – stünden in der Pflicht, „Lösungen für das Von-zuhause-Arbeiten zu entwickeln“.
Die Politiker der Grünen fordern einen „kulturellen Umbruch“
Andreae und Kellner verweisen darauf, dass die Digitalisierung eine Flexibilisierung notwendig mache. „Das Büro ist digital immer präsent.“ Das habe Vor- wie Nachteile, könne zur Ausbeutung führen, habe aber den Vorteil, „dass wir nicht von morgens bis abends im Büro sitzen müssen“.
Allerdings würden die geltenden Gesetze und die Gerichte von einer anderen, im Grunde veralteten Arbeitswelt ausgehen, in der Arbeit sowohl zeitlich wie auch räumlich strikt getrennt werden.
Gleichzeitig wünschten sich auch viele Beschäftigte eine Flexibilisierung ihrer Arbeit. So würden derzeit nur zwölf Prozent aller abhängig Beschäftigten gelegentlich oder überwiegend von zuhause aus arbeiten, obwohl dies bei 40 Prozent der Arbeitsplätze möglich wäre. In den meisten Fällen scheitere der Wunsch nach einem Home-Office an den Arbeitgebern.
„Für ein Mindestmaß an flexibler Arbeit ist aber ein Umdenken, ja ein kultureller Umbruch notwendig“, schreiben die Wirtschaftsexpertin der Grünen und der Bundesgeschäftsführer. „Dabei wäre diese Option in den allermeisten Betrieben und Berufen umzusetzen und sie wäre auch zumutbar.“ Ausdrücklich verweisen Andreae und Kellner darauf, dass es ihnen bei ihrem Vorschlag nicht um eine Ausweitung der Arbeitszeit gehe, sondern darum, „den Menschen mehr Souveränität über Arbeitszeit und -ort zu geben“. Ziel sei eine freiwillige Flexibilisierung der Arbeit.
„Flexibel Arbeitende sind zufriedener und produktiver“
An die Arbeitgeber appellieren die Grünen, ihren Mitarbeitern zu vertrauen und ihre Arbeitsweisen den veränderten Bedingungen anzupassen. „Studien zeigen, dass flexibel arbeitende Menschen zufriedener und produktiver sind.“
Zudem seien Menschen, die ihre Zeit frei einteilen könnten, weniger gestresst und lebten gesünder. „Sicher wird es Vorbehalte geben“, räumen die Politiker ein. Aber das sei bei allen großen Reformen so gewesen: „Ob Arbeitsschutz, Rentenansprüche oder Mindestlohn: Was bis dato unvorstellbar war, ist heute Realität und Sinnbild einer modernen Gesellschaft.“
„Persönlicher Kontakt ist unersetzbar“
Ein Experte erklärt, warum Mitarbeiter trotz Home-Office in die Firma sollten und für wen es nicht geeignet ist.
AZ: Herr Rigotti, viele Heimarbeiter können zuhause nicht effizient arbeiten. Für wen ist Home-Office nicht empfehlenswert?
Thomas Rigotti: Zuerst muss man sagen, dass Home-Office natürlich nicht für jeden Beruf geeignet ist – für Chirurgen etwa. Dann spielt auch der persönliche Arbeitsstil eine Rolle. Es ist wichtig, die Zeit noch stärker zu strukturieren, sich jeden Tag zu motivieren sowie nicht nachlässig zu werden. Wer weniger selbstdiszipliniert ist, läuft Gefahr, sich öfter ablenken zu lassen. Auch zuhause sollte man feste Arbeits- und Erholungszeiten einplanen.
Wer daheim arbeitet, muss den Spagat zwischen Arbeits- und Privatleben meistern.
Dies gilt nicht nur für Beschäftigte im Home-Office. Wichtig ist, dass die Arbeitssituation an Bedürfnisse angepasst werden kann. Eine Rolle spielt, ob man beispielsweise alleinstehend ist oder Kinder im Haus hat.
Es gibt Arbeitnehmer, die Karrierenachteile durch Home-Office befürchten.
Das kommt auch auf den Kontext an. Arbeiten im Unternehmen alle zuhause oder nur einige Arbeitnehmer? Dann besteht die Gefahr, bestimmte Prozesse in der Firma zu verpassen. Home-Office zu 100 Prozent der Arbeitszeit ist ungünstig, da der persönliche Kontakt zu Kollegen oder Vorgesetzten unersetzbar ist.
Das Tablet am Esszimmertisch: Reicht das für Home-Office?
Auch zuhause gelten die Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes und für Bildschirmarbeitsplätze, die am Esszimmertisch kaum umzusetzen sind. Eine örtliche Trennung ist zudem sinnvoll, um sich von der Arbeit distanzieren zu können und die „Batterien“ so wieder aufzuladen.
Interview: Otto Zellmer