Von IPod bis Yoga: Das waren die Nuller-Jahre

Bevor in 46 Tagen ein neues Jahrzehnt anbricht: Die Autorin Judith-Maria Gillies wagt in der AZ eine Rückschau auf die Moden und Macken der 2000er Jahre.
IPOD
Das Lieblings-Gadget der Nuller wurde zum Erkennungszeichen unserer Generation – wie der Zauberwürfel in den Achtzigern oder die Tamagotchis in den Neunzigern. iPod, das war Nuller-Zeitgeist to go! Jogger Freude sich, dass sie mit dem iPod weniger als 100 Gramm mit sich herumtragen mussten – und nicht mehr einen Discman. Und Nordic Walker hatten endlich Musik im Ohr und trotzdem beide Hände frei. Und außerdem konnte man mit dem Kultplayer definitiv seinen Sinn für Stil unter Beweis stellen. Selbst dann, wenn man Eminem oder Yvonne Catterfeld hörte.
ENERGIESPARLAMPEN
Die klimapolitische Lage war ernst. Sehr ernst. Die Pole schmolzen. Der Meeresspiegel stieg. Das Ozonloch wei-tete sich aus. Auf diese Misere verlangte unser ökologisches Gewissen ganz dringend eine Antwort. Und wir fanden sie: Energiesparlampen. Und weil wir hierzulande übergreen waren, gingen wir sogar noch einen Schritt weiter. Wir schalteten den Stand-by-Schalter unseres Fernsehers aus. Ha! Das musste uns die übrige Welt erst mal nachmachen.
ALCOPOPS
Die neuen Mixe brachten Partygänger in Fahrt und Politiker in Rage. Denn eine Flasche enthielt so viel Alkohol wie ein doppelter Schnaps. Motto: „Hauptsache schön bunt und es knallte“. Es knallte tatsächlich – nicht nur in den Köpfen der Clubgänger, sondern auch in den Parlamenten. Suchtbeauftragte schlugen Alarm. 2004 kamen die Sondersteuer auf Schnapslimonaden und gleich danach Biermixe, die von dieser Steuer befreit waren. So brummte weiterhin der Umsatz der Anbieter – aber der Schädel der Verbraucher nicht mehr ganz so sehr.
AUTOFÄHNCHEN
Einfach Wimpel ans Autofenster gesteckt, fertig war der Fußballfan. Nie war es einfacher, Zusammengehörigkeitsgefühl und Teamspirit zu demonstrieren. Und unsere Männer um Klinsi und Jogi taten alles, damit die schwarz-rot-goldenen Fähnchen genug Anlass hatten, umhergefahren zu werden. Nach dem letzten Abpfiff verschwanden die Wimpel aus dem Straßenbild. Unter ihnen jede Menge Verkehrsopfer, die bei Tempo 180 abgefallen waren. Da lagen sie dann, wie Zeitzeugen einer vergangenen Epoche.
BIONADE
Wer Bionade trank gehörte definitiv zum Kreis der urbanen Szene. Und außerdem war er auch noch biologisch und ethisch korrekt. Schließlich bestellte er eine Brause, die nicht schnöde gemixt wurde wie Fanta, sondern gebraut - aus rein natürlichen Zutaten. Auch Zucker ist eine rein natürliche Zutat. Je weiter das Jahrzehnt fortschritt, desto mehr eroberte Bionade Getränkekarten und Getränkemärkte. Der Geheimtipp war Mainstream geworden. Schade? Ach was. Nur der ethische Heiligenschein glänzte beim Hochhieven des Kas-tens bei Rewe vielleicht nicht mehr ganz so stark wie einst bei der Vernissage.
NAVIGATIONSSYSTEME
Lisa, Werner oder Katrin nahmen keinen Platz weg, konnten Karten lesen und redeten nur das Nötigste. Ach ja, und außerdem kamen wir mit ihrer Hilfe auch überall gut an. Männer mussten nicht länger fürchten, sich die Blöße geben zu müssen und nach dem Weg zu fragen. Frauen erreichten ab sofort auch ohne jeglichen Orientierungssinn mühelos jedes Ziel. Und Berliner Taxifahrer konnten den Satz „Wo is'n ditte?“ aus ihrem Wortschatz streichen.
FLACHBILDSCHIRME
Die Röhre war tot, es lebte der Flatscreen. Ingenieure, Inneneinrichter und Augenärzte klatschten gleichermaßen Applaus. Die alten Röhrenfernseher fuhren wir zum Sondermüll, und in die Wohnungen zogen LCD- und Plasmatechnik ein. Ein echtes Kinoerlebnis daheim. Willkommen in Köln-Hollywood. Derweil arbeiteten die Entwicklungsabteilungen der Gerätehersteller an immer neuen Innovationen zum optimalen Kinoerlebnis. Große Chancen hätte sicherlich eine zusätzliche Tonspur mit Schmatzgeräuschen von Popcorn-Essern, dem Rascheln von Gummibärchentüten sowie vereinzeltem Handyklingeln gehabt.
GELÄNDEWAGEN
Was früher der Hummer auf dem Teller, war jetzt der Hummer in der Garage. Die Helden der Straße in ihren Cayennes, GLKs und Tiguans waren los. Sexappeal und Sozialneid kostenfrei mitgeliefert. Auf ihrer Fahrt im heimischen Gelände hatten die stylischen Spritfresser dann auch zahlreiche Herausforderungen zu bestehen. Mit 30 Zentimetern Watttiefe bewältigten sie alle Pfützen vorm Getränkemarkt. Mit 27 Zentimetern Bodenfreiheit stellten für sie die Bodenwellen der verkehrsberuhigten Zonen kein Hindernis mehr da. Und mit 45 Grad/100 Prozent Steigfähigkeit bezwangen sie die Tiefgaragenausfahrten der City ganz locker.
SIMSEN
Das Verschicken von Kurzmitteilungen war eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen unter Schülern, Schulabbrechern, Studenten und Auszubildenden. Man konnte in Ruhe kommunizieren und interagieren ohne jeglichen Augenkontakt, störende Nähe oder unmittelbare Reaktionsmöglichkeit des Empfängers. Mit einer SMS konnte man Dates ausmachen und, noch wichtiger, Dates absagen, Gedichte schreiben, den Wettkönig bei „Wetten, dass?“ mitbestimmen, mit dem Freund Schluss machen und den Familienfrieden zerstören. Weil die Handyrechnung mal wieder eine Monatsmiete überstiegen hatte.
WÄRMEPILZE
Die Heizstrahler ermöglichten es uns, auch bei Glühwein-Wetter in Biergärten und Straßencafés auszuharren. The Heat was On! Plötzlich waren wir unabhängig von Jahreszeiten und Klima. Passte uns das Wetter nicht, wurde es eben passend gemacht. Einen Haken gab’s aber doch. Denn die Energiefresser trugen nicht unerheblich zum Treibhauseffekt bei. Obwohl. Bei genauerem Nachdenken hatte das ja auch etwas Gutes. Denn wenn sich die Klimaerwärmung beschleunigte, würden wir die Wärmespender in Zukunft gar nicht mehr benötigen.
YOGA
Mit den Atem- und Konzentrationsübungen im Lotossitz erreichten wir gleichermaßen Gelassenheit und Gelenkigkeit. Also bestellten wir bei Otto eine Yogamatte, shoppten bei Karstadt die Yoga-Kollektion von Ursula Karven, lasen uns in die Fachliteratur ein („Das große Yoga-Wörterbuch“) und verrenkten uns um die Wette.
Es mochte stressig gewesen sein, die Termine reinzuquetschen in den Kalender. Das machte aber nichts. Schließlich hatten wir ja bei Baum, Hund und Sonnengruß wieder genug Zeit zum Runterkommen.
COFFEE TO GO
Im Pappbecher mit Plastikdeckelchen schmeckte der Kaffee doch erst richtig. Und der Latte macchiato sowieso. Coffee to go war der Beweis dafür, dass wir schon längst zu einer Unterwegskultur geworden, die immer auf dem Sprung war und Multitasking perfekt beherrschte.
Später perfektionierten wir den Außer-Haus-Konsum noch mit coolen Thermosbechern, die alles heiß hielten, und Freude uns über die Schilder „Coffee to go – jetzt auch zum Mitnehmen!“
Das war echt zum Davonlaufen. Und glücklicherweise hatten wir dazu zwei Beine. To go, versteht sich.