Von Dorfen nach Wilhemshaven: Drei Monate, zwei Ziegen und bis zu 1.000 Kilometer

Von den Bergen zum Meer: Tanja Hertel (50) wird von Dorfen nach Wilhelmshaven marschieren. Warum? Mit der Wanderung will sie 10.000 Euro für "Ärzte ohne Grenzen" sammeln.
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Tanja Hertel trainiert gerade mit zwei Ziegen - sie können weit gehen, wenn sie mögen.
Tanja Hertel trainiert gerade mit zwei Ziegen - sie können weit gehen, wenn sie mögen. © privat

Ihr Mann konnte sich einen frechen Kommentar nicht verkneifen: "Du bist total verrückt!" Tanja Hertel (50) lacht, als sie der AZ davon erzählt. Sie ist sich durchaus bewusst, dass ihre Idee ungewöhnlich ist. Aber sie will damit etwas tun gegen die Not in der Welt. Mit den eigenen Händen. Oder besser gesagt: mit den eigenen Füßen.

Hertel träumt davon, ab August vom beschaulichen Dorfen östlich von Erding nach Wilhelmshaven in Niedersachsen zu wandern. Von den Bergen zum Meer. Und dazwischen ganz Deutschland.

Spenden-Aktion: 10.000 Euro als Ziel

Zwischen 800 und 1.000 Kilometer werden es am Ende sein, je nachdem, welchen Weg sie einschlagen wird. Mit der Aktion will sie Spenden sammeln - für "Ärzte ohne Grenzen". Am besten 10.000 Euro, das wäre ihr Ziel.

Aber warum? Das sei eine längere Geschichte, sagt sie am Telefon. Ob dafür gerade genügend Zeit sei?, fragt sie mit sympathischer Stimme. Ja! Hier die Kurzversion: Die 50-Jährige leitet einen Kindergarten. Dort hat sie einen Buben aus einer afrikanischen Familie kennengelernt. Er tat sich schwer mit der neuen Kultur, der neuen Sprache und auch der vielen Zeit in geschlossenen Räumen.

Kinder liegen Tanja Hertel am Herzen

Bevor er in Bayern gelandet ist, hatte er schon zig Aufenthalte in anderen Heimen in Deutschland und Italien hinter sich. Kurz: Alles andere, was einem Kind guttut.

Hertel und ihr Team setzten vieles in Bewegung, damit auch dieser Bub aufblühen kann. "Er war sehr, sehr aktiv", sagt die Kindergartenleiterin. Schwierig nennt sie ihn nicht. Die Kinder liegen ihr am Herzen, das spürt man im Gespräch.

Als sich im Kindergarten alles eingespielt hatte, wartete das nächste Problem: Der Bub wurde sechs und sollte in die Schule gehen. Doch keine Einrichtung hatte die Kapazitäten, ihn aufzunehmen. Dazu verstand er zwar die grundlegenden Begriffe auf Deutsch. Doch Englisch blieb seine Sprache.

Er ist nicht das einzige Kind, für das die Integration eine Herausforderung ist. "Diese Kinder fallen komplett raus. Sie sind noch nicht in der europäischen Kultur verwurzelt und in ihrer Heimatkultur auch nicht mehr", sagt Hertel. Nach weiteren Gesprächen und Versuchen musste die 50-Jährige akzeptieren, dass sie dem Kind nicht mehr weiterhelfen konnte. "Ich weiß nicht, wo er gelandet ist." Die Familie brach die Kontakte ab, ihr Aufenthalt ist Hertel unbekannt. Doch das Schicksal des Buben ließ die Kindergartenleiterin nicht mehr los. Hertel recherchierte über Afrika, die Kultur und Lebensweisen dort. Unweigerlich stieß sie dabei auch auf Themen wie Gewalt gegen Frauen und Kinder, Hunger, Wasserknappheit, Menschen in riesigen Lagern. Alles - außer Lebensqualität, wie sie für uns selbstverständlich ist.

Tanja Hertel wird von Ziegen begleitet: "Sehr intelligente Tiere"

"Wenn man weiterschaut, ist das nicht nur in Afrika so - Syrien, Jemen, Afghanistan. Es gibt so wahnsinnig viele Menschen, die große Not leiden, für die sie meist nicht mal verantwortlich sind. Sie haben einfach das Pech, am falschen Ort geboren zu sein, und auch, dass wir auf ihre Kosten leben."

Die Dorfnerin trieb das um. "Jeder Mensch hat doch eine Verantwortung, dass die Welt ein Stück besser wird, als sie ist." Sie hat sich deswegen entschlossen, Spenden für humanitäre Hilfe zu sammeln. Und deswegen schnürt sie jetzt die Schuhe für die Wanderung ihres Lebens.

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Ganz allein wird sie allerdings nicht sein - sie will zwei Ziegen mitnehmen. Warum ausgerechnet Ziegen? "Ich fand Ziegen schon immer sehr faszinierend, weil es sehr intelligente Tiere sind. Und ich wusste auch, dass es Menschen gibt, die mit Ziegen wandern, weil man ihnen auch Gepäck auf den Rücken schnallen kann."

Freilich ist es auch eine angenehme Gesellschaft auf dem langen Weg gen Norden. "Ich trainiere sie momentan, sie stehen auf einem Hof mit Ziegenzucht. Die Bäuerin lernt mich an, gibt mir Tipps für die Tiere." Sie selbst will den Weg einfach auf sich zukommen lassen.

Tanja Hertel muss sich auf das Tempo der Ziegen einlassen

Mit den beiden Tieren wird es sowieso nicht anders funktionieren als spontan, flexibel, ohne festen Plan. "Ich werde es nicht planen können, denn wenn die Ziegen keinen Bock mehr haben, bleiben sie stehen und gehen nicht mehr weiter - ein bisschen wie ein Esel." Das Credo: auf die Ziegen schauen, sich auf ihr Tempo einlassen.

Diese könnten grundsätzlich durchaus weitere Strecken gehen, rund 20 Kilometer pro Tag seien schon denkbar. Vorausgesetzt: Sie haben Lust.

Hertel hat daher mehr Zeit als nötig für die Spendenwanderung eingeplant: drei Monate. Bis Anfang August wollen sie und die Ziegen gut vorbereitet sein und dann starten.

Man kann ihre Aktion mit Spenden unterstützen, aber auch etwa mit Unterkünften. Sie kann sich etwa vorstellen, dass sie auf einem Bauernhof Unterschlupf finden könnte. Die Scheune für die Ziegen, die Wiese für ihr Zelt. Und falls jemand spontan mitgehen möchte, würde sich Hertel auch darüber freuen. Ob für einen Tag oder länger. "Ich wäre offen dafür."

Die Reise steht unter dem Motto "Restoration of balance" - also das Gleichgewicht wiederherstellen. Unter diesem Titel wird sie auf Instagram und Facebook über ihre Wanderung informieren. Auch auf dem Portal von "Ärzte ohne Grenzen" wird sie ihre Aktion noch einstellen, um so Spenden zu sammeln. Ein Logo hat Hertel ebenfalls: Menschen, Groß und Klein, die sich an den Händen halten.

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