„Voll geil“ – bis ins Koma

MÜNCHEN - Samantha besäuft sich jedes Wochenende mit Wodka, Anastasia lässt nach einem Filmriss die Finger vom Alkohol. Münchner Mädchen berichten über ihre Party-Exzesse.
Heute teilt sich Samantha am Münchner Hauptbahnhof mit ihrer Freundin Tina eine Portion Pommes. Am Wochenende darf es auch eine Flasche Wodka sein. Samantha ist 16. Ihren ersten Vollrausch hatte sie mit Zwölf. Inzwischen offenbar ganz normal für junge Mädchen. Seit 2000 hat sich laut der Bundes-Drogenbeauftragten Sabine Bätzing die Zahl der Jugendlichen verdoppelt, die wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt werden musste. 2007 haben die Mädchen zwischen 10 und 15 Jahren die Buben – gemessen an der Zahl der Fälle – sogar erstmals überholt.
Seit Samantha eine Ausbildung zur Frisörin macht, trinkt sie nur noch einmal pro Woche. Meistens Wodka. „Den kauft eine Freundin, die ist schon 18,“ erzählt sie freimütig. Den Wodka mischen die Freundinnen mit Red Bull und trinken ihn zuhause. Manchmal zu viert, oft zu dritt. Alkopops nie. Sind zu teuer.“
Mit zwölf Jahren war Samantha das erste Mal betrunken. „Es war nur eine Flasche Augustiner – aber ich war voll besoffen“, sagt sie. Tina war bei ihrem ersten Vollrausch ebenfalls Zwölf. Sie schiebt sich mit ihren manikürten Fingern ein paar Pommes in den Mund: „Bei mir war’s Bowle. Hat reingehauen, war voll geil.“
Samanthas schlimmster Rausch ist ein Jahr her. Wie immer trank sie bei einer Freundin, dann ging die damals 15-Jährige in eine Disco. „Ich weiß nur noch, dass ich auf den Boxen getanzt hab’.“ Dass sie stürzte, sich verletzte und Sicherheitskräften sie rausschmissen, erfuhr sie erst am nächsten Morgen.
"Besoffen ist es viel geiler"
Viele Bekannte von Tina und Samantha lagen schon mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus. Alle trinken regelmäßig – „nur eine nicht. Die ist Moslem, keine Ahnung“, sagt Samantha. Sie braucht den Alkohol: „Ich war schon nüchtern in der Disco. Das ist dann einfach ein Raum mit Musik. Besoffen ist es viel geiler, da geht man viel mehr ab. Man muss sich ja nicht gleich totsaufen.“ So wie ein Bekannter von Tina. Er starb nach einer Party an einer Alkoholvergiftung. Sorgen um ihre Gesundheit macht sich Samantha nicht: „Meine Leber ist jung. Irgendwann werd’ ich nicht mehr trinken und eine Familie haben.“
Anastasia hatte ihren ersten Absturz mit Zwölf. Wodka im Wald. Seit der letzten Feier hat die 15-jährige Realschülerin keinen Alkohol mehr angerührt: „Ich war auf einer Party, bin mit Freunden zum Trinken nach draußen gegangen,“ erzählt das zierliche Mädchen. Filmriss. Sie wurde bewusstlos, Freunde trugen sie nach Hause. Ihren Eltern erzählte sie nichts. „Die dürfen das auf keine Fall erfahren.“ Warum sie trinkt? „Probierlust, Gruppenzwang. Und das Gefühl ist witzig.“
„Es sind inzwischen immer mehr Mädchen"
Armin Grübl, Oberarzt am Schwabinger Klinikum hat jedes Wochenende mit Mädchen wie Samantha und Anastasia zu tun. 2008 wurden 211 Kinder oder Jugendliche mit Alkoholvergiftungen ins Schwabinger Krankenhaus eingeliefert. „Wie erwarten, dass es 2009 noch mehr werden.“ Die Tendenz: „Es sind inzwischen immer mehr Mädchen. Das ist ein gesellschaftliches Phänomen. Früher gab es nur Schnaps und Bier für die ,harten Jungs’, mittlerweile sind die Mischgetränke zuckersüß.“ Die jüngsten Alkohol-Opfer sind zwölf, haben im Durchschnitt zwei Promille. „Meistens trinken sie zuhause oder im Freien, fast immer ist es Wodka. Mit Fruchtsäften gemischt schmeckt der relativ neutral“, sagt Grübl. Wenn die Jugendlichen dann aus ihrem Rausch erwachen, stehen nicht nur die bestürzten Eltern, sondern auch ein Berater der Drogenhilfe Condrobs neben dem Bett.
Manche seiner Patientinnen kennt Grübl schon beim Namen – sie kommen öfters. „Je früher man mit dem Trinken anfängt, desto größer ist die Gefahr der Abhängigkeit und desto mehr Folgeschäden wie Gedächtnisschädigungen oder Leberzirrhose können auftreten.“ Weitere Risiken: „Der Alkohol wird oft im Freien konsumiert, da besteht eine hohe Unfallgefahr. Außerdem könnten betrunkene Mädchen sexuell bedrängt oder sogar vergewaltigt werden. „Das ist zwar selten, kommt aber vor.“
Wie im Fall von Anastasias Freundin: Die lag bei einer Party in der Nacht plötzlich auf der Straße. „Irgendwann war sie nackt.“ Dann kam der Krankenwagen.
Christoph Landsgesell