Volkssport Fremdgehen

„Ich fühl mich nicht genug begehrt von dir“, sagte Tanja, „ich wollte mal wieder richtig Frau sein.“ Studie: Jede zweite Frau betrügt ihren Partner. Was die Ursachen sind.
Als er die SMS im Handy seiner Frau fand, rang er nach Luft. „Vermisse deinen Duft, meine Schöne“, schrieb da ein Fremder, und: „Möchte dich spüren. Heute Abend im Bootshaus?“ Heute Abend? Da war Tanja doch bei ihrem Italienisch-Kurs, wie immer am Dienstag und Freitag. Oder nicht?
Nein, Tanja, die ihr Handy unachtsam auf dem Balkon hatte liegen lassen, war nicht bei ihrem Italienisch-Kurs, sie war zum Einführungstag vor drei Monaten dort gewesen, danach nie wieder. Jeden Dienstag und Freitag traf Tanja ihren Kollegen Pit, und als sie, in Erklärungsnot, noch in der Nacht nach ihrer Heimkehr ihre Affäre beichtete, traf die Erkenntnis Heiner D. (41) erbarmungslos: „Ich fühl mich nicht genug begehrt von dir“, sagte Tanja, „ich wollte mal wieder richtig Frau sein.“
Kein Einzelfall
„In jeder zweiten Ehe“, schätzt die Paar-Therapeutin Katja Sundermeier „sind Frauen schon mal fremdgegangen“. Auch die Untreue- Studie des Göttinger Psychotherapeuten und Sexualberaters Ragnar Beer spricht Bände: Für das Uni-Projekt „Theratalk“ befragte Beer insgesamt 5934 Männer und Frauen. 55 Prozent der Frauen, auch verheiratete, gaben an, dass sie in ihrer Partnerschaft einen Seitensprung begangen haben. Männer (49 Prozent) leisten sich demnach zwar etwas weniger oft eine Affäre, sind dafür aber häufiger Wiederholungstäter: 22 Prozent haben ihre Frauen öfter als drei Mal betrogen, bei den Frauen gaben das nur 15 Prozent an.
Dabei belassen es jede vierte Frau und jeder fünfte Mann beim Küssen, Petting und Oralverkehr. Zum Geschlechtsverkehr kommt es bei 81 Prozent der Männer und 77 Prozent der Frauen. Der Kerngrund für die Untreue ist für den Psychologen so klar wie simpel: „In den allermeisten Fällen ist die Ursache sexuelle Unzufriedenheit in der eigenen Beziehung“, sagt Ragnar Beer. „Sex in der Partnerschaft ist für ein Paar essenziell. Alle Hobbys kann man mit anderen Menschen teilen, wenn der Partner dafür kein Interesse hat – Sex nicht. Alle anderen Bedürfnisse kann man sich erfüllen, ohne fremd zu gehen.“
Schon nach einem Jahr romantischer Verliebtheit, berichten viele Paare, klingt die sexuelle Euphorie ab. Erotische Phantasien, die man nicht in den ersten Wochen geäußert hat, kommen später nur noch schwer über die Lippen. So wird aus Liebe machen Routine – und schließlich Frust.
Längst ist es nicht mehr das sprichwörtliche „verflixte siebte Jahr“, das ein hohes Seitensprung- Risiko birgt. „Die Gefahr, dass einer der beiden Partner fremd geht, steigt im dritten Jahr rapide“, hat Ragnar Beer festgestellt. Schon im vierten Jahr trennen sich viele Paare und werden derzeit die meisten Ehen geschieden. „Bei jeder zweiten Scheidung sind ans Licht gekommene Seitensprünge der Hauptscheidungsgrund“, sagt der Münchner Scheidungsanwalt Hermann Messmer. „Irgendwann nämlích fällt in den meisten Beziehungen dann doch auf, dass der Partner plötzlich viel weg ist, gedanklich abwesend und stark distanziert.“
Frauen sind geschicktere Vertuscher
Dann suchen die argwöhnischen Partner Hinweise über SMS oder Emails – und die Hälfte der Betrogenen finden sie irgendwann auch: Frauen, hat Psychologe Beer ausgemacht, seien geschickter im Vertuschen ihrer Schäferstündchen, „aber sie haben auch den besseren Riecher und sind aufmerksamer, wenn der Gatte sich plötzlich komisch verhält.“
Erstaunlich dabei: Überraschend viele Fremdgänger, nämlich mehr als 80 Prozent, gaben an, sie liebten ihren Partner. Ebenso viele äußerten auch, es sei ihnen eigentlich wichtig, treu zu sein, Sie wünschen sich auch Treue vom Partner. Der Untreue-Experte meint nun, ein gutes Rezept zur Vorbeugung gegen den Auslöser Sex-Frust gefunden zu haben. Mit seinem Team entwickelte er Tests, mit denen Paare ihre „sexuelle Zufriedenheit“ zunächst testen, dann einander mitteilen und so gemeinsam verbessern können. In einem fünfseitigen Fragenkatalog (kostenlos unter theratalk.de) kreuzen Paare unabhängig voneinander an an, wie zufrieden sie etwa mit der Art des Vorspiels, der Häufigkeit von Sex und Gesprächen über erotische Wünsche und Ängste sind. 5000 Internet- User nutzten das Online- Angebot bislang. Ob sie den Test in der Realität bestehen?
Irene Kleber