„Viele sitzen auf den Trümmern ihrer Häuser“

Retter aus Bayern helfen im chinesischen Erdbebengebiet. Das Deutsche Rote Kreuz hat sein mobiles Krankenhaus in Betrieb genommen. Unterdessen bringt die Katastrophe tödliche Schlamperei ans Licht.
von  Abendzeitung

Retter aus Bayern helfen im chinesischen Erdbebengebiet. Das Deutsche Rote Kreuz hat sein mobiles Krankenhaus in Betrieb genommen. Unterdessen bringt die Katastrophe tödliche Schlamperei ans Licht.

Es gibt einen Operationssaal, eine Entbindungsstation, eine Röntgenabteilung und andere Behandlungsräume – und das alles auf einer stillgelegten sechsspurigen Stadtautobahn. Am Freitag kam das DRK-Team im chinesischen Erdbebengebiet an, bereits 22 Stunden später ist das mobile Krankenhaus in Betrieb.

„Die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Roten Kreuz funktioniert sehr gut, wir werden hier toll unterstützt“, sagt der Augsburger BRK–Mitarbeiter Michael Breunig zur AZ. Die deutschen Helfer haben das Krankenhaus in der besonders stark betroffenen Stadt Dujiangyan aufgebaut. Sie gehört zum Verwaltungsgebiet der Millionenstadt Chengdu und liegt in der Provinz Sichuan. „Wir sind sehr herzlich empfangen worden, sowohl von der Bevölkerung als auch von Offiziellen“, sagt DRK–Sprecherin Svenja Koch, die auch vor Ort ist. Für die Obdachlosen werden Fertighäuser errichtet und Betonfundamente für den Bau von Unterkünften gegossen. „Es gibt aber auch viele Menschen, die auf den Trümmern ihrer Häuser sitzen. Sie haben in den Schutt Bambuspfähle eingerammt und daran Zeltplanen aufgehängt“, sagt Koch.

Rund 200 Meter entlang der Autobahn steht nun das Zelt-Krankenhaus. Die Straße führt dann in ein „kilometerlanges Flüchtlingslager“, wie Koch berichtet. Von dort aus kommen die Patienten. Die ersten seien überrascht gewesen, dass die Behandlung kostenlos ist. „Seit heute morgen um neun haben wir rund 160 Patienten behandelt“, sagt Breunig. „Das sind sowohl Menschen, die aus anderen Gründen medizinisch versorgt werden müssen, als auch Erdbebenopfer, die mir Knochenbrüchen und Platzwunden zu uns kommen.“ Auch einen Herzinfarkt hatte die Klink am ersten Tag zu bewältigen.

Platz für 120 Menschen

Michael Breunig gehört zu einem elfköpfigen Team aus Ärzten, Schwestern, Krankenhausmanagern und Technikern, das mit rund 100 chinesischen Ärzten und Schwestern zusammenarbeitet. 120 Menschen können in dem mobilen Lazarett stationär aufgenommen werden, insgesamt sollen 250000 Menschen versorgt werden.

Hundert Kisten und Kästen im Wert von einer Million Euro mussten transportiert werden. Von den Zuständen in der Stadt selbst hat Michael Breunig bislang noch nicht viel mitbekommen. „Wir waren die ganze Zeit auf dem Gelände hier, um möglichst schnell loslegen zu können.“ Sechs Wochen werden die Helfer bleiben, dann übernehmen die chinesischen Kollegen das Krankenhaus.

Tina Angerer

Eltern der toten Schüler protestieren

In die Bewunderung über das Krisenmanagement der Chinesen nach dem Beben mischen sich bittere Töne: „Unsere Kinder wurden uns gestohlen“, klagt ein Vater. Mit lehmverschmierten Händen steht er über den Trümmern einer Schule in Xinjan. Sein neunjähriger Sohn liegt irgendwo darunter.

Die Schule ist eingestürzt, wie hunderte andere im Erdbebengebiet. Aber die Nachbarhäuser blieben stehen, fast unbeschädigt: „Das ist schlechter Beton, schlechter Stahl“, weint der Vater und zeigt auf die Trümmer. Und die Eltern erzählen sich Geschichten von Schlamperei und Korruption: Die Schulen der Eliten blieben stehen.

Offizielle Zahlen gibt es noch nicht, nur Schätzungen, wonach rund 10 000 Schüler starben, als die Erde am 14. Mai bebte. Insgesamt beläuft sich die Opferzahl auf fast 63 000.

In der vierstöckigen Schule von Xinjian übten sie gerade ein Schulspiel ein, als das Unglück passierte. Nachbarn zogen Kinder aus den Trümmern, aus dem Staub. Manche Kindern lebten, die meisten waren tot.

Im Entsetzen nach dem Unglück gab es nur Trauer. Jetzt erst entsinnen sich die Eltern an Prüfbeamte, die schon vor zwei Jahren die Schule als einsturzgefährdet bezeichnet hatten. Im Gegensatz zu einer Musterschule für die Elitekinder gab es beim Bau 1992 nicht genug Beton: „Sie benutzten eine Menge Sand“, sagt ein Vater, dessen Elfjähriger unter den Toten der Schule ist. Der Bub ist eines von 54 toten Kindern in einer Klasse von 60.

Außerdem haben die Behörden damals Bauern statt Bauarbeiter beschäftigt, klagen die Eltern und Nachbarn: „Wir wollen Gerechtigkeit für unsere Kinder“, sagt ein Vater. Mit den Bildern ihrer Kindern drücken sie ihr Leid aus: Es wirkte wie eine kleine Demonstration. Die Behörden versuchen derweil, das Thema nicht hochkochen zu lassen. Dass das Problem bekannt war, zeigt ein 1,5-Millionen-Dollar- Programm von 2001, mit dem die Regierung gefährdete Schulen sanieren wollte. Sorgen machen sie die Behörden eher um die Dutzende Dämme, die brechen können. Vor allem nach den schweren Nachbeben vom Wochenende warnten offizielle Stellen, vor brüchigen Stauwerken. Außerdem haben Erdrutsche in der gebirgigen Provinz Sichuan Flüsse gestaut. Sollten diese ungewollten Dämme nachgebe, wären erneut tausende Menschen in höchster Gefahr.

Unter den deutschen Helfern ist auch ein Team des THW mit Wasseraufbereitern im Einsatz. Man entspreche damit einer Bitte Chinas, heißt es in Berlin.

jol

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.