„Verzweiflung pur“: Wie die Österreicher gegen das Hochwasser kämpfen

KREMSMÜNSTER - Die Flut zerstörte das Haus von Hilde Friedl (82). Der ständige Kampf gegen die Natur hat die Einwohner von Kremsmünster mürbe gemacht. Ein Besuch im Hochwasser-Gebiet.
Ihr Blick fällt auf den verwüsteten Keller, die zersprungenen Gläser am Boden, die Akten. Der Schlick bedeckt einen alten Kaugummiautomaten, eine alte Kassette treibt in einer kaffeebraunen Pfütze.
Hilde Friedl (82) steht im modrigen Hobbyraum ihres Sohnes Peter, hebt hilflos die Arme und lässt sie fallen. Das Wasser der überbordenden Krems hat das Untergeschoss ihres Hauses im oberösterreichischen Kremsmünster überflutet. Die Heizung ist kaputt, der Computer, die beiden Waschmaschinen – all ihr Hab und Gut ist zerstört. Ihre Stimme zittert: „Ich habe gedacht, nach dem Jahrhunderthochwasser erlebe ich nicht mehr, dass das Wasser kommt.“ Es kam – mit Wucht, über Nacht.
Die schweren Regenfälle haben in den vergangenen beiden Tagen vor allem unser Nachbarland Österreich getroffen. Die Donau, die Krems, Mur, Ybbs, Enns, Mel, Erlauf, Traisen und Perschling traten über die Ufer. In der ersten Wochenhälfte fiel binnen 72 Stunden bis zu dreimal so viel Regen wie sonst im gesamten Juni. Bis gestern regnete es weiter – doch die Behörden gaben gestern vorsichtige Entwarnung. Wegen des Hochwassers müssen Urlauber in einigen Teilen Österreichs mit Verkehrsbehinderungen rechnen. Immer noch sind hunderte Menschen aus ihren Häusern evakuiert.
Mittlerweile sind Tschechien und Polen zum Katastrophengebiet geworden. Im Nordosten Tschechiens stieg das Wasser auf bis zu sieben Meter über den Normalstand. Fünf Menschen ertranken, vier weitere starben an Herzversagen.
Wenn die Pegel sinken, wird die Zerstörung sichtbar. Ein großer Teil des kleinen Ortes Kremsmünster wurde Mittwochmorgen überflutet, wie viele andere Orte in der Gegend: „Das Wasser war über einen Meter hoch“, sagt Hilde Friedls Nachbar Dieter Steinmair (65). „Da rannte ein Fluss durch die Straße, ein reißender Strom, da gehst du nicht raus.“ Die Schlammbrühe rann die Einfahrt hinab, riss sein versperrtes Gartentor wie eine Sardinendose auf und ergoss sich in die Garage. Am Ende stand das Wasser 1,60 Meter hoch, Steinmaier stand das Wasser im wörtlichen Sinne bis zum Hals.
So schlimm wie beim Jahrhunderthochwasser ist es zum Glück nicht
Am Donnerstag stapelt der Messebauer den Inhalt auf die Straße – es füllt zwei Anhänger. In seiner Straße türmen sich alte Kisten, Autoreifen und Möbel wie auf einem grausigen Straßenflohmarkt. Vor allen Einfahrten und Garagen, vor den Türen und niedrigen Fenstern liegen silbern schimmernde Sandsäcke aufeinander getürmt – Straßensperren für das Wasser. So schlimm wie beim Jahrhunderthochwasser 2002 war es zum Glück nicht, sagt Steinmair – da stieg die Krems auf sieben Meter. Auch 2007 war es schlimmer.
Und doch wirkt Steinmair zermürbt vom ständigen Kampf gegen die Natur, die ihn nicht in Ruhe lassen will. Hilflos sieht er auf sein Haus, dessen Wände noch triefen vor Blättern und Schmutz, und in den Garten mit dem platt gedrückten Gras voller Schlick. „Meine Mutter ist 88 und hat immer in diesem Haus gelebt. Für sie ist das Verzweiflung pur.“
Im 30 Kilometer entfernten Steyr geschah die Katastrophe einen Tag früher: die Enns schwappte am Dienstag gegen zwei Uhr morgens auf den Stadtkai und warf sich gegen die Wände vieler Cafés und Gaststätten. Der sonst 1,90 Meter hohe Pegel stieg auf 5,70 Meter, sagt Steyrs Feuerwehr-Kommandant Gerhard Praxmacher. Auch an diesem Donnerstag pumpen seine Männer Wasser aus den Kellern in die Enns zurück, andere spritzen den Schlick mit ihren Schläuchen zurück in den Fluss. Die Pegel sinken wieder, doch der Wetterdienst hat neue Gewitter angekündigt. „Wir hoffen, dass nichts mehr kommt“, sagt Praxmacher.
Auch diese Flut erinnert Steyrs Bewohner an das Jahrhunderthochwasser, alle reden davon. Die Erinnerung ist überall: Wie in Kremsmünster zogen damals viele Bewohner Farbstriche an ihre Hausmauern wie stolze Eltern, die das Wachstum ihrer Kinder am Türstock messen. Dann zogen sie weg. Wer blieb, kauft wasserdichte Platten.
Hilde Friedl und ihre Nachbarn hatten keine.
Thomas Gautier