Versöhnung mit Namibia – Rückgabe von Schädeln

Vor mehr als hundert Jahren ermordeten deutsche Soldaten tausende Einwohner der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Viele Schädel der Getöteten wurden nach Deutschland geschafft.
von  dpa
Trauernde Herero-Frauen vor Schädeln, die am Rande eines Gedenkgottesdienst ausgestellt waren. Auch den boykottierte die deutsche Bundesregierung.
Trauernde Herero-Frauen vor Schädeln, die am Rande eines Gedenkgottesdienst ausgestellt waren. Auch den boykottierte die deutsche Bundesregierung. © dapd

Vor mehr als hundert Jahren ermordeten deutsche Soldaten tausende Einwohner der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Viele Schädel der Getöteten wurden nach Deutschland geschafft. Nun gibt die Berliner Charité 20 von ihnen zurück.

Berlin – Die Arbeit muss für die Herero-Frauen
unermessliches Leid bedeuten: Gefangen in Konzentrationslagern sind
sie gezwungen, mit Glasscherben und kochendem Wasser die Schädel
ihrer toten Männer vom Fleisch zu befreien. Diese sind von deutschen
Soldaten ermordet worden oder an Krankheiten im Lager gestorben. Nun
müssen die Frauen die Schädel für die Reise nach Deutschland
präparieren – weil Wissenschaftler sie für ihre dubiose
Rassenforschung bestellt haben.

   So geschehen Anfang des 20. Jahrhunderts in der damaligen Kolonie
Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Deutsche Truppen hatten
vor allem Angehörige des Stammes der Herero, aber auch der Nama
gefangen genommen. Beide Stämme hatten sich zuvor gegen die
ungeliebte Kolonialmacht aufgelehnt, waren aber von der deutschen
Übermacht brutal niedergeschlagen worden. Diejenigen, die in die
Konzentrationslager kamen, starben häufig an Folgen von Zwangsarbeit
und Krankheiten.

   Viele der Schädel von Angehörigen der Stämme Herero und Nama
lagern noch heute in deutschen Museen, Universitäten und
Forschungseinrichtungen. Als erste Institution übergibt die Berliner
Charité an diesem Freitag 20 von ihnen einer namibischen Delegation.
73 Vertreter von Regierungen, Stämmen und Medien sind nach Angaben
des Auswärtigen Amtes aus dem afrikanischen Land angereist.

   Vor rund drei Jahren wandte sich die Regierung Namibias an die
Bundesregierung. Sie wollte die Rückgabe aller in deutschen
Einrichtungen eingelagerten Schädel von getöteten Herero und Nama
erreichen. Wissenschaftler fanden nun elf Schädel von
Nama-Angehörigen und neun der Herero.

   Man wolle einen Beitrag zur Versöhnung leisten, sagt eine
Sprecherin der Uni-Klinik. „Heute wissen wir, die Anthropologen haben
damals Unrecht begangen, an Lebenden wie Toten.“

   In der Charité-Sammlung lagern etwa 7000 Schädel aus der ganzen
Welt, teilweise aus der Kolonialzeit, teilweise älter. Als um die
Jahrhundertwende die Anthropologie entstanden sei, hätten Forscher
die Sammlung angelegt. „Das Interesse war, von allen Völkern der Erde
zumindest einen Schädel zu haben, um Merkmale vergleichen zu können“,
erklärt Andreas Winkelmann, einer der Projektleiter. Viele hätten
Belege für Rassentheorien gesucht. Auch hätten die Wissenschaftler
geglaubt, viele Völker würden bald aussterben und es sei sinnvoll,
etwas von ihnen einzulagern.

   Wie viele der übrigen Schädel aus der Charité-Sammlung noch den
Herero und Nama zugeordnet werden können, sei unsicher, sagt
Winkelmann, aber „vermutlich noch einmal so viele wie jetzt“. Die
Arbeit ist mühsam, aber auch die Opferverbände in Namibia legen Wert
auf Gründlichkeit. Sie wollen genau wissen, wem die Schädel
zuzuordnen sind.

   Diese Woche stellten Vertreter von ihnen klar, dass sie mehr als
diese 20 Schädel erwarten. Ueriuka Festus Tjikuua von der
Opferorganisation „Ovaherero/Ovambanderu – Rat für Dialog über den
Genozid von 1904“ forderte, die Deutschen sollten alle menschlichen
Überreste zurückgeben. „Wir sind gekommen, um Reparationen
einzufordern“, sagte er. „Ihr gebt uns die Schädel, aber wo ist das
Fleisch?“

   Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, „die Bundesregierung hat
sich wiederholt zur moralischen und historischen Verantwortung
Deutschlands gegenüber Namibia bekannt“. Die Regierung komme dieser
Verantwortung „auch durch eine verstärkte bilaterale Kooperation -
besonders auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit mit Namibia -
nach“.

 

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