Verborgen in der Dunkelheit: Diese Tiere sind nachts in der Stadt unterwegs

Füchse suchen in Mülleimern nach Futter. Eine Wildschweinfamilie passiert eine Straßenkreuzung. Waschbären und Siebenschläfer durchstöbern die Gärten. Wenn die Nacht in der Stadt einbricht und es dunkel wird, beginnt die Stunde unserer wilden Nachbarn. Viele Tiere werden dann erst so richtig munter.
"Eine Mischung aus Gänsehaut und Staunen"
Biologin Sophia Kimmig (35) ist für ihr neues Buch "Lebendige Nacht. Vom verborgenen Leben der Tiere" eingetaucht in diese Parallelwelt, wie sie die dunklen Stunden nennt. Kimmig stellt deren Bewohner vor und fragt sich: Welche Geheimnisse birgt die Nacht?

Für ihre Arbeit unter anderem für die Freie Universität in Berlin und ihre Bücher (zuletzt: "Von Füchsen und Menschen", AZ berichtete) ist Kimmig meist alleine unterwegs - in deutschen Städten aber auch auf dem Land. Warm eingepackt übernachtet sie dann manchmal auf einer Lichtung mitten im Wald, um zu beobachten, was sich dort tummelt. "Solche Momente sind eine Mischung aus Gänsehaut - beim Hören verschiedenster Geräusche - und Staunen. Zum Beispiel über den beeindruckenden Sternenhimmel", sagt sie der AZ.
Doch beeindruckt ist sie auch von den Wesen der Dunkelheit, etwa der Fledermaus, die oft als blutsaugendes Gruseltier verschrien wird. Auch Kimmig habe sie bislang nur als flatternden Schatten wahrgenommen, der flink vorbei rauscht. Doch die Fresser von Insekten, Nektar und Früchten, seien bei genauerem Hinsehen eher "niedlich, kuschelig und ähneln mit ihren Öhrchen und Knopfaugen winzigen Hunden", erzählt sie.
Geduld ist das Wichtigste
Tauche man in das Unbekannte der Nacht ein, wirke es plötzlich ganz anders. Als Hilfsmittel positioniert die Wildbiologin Kamerafallen, die ihr verraten, wo die Tiere überhaupt unterwegs sind, ebenso wie Wildtierfallen.

Geht ein Tier dort hinein, wird es manchmal mit einem Sender ausgestattet. Für ihre Forschung über Füchse hat sie etwa Tiere besendert. Doch das Wichtigste sei es, Geduld mitzubringen: "Die meiste Zeit harrt man aus - und muss sich gegen den inneren Drang, das Licht einzuschalten, wehren - sonst verschreckt man Tiere."
Zwei Drittel der Säugetiere sind nachtaktiv
Die Mehrheit aller Wildtiere sind nachtaktiv, bei den Säugetieren sind es sogar zwei Drittel der Arten, erzählt die 35-Jährige. Im Gegensatz zum Menschen haben Fuchs, Marder, Dachs und Co. deshalb nachts einen ausgeprägten Orientierungssinn.

"In einer Welt, in der es sehr dunkel ist, nehmen Hör- und Geruchssinn eine große Bedeutung ein." Eulen und viele weitere nachtaktive Wesen wiederum haben "gepimpte Augen", so die Biologin, unter anderem durch eine reflektierende Schicht hinter der Netzhaut. Diese ermöglicht es ihnen, in der Finsternis gut zu sehen.
Eine ökologische Nische
Bei Nachtfaltern spielen Pheromone eine besondere Rolle: Durch sie können sich die Insekten über Kilometer weit riechen. Glühwürmchen senden zudem Blinksignale, um potenzielle Partner zu finden.
Die Nacht bietet viele Vorteile, sie sei eine eigene ökologische Nische. Zur Konkurrenzvermeidung beispielsweise weichen einige Lebewesen bei der Futtersuche auf die Finsternis aus. Auch sei die Zeit kühler, was Arten in wärmeren Ländern zu Gute kommt. "Sie verbrauchen weniger Wasser und Energie." Zudem biete die Nacht Tieren Schutz, deren Jäger tagaktiv sind.
"Wildschweine mögen Gärten mit Obstbäumen"
Mitten im Düsteren wird also nach Futter gesucht, es werden Sozialkontakte geknüpft, Familien geplant. Füchse, Dachse und Marder etwa bekommen nun ihre Jungen. "Die Mütter sind gerade auf der Suche nach Nahrung, um ihre Kleinen zu versorgen." Manche Vierbeiner laufen auch nachts bestimmte Routen ab, um ihr Revier gegenüber anderen Nachtwanderern zu markieren.
Die gebürtige Berlinerin ist während ihrer Arbeit auch schon auf Wildschweinfamilien getroffen, die in der Nacht durch das Stadtgebiet oder grüne Randbezirke streifen, auf der Suche nach Futterresten. Auch in München kommen die Paarhufer vor, weiß die Biologin. "Gerade Gärten von Einfamilienhäusern im Grünen mit Obstbäumen ziehen die Tiere magnetisch an."
Waschbären haben den feinsten Tastsinn
Urbane Lebewesen seien auch Waschbären. "Sie schlafen tagsüber gerne in Schornsteinen oder auf Fenstersimsen." Auf ihrem Speiseplan stehen etwa Schnecken, Käfer und Obst, die sie in der Dunkelheit sammeln. Dabei hilft ihnen der Tastsinn ihrer Pfoten - "sie haben den feinsten im ganzen Tierreich", so Kimmig.
"Ein Wildpark-Waschbär saß mal auf meinem Kopf und wollte mein Haargummi entfernen", so die Biologin und lacht. "Die Tiere sind ziemlich neugierig." Man müsse einfach nur eintauchen in diesen nächtlichen Kosmos. "All dies bleibt uns Menschen oft verborgen, weil wir einen Tag-Filter haben - wir beschäftigen uns weniger mit dem Unbekannten", sagt Kimmig. Doch lohne es, sich in diese Parallelwelt vor der Haustür zu begeben, berge sie doch viele Wunder.
"Lebendige Nacht. Vom verborgenen Leben der Tiere" von Sophia Kimmig, am Montag erschienen im Hanser Verlag, 272 Seiten, 25 Euro.