Interview

Urologen im Interview: "Je mehr Sex, desto geringer das Krebsrisiko"

Warum Sex das Risiko senkt, an Krebs zu erkranken - und dass Erektionsstörungen ein früher Hinweis auf Gefäßerkrankungen sein können, erklären zwei Urologen im Interview mit der AZ.
von  Julia Sextl
Martin Kriegmair und Ralph Oberneder: Die Urologen Martin Kriegmair (r.) und Ralph Oberneder führen die Urologische Klinik München-Planegg und sind als Chefärzte tätig.
Martin Kriegmair und Ralph Oberneder: Die Urologen Martin Kriegmair (r.) und Ralph Oberneder führen die Urologische Klinik München-Planegg und sind als Chefärzte tätig. © ho

Wer öfter liebt, ist später tot? Möglicherweise. Denn regelmäßiger Sex ist mit einem geringeren Risiko für Prostatakrebs verbunden, wie eine jüngst im amerikanischen "Journal of Sexual Medicine" veröffentlichte Langzeitstudie berichtet. Die AZ hat bei zwei Ärzten der Urologischen Klinik München-Planegg (UKMP) nachgefragt, womit dies zusammenhängt - und was gegen Flaute im Bett helfen kann.

Studien zeigen: Mehr Ejakulationen führen zu geringerem Krebsrisiko

AZ: Herr Prof. Kriegmair, Herr Dr. Oberneder, wieso schützt ausgerechnet Sex Männer vor Krebs?
MARTIN KRIEGMAIR: Es gibt Untersuchungen, die zeigen: Je mehr Ejakulationen ein Mann in seinem Leben hat, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, an einem Prostata-Karzinom zu erkranken.

Wie hängt das zusammen?
RALPH OBERNEDER: Eindeutig ist das noch nicht geklärt. Aber es gibt zum Beispiel eine Arbeit, die mehrere Gruppen miteinander verglichen hat - bezüglich des Alters und der Häufigkeit der Ejakulation. Und da schneidet am besten die Gruppe ab, die 21 Mal pro Monat ejakuliert. Sie hatte das geringste Risiko, einen Prostata-Krebs zu kriegen.

Entzündungen der Prostata erhöhen Krebsrisiko

Und warum hilft Ejakulieren?
MARTIN KRIEGMAIR: Die Prostata ist eine Drüse, die ein Sekret produziert, das dem Samen beigemengt und beim Ejakulieren nach außen geschleudert wird. Wenn dieses Sekret regelmäßig entleert wird, ist das für die Drüse mit ziemlicher Sicherheit besser, als wenn es sich lange anstaut.

Warum?
Möglicherweise spielen entzündliche Prozesse eine Rolle. Denn die Prostata ist nie ganz bakterienfrei. Und wenn mit der Entleerung diese Bakterien das Organ verlassen, kommt es vermutlich auch zur Reduktion der Wahrscheinlichkeit für Prostataentzündungen. Was wir sicher wissen, ist: Entzündungen, die lange bestehen, erhöhen auch das Krebsrisiko. Das trifft auf alle Organe zu.

"Ein bis zweimal Sex die Woche klingt vernünftig"

Wie oft haben denn Sie Sex?
Nun, das ist jetzt etwas schwierig, auf so eine Frage zu antworten (lacht). Ich sag es mal so: Natürlich sollten wir Ärzte uns bemühen, unsere eigenen Empfehlungen zu befolgen.

Anders gefragt: Wie oft sollte man idealerweise Sex haben?
Das kommt natürlich auch auf die Altersgruppe und die Umstände an. Die wichtigste Botschaft ist einfach, dass Sex etwas Gesundes ist. Und dass es sicher nicht schädlich ist, viel Sex zu haben.
KRIEGMAIR: Ein bis zwei Mal die Woche Sex zu haben, klingt vernünftig. Aber da Empfehlungen auszusprechen, ist nicht sinnvoll. Man kann nichts sollen, wozu man keine Lust hat.

Unterschied zwischen Erektionsschwäche und Libidomangel

Nun hätten manche Männer gern mehr Sex, kämpfen aber mit Erektionsschwäche. Was hilft?
KRIEGMAIR: Am Anfang steht eine eingehende Diagnostik. Viele Patienten verwechseln Erektionsschwäche mit Libidomangel. In dem Zusammenhang ist es wichtig, zuerst ein Hormonprofil zu erstellen, um zu sehen, ob unter Umständen ein Testosteronmangel vorhanden ist, der dazu führt, dass kein Lustempfinden da ist.

Welche Faktoren gibt es noch?
Ernährung und Stress oder Überarbeitung können auch zu einer Erektionsstörung führen. Wichtig ist, dass man Erektionsstörungen messbar, nachvollziehbar und objektivierbar macht.

Erektionsstörungen als Frühwarnsystem

Wie lässt sich das messen?
Es gibt ein Start-Up-Verfahren, bei welchem wir kontinuierlich über die Nacht hinweg die natürlichen nächtlichen Erektionen eines Mannes mittels einer App erfassen. Das ist ausschlaggebend, um festzustellen, ob ein gesunder oder bereits krankhafter Zustand vorhanden ist.

Wie viele Erektionen hat denn ein Durchschnittsmann pro Nacht?
KRIEGMAIR: Bisher ist die Datenlage dafür dünn. Es gibt aber Anhaltspunkte dafür, dass vier bis sechs nächtliche Erektionen mit einer Gesamtdauer von 30 Minuten der Norm entsprechen.
OBERNEDER: Die Erektionsstörungen werden hier als Frühwarnsystem verstanden, für Gefäßerkrankungen, also beispielsweise auch am Herzen. Denn bei einer Erektion steigt der Blutfluss im Penis um den Faktor 20. Zum Vergleich: Bei Spitzensportlern in Aktion hat die maximale Steigung der Durchblutung am Herzen einen Faktor 7 bis 8.

Viagra kann auch psychische Blockaden im Kopf lösen

Wann verschreiben Sie Potenzmittel wie etwa Viagra?
KRIEGMAIR: Wenn eine Erektionsschwäche vorliegt, nachdem wir andere Ursachen ausgeschlossen haben. Wenn wir eine Gefäßerkrankung vermuten, dann helfen die sogenannten PDE-5-Hemmer sehr vielen Männern, tatsächlich eine normale Sexualität zu haben.

Diese Medikamente sollen auch gegen psychische Blockaden helfen. Stimmt das?
OBERNEDER: Es gibt viele gesunde Männer, die in eine Art Krise geraten, weil sie vielleicht irgendwann einmal im falschen Moment während des Sex an berufliche Probleme oder sonstiges gedacht haben und in dem Fall die Erektion nachgelassen hat. Das prägt sich dann im Gedächtnis ein.

Und wenn sie dann wieder dran denken, ist es gleich vorbei mit der Erektion . . .
Es handelt sich um gesunde Männer, bei denen sich lediglich eine Blockade im Kopf festgesetzt hat. Hier kann man extrem gut mit diesen Pillen helfen. Nach einem Monat benötigen die Männer dann die Pille gar nicht mehr. Im Kopf wird dann wieder etwas zurechtgerückt und die Angst davor, zu versagen, verschwindet.

Sport fördert Lust am Sex

Empfehlen Sie auch eine bestimmte Ernährung für gute Sexualität?
OBERNEDER: Vielleicht jede, die den Betreffenden glücklich macht und in eine gute Stimmung bringt? Übergewicht ist allerdings extrem schlecht für den Testosteronspiegel. Jede Form von Sport ist wiederum gut: Männer, die sich sportlich betätigen, haben nachweislich einen höheren Testosteronspiegel, und der wiederum erhöht die Lust am Sex. Alles was gut ist für den Körper, ist auch gut für die Sexualität.
KRIEGMAIR: Aber wir warnen insbesondere vor Nikotin! Rauchen macht eine Mikroangiopathie in ganz klassischer Weise, und es erhöht auch das Risiko für Impotenz.

Montageschaum in Harnröhre: Urologen berichten aus ihrem Alltag

Themenwechsel. Als Urologen an der Klinik haben Sie vermutlich auch immer wieder mit Männern zu tun, die beim Sex autoerotisch "nachhelfen". Wie sind Ihre Erfahrungen?
KRIEGMAIR: Erst kürzlich hat sich ein Patient vorgestellt, der sich Montageschaum in die Harnröhre eingespritzt hatte, der dann ausgehärtet ist. Wir müssen auch gelegentlich Gegenstände wie Drähte, Büroklammern, Bleistifte oder auch mal ein Fieberthermometer aus der Harnröhre oder Harnblase entfernen. Wir raten dringend davon ab, sich solche Gegenstände einzuführen.

Das klingt auch, ehrlich gesagt, gruselig . . .
KRIEGMAIR: Manche Männer versuchen eine Erektion dadurch aufrecht zu erhalten, indem sie sich Metallringe über den Penis stülpen. Davon raten wir ebenso dringendst ab. In manchen Fällen mussten Teilamputationen des Gliedes erfolgen, weil es nicht mehr richtig durchblutet war.
OBERNEDER: Leider mussten wir in der Vergangenheit auch immer wieder Männer operativ versorgen, deren Glied bei sogenannten Staubsaugerverletzungen verstümmelt wurde. Die Staubsaugerhersteller haben allerdings darauf reagiert, indem ein Schutzsieb an entsprechender Öffnung angebracht wurde.

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