Umweltschützer Claus-Peter Hutter: Der Klimawandel ist längst da

Der Umweltschützer Claus-Peter Hutter erklärt in seinem neuen Buch "Die Erde rechnet ab" die Auswirkungen des Menschen auf die Erde –und was man (noch) dagegen tun kann. Die AZ hat mit ihm gesprochen – über Dengue-Fieber in Deutschland, Erdbeeren aus Südafrika und Balkonbegrünung für München.
von  Lisa Marie Albrecht
Claus-Peter Hutter ist Autor des Buches "Die Erde rechnet ab" – und plädiert für einen Umgang mit dem Klimawandel ohne Panik, aber mit Elan.
Claus-Peter Hutter ist Autor des Buches "Die Erde rechnet ab" – und plädiert für einen Umgang mit dem Klimawandel ohne Panik, aber mit Elan. © Thomas Niedermüller/ Nature-Life-International

München - AZ-Interview mit Claus-Peter Hutter. Der 63-Jährige ist Autor, Präsident der Stiftung Nature Life International und hauptberuflich Leiter der Akademie für Natur- und Umweltschutz in Baden-Württemberg.

AZ: Herr Hutter, die Hitze dieses Sommers hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Wie haben Sie sich daheim geschützt?
CLAUS-PETER HUTTER: Schon vor vielen Jahren haben wir unser altes Haus so gestaltet und isoliert, dass es klimafit ist. Wir haben unseren Garten nicht mit Steinen zugeschüttet, wie das jetzt seit ungefähr fünf Jahren in Deutschland millionenfach erfolgte. Wir haben Sträucher und Bäume, das sind natürliche Klimaregulatoren. Und genügend Getränke haben wir sowieso immer.

Ist das jetzt schon ein Klimawandel-Sommer?
Nun, ich bin kein Klimatologe. Aber wenn man sich Klimatologen und Wetterpropheten anhört, dann haben wir jetzt schon seit 15, 20 Jahren einen Hitzesommer nach dem anderen. Es gibt meteorologische Prognosen, dass Städte, wie zum Beispiel Karlsruhe am Oberrhein, doppelt so viele Hitzetage wie jetzt erwarten. Ich nehme das als eine Auswirkung des Klimawandels, sei der nun naturgemacht oder anthropogen.

Am Anfang Ihres Buchs "Die Erde rechnet ab" vergleichen Sie den Klimawandel mit einem Verkehrsunfall. Wieso?
Wenn man heute in einen Verkehrsunfall verwickelt, aber nicht selbst Opfer ist, will man helfen. Und plötzlich weiß man gar nicht mehr, wie das geht. Dann werden Helfer geholt, die bestens geschult sind. Wenn wir die Auswirkungen des Klimawandels sehen, dann wissen wir eigentlich genug, was getan werden muss. Aber wir verhalten uns wie jemand, der beim Roten Kreuz zum Verkehrseinsatz gerufen wird und so tut, als wüsste er nicht, was passiert. Ein Sanitäter kann nicht lange diskutieren, welche Maßnahmen er zur Erstversorgung von Notfallpatienten unternimmt. Wir sind in einer unsäglichen Diskussionsspirale, obwohl wir die Zeit zum Handeln brauchen.

Steht es so schlimm?
Was wir früher als Jahrhundertkatastrophe bezeichnet haben, passierte vor zwei, drei Jahren bereits im Quartalstakt, jetzt im Monatstakt: Stürme, Starkregen, Stromausfälle einerseits, Dürren und Niedrigwasserstände andererseits.

"300 gemeldete Fälle von Dengue-Fieber pro Jahr – in Deutschland"

Und Insektenplagen. Im Buch schreiben Sie auch von einem Anstieg der Insekten, die eigentlich in den Tropen heimisch sind. Kriegen wir bald auch in Deutschland Dengue-Fieber und Malaria?
Wenn man sieht, mit welcher Geschwindigkeit sich potenzielle Krankheitsüberträger wie der Tigermoskito oder die Gelbfiebermücke verbreitet haben, muss das schon zu denken geben. Mittlerweile werden pro Jahr zirka 300 Fälle von Dengue-Fieber in Deutschland gemeldet. Dank Hygiene und medizinischer Versorgung ist das noch kein so großes Problem. Aber lassen Sie mal weitere Hitzesommer kommen, Stromausfälle, weniger Wasser. Dann brechen auch Hygiene und Versorgungen zusammen. Der Appell des Buches ist, keine Zeit zu verlieren mit der Frage: Haben wir einen Klimawandel oder nicht? Er ist längst da. Jetzt müssen wir schauen, wie wir damit umgehen.

Und wie?
Das muss schon mit der Bildung von Kindern anfangen: Das muss man ganz ohne Panik tun. Ich bin von Haus aus ein sehr fröhlicher Mensch, ich liebe das Leben. Die Welt ist so schön, deshalb müssen wir alles dafür tun, sie zu erhalten.
Gerade die Deutschen wollen gerne per Flugzeug viel von dieser Welt sehen. Das ist schlecht für die CO2-Bilanz. Sollten wir nicht besser nur noch Urlaub im eigenen Land machen?
Wir können das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Ich finde es aber sehr kritisch, wenn man heute über ein Wochenende überall hinfliegen kann zu Preisen, die unter einer Taxirechnung vom Münchner Hauptbahnhof zur Innenstadt liegen. Wenn man eine Bildungsreise nach Asien oder Südamerika macht, ist das sicherlich okay. Aber unnötige Transporte einzudämmen ist wichtig. Und wir von Nature Life bieten auch an, dass man Flugreisen und sonstiges Energieaufkommen kompensiert. Wir lassen für das Geld auf verwüsteten Flächen wieder Wälder entstehen.

Manche sagen, heiße und kalte Perioden gab es schon immer. Was sagen Sie ihnen?
Natürlich haben sich Kalt- und Warmzeiten abgewechselt. Das war allerdings das letzte mal vor zirka 120.000 Jahren. Und dann nochmal vor 10 bis 15.000 Jahren. Das sind lange Zeitspannen. Manche sagen, dass die Dinosaurier ja auch ausgestorben sind. Die Saurier waren Millionen Jahre auf der Erde, wir Menschen sind nicht mal einen Wimpernschlag da. Ich komme auf den Verkehrsunfall zurück: Das ist so, als ob jemand blutet, versorgt werden muss und dann sagt man: "Na ja, es sind schon immer mal Menschen verblutet."

"Ein Schnitzel darf nicht weniger kosten als eine Dose Katzenfutter"

Sie kritisieren die extensive Landwirtschaft. Insbesondere tierische Produkte sind schlecht fürs Klima. Sollten wir alle Veganer werden?
Mit Sicherheit nicht. Unsere Kulturlandschaft lebt von der Vielfalt. Ohne Rind, Pferd, Schaf und Ziege gibt es keine Wiesen und Weiden, ohne Wiesen und Weiden keine Blumen, Schmetterlinge und so weiter. Diese Wiesen sind auch CO2-senkend. Die Frage ist, ob man Fleisch kiloweise in sich rein-stopfen muss. Wir müssen Ernährungsweisen überdenken. Es kann nicht sein, dass ein Schweineschnitzel weniger kostet als eine Dose Katzenfutter.

Wie kaufe ich klimafreundlich ein?
Indem ich esse, was saisonal und regional ist. Es müssen keine Erdbeeren aus Südafrika eingeführt werden. Kinder müssen wieder lernen, wo was wächst, und wie ich sparsam koche. Ich bin auch ein Genussmensch, aber das geht auch anders als jetzt. Sogar in der Großgastronomie. Wir haben ja das zweitgrößte Volksfest der Welt in Stuttgart ...

DER Wasen.
Sehr gut! Der hat auch was mit Klimawandel zu tun.

Tatsächlich?
1815 gab es einen Vulkanausbruch in Indonesien und es ging eine Aschewolke um die Welt. Das hat zu Sommern ohne Sonne geführt und einer Auswanderungswelle in Süddeutschland wegen Hungersnot. Da dachte der damalige König, jetzt müsse man was tun und hat unter anderem eine Landwirtschaftsmesse einberufen. Das war der Wasen, aus der Not geboren.

Wenn wir schon in der Stadt sind – wie schlecht ist die für die Umwelt?
Städte sind Energiefresser, zudem sind sie einfach anfällig. Bei Hagel- und Sturmereignissen laufen Unterführungen voll und alles steht still. Wir müssen uns unangreifbarer machen. Warum legen wir keine Zisternen an, warum bauen wir heute Plätze immer noch mit so viel Beton und Asphalt? Die Stadtplanung, die wir jetzt haben, ist von vorgestern.

Und wie sieht die Stadtplanung von morgen aus?
Man müsste zum Beispiel bei Gewerbebauten Dachbegrünung vorschreiben oder analysieren, wo Energie flöten geht.

Das sind Dinge, die ja eher auf höherer Ebene entschieden werden...
Da lege ich Widerspruch ein! Wir müssen uns kümmern. Wenn heute ein Bebauungsplan aufgelegt wird, liegt der öffentlich aus. Fragen Sie mal in den Ämtern, wer da kommt und sich das anschaut – vielleicht noch der ein oder andere Umweltverband. Wir haben viel mehr Möglichkeiten Politiker einzuwirken. Ich habe das Gefühl, es muss immer noch viel mehr geschehen, bevor man handelt. Das ist eine Lethargie, die wir uns nicht mehr leisten können.

Vielleicht denkt sich der Einzelne auch, er kann nicht viel tun. Hilft es denn auch was, wenn ich zum Beispiel meinen Balkon begrüne?
Absolut. Viele kleine Grünanlagen helfen, das Mikroklima zu verbessern. Jedes Grün zählt.

Eine Zukunftsvision: München 2035. Wie sieht der schlimmste Fall aus?
Die Hitze hat noch mehr zugenommen, Bäume sterben, Wasser wird knapp. Es gibt Hitzetote, Stromausfall, irgendwann gehen auch die Aggregate nicht mehr. Menschen können nicht mehr versorgt werden, auch in den Krankenhäusern. Dann kommen Stürme, Starkregen, Hagel. Menschen fliehen aus der Stadt, wissen aber nicht wohin. Das ist der Worst Case.

Und jetzt bitte schnell die Prognose, wenn wir Klimaschutz umsetzen.
Es wird weiterhin warm bleiben, aber wir haben uns angepasst. Wir bauen intelligenter, wir haben mehr Grün, wir haben die Menschen so befähigt, dass sie Vorräte zuhause haben und nicht abhängig sind von fremder Hilfe. Dann können wir das Sommerflair auch in München künftig genießen.

Und welcher Fall tritt ein?
Das hängt von den Entscheidungsträgern in Kommunalpolitik, Verwaltung und Wirtschaft ab, aber auch davon, wie jeder Einzelne gegensteuert. Es gibt ein unerschöpfliches Potenzial an Möglichkeiten. Man muss nur anfangen.

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