TV und Realität: So ist es im Dschungel wirklich!

Millionen Zuschauer beobachten das RTL-Camp - und sind froh, daheim im Wohnzimmer zu seitzen. Sabine Kuegler wuchs bei einem Stamm in Papua auf – und erzählt von der wahren Wildnis.
von  Abendzeitung
Hier fühlt sie sich wohl: Sabine Kuegler bei den Dreharbeiten zum Kinofilm mit den Fayu-Darstellern, die aus Papua stammen. Auch als Erwachsene kehrt sie immer wieder in den Urwald zurück.
Hier fühlt sie sich wohl: Sabine Kuegler bei den Dreharbeiten zum Kinofilm mit den Fayu-Darstellern, die aus Papua stammen. Auch als Erwachsene kehrt sie immer wieder in den Urwald zurück. © UFA Cinema Verleih GmbH/ddp

Millionen Zuschauer beobachten das RTL-Camp - und sind froh, daheim im Wohnzimmer zu seitzen. Sabine Kuegler wuchs bei einem Stamm in Papua auf – und erzählt von der wahren Wildnis.

Sie essen Würmer, würgen pürierte Känguru-Hoden herunter, sie hungern und schwitzen und streiten, und wenn Jay richtig sauer ist auf Sarah, dann sagt er zu ihr: „Die bist absolut ungeeignet für den Dschungel.“ Wie viel hat denn der australische Fernseh-Dschungel mit einem echten Urwald zu tun? Nicht viel, findet Sabine Kuegler. Und die 38-Jährige muss es wissen, sie wuchs im Dschungel auf.

Ihre Eltern, ein Sprachforscher und eine Krankenschwester, lebten in West-Papua bei einem neu entdeckten Stamm, den Fayu. Bis sie 17 Jahre alt war, war der Urwald ihr Zuhause. Auch als Erwachsene zieht es sie immer wieder in diese Welt. Sabine Kuegler schrieb den Besteller „Dschungelkind“, der jetzt auch fürs Kino verfilmt wurde (siehe unten).

Die Kandidaten, sagt Sabine Kuegler, tun ihr irgendwie leid. Das Essen ekliger Tiere – ein Klischee. „Ungekochte Würmer? Hätten wir nie gegessen.“ Dabei hat sie als Kind auch kulinarisch viel ausprobiert, man aß Grillen, Fledermäuse, Kängurus. „Die Kinder haben auch rohe Sumpfkäfer gegessen, das war das Einzige, das mich abgestoßen hat.“

Dicke weiße Würmer dagegen sind eine Delikatesse. „Sie werden in Blätter eingewickelt und gekocht.“ Generell ist Kueglers Erfahrung, dass Ekel relativ ist. „Wenn ich dort Leuten Cola anbiete, ekeln sie sich auch.“ Ihre Mutter hat einmal für die Fayu-Frauen Pfannkuchen mit Rosinen gemacht – für die deutsche Familie eine seltene Köstlichkeit. Die Fayu pickten die Rosinen raus und warfen sie auf den Boden. „Sie haben gesagt: Wir essen keine Käfer, die wir nicht kennen. Sie fanden die Rosinen einfach ekelhaft.“

Das Klima war für Kueglers Eltern eine Belastung. Die Kinder kamen gut zurecht. Noch heute schwitzt Sabine Kuegler auch bei großer Hitze – genau wie die Einheimischen – kaum. Ein Zeichen dafür, dass ihr Stoffwechsel sich angepasst hat. Denn für den Körper am besten ist leichtes Schwitzen, so, dass die Haut maximal gekühlt wird, aber möglichst wenig Flüssigkeit verloren geht.

Gefährliche Tiere waren kein Problem. „Am gefährlichsten sind die Wildschweine, sie sind halbzahm. Sie greifen an, da mussten wir manchmal auf die Bäume flüchten.“ Bei Schlangen dagegen droht nur Gefahr, wenn sie überrascht werden. „Eine der wichtigsten Regeln im Dschungel ist: Tritt niemals wohin, wo du nicht hingesehen hast.“ Von den Einheimischen lernte die Familie, in welchen Gewässern Krokodile sind. „ Je mehr Strömung, desto weniger Krokodile.“

Sabine Kuegler erkrankte als Kind an Malaria. „Moskitos sind eine echte Plage“, sagt sie. Nachts schlief jeder unter einem Netz. „Wir Weiße riechen allerdings auch anders, weil wir so viel Zucker essen, das zieht die Moskitos an. Wenn ich in den Dschungel gehe, höre ich auf, Zucker zu essen.“

Eine ihrer schönsten Kindheitserinnerungen war der Regen nach der Hitzewelle. „Der Sturm kündigt sich an. Es ist dann unerträglich, die Luft steht. Es ist im Dschungel niemals still – außer vor dem Sturm, da halten sogar die Tiere inne. Und dann kommt der Sturm, das ist für mich Natur pur.“ Es gab auch Überschwemmungen. „Aber die Folgen waren nicht so extrem wie zum Beispiel in Australien. Der Wald, der Boden war intakt, viele Katastrophen haben heute ja ihre Ursache in der Rodung.“

Was sieht sie im RTL-Dschungelcamp? „Das Auffälligste ist für mich, zu sehen, wie die Menschen sich benehmen: wie sie streiten, wie wenig sie zusammenhalten. Vielleicht liegt es auch am Hunger, der macht aggressiv. Aber ich glaube, es ist auch typisch deutsch: Wir sind eine Einzelgesellschaft. Im Dschungel lebt man in der Gruppe, man teilt alles.“

Als Kuegler nach Deutschland kam, hat sie das am meisten verstört. „Hier ist jeder auf sich gestellt.“ Heute sieht sie in jeder Lebensform Vor- und Nachteile. Hier der Schutz der Gruppe, da die Chance auf Individualität. „Ich weiß auch, dass ich mich dort nicht so hätte entwickeln können wie hier. Ich hätte wahrscheinlich acht Kinder und einen engen Blick auf die Welt.“

Tuberkulose, Mangelernährung, all das war im Urwald Alltag. Sie wundert sich, dass die Deutschen ihren Wohlstand so wenig schätzen. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir hier glücklicher sind.“

Eine Sehnsucht nach dem Dschungel ist geblieben. Sabine Kuegler hat vier Kinder und lebt in einem Dorf in der Nähe von München – mit den Kindern und Freunden, das ist die Gruppe in ihrem Leben. Ihre Zuneigung gilt den Menschen in Papua, sie engagiert sich unter anderem mit World Vision für Schwangere. Sie erzählt auch dort von ihrem Leben zwischen den Welten. In Papua leben immer mehr in Städten, es herrschen Armut, Krankheit und Perspektivlosigkeit.„Viele kommen nicht zurecht, weil sie die Gruppe nicht mehr haben. Sie müssen ihr Wissen bewahren, ihre Kultur, das ist ihre Identität."

Für das Paradies ihrer Kindheit sieht Kuegler nur eine Perspektive: „Die Menschen müssen einen Weg finden, ihr Geld zu verdienen, ohne ihr Holz zu verkaufen. Nur so schützen wir den Urwald und ihre Kultur.“

Aber um Kultur geht es ja im TV-Dschungel am allerwenigsten.

Tina Angerer

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