Türkisch für Fortgeschrittene
Zu Anfangs kamen sie als Gastarbeiter und Gemüsehändler nach Deutschland, doch mittlerweile prägen Türken die deutsche Kultur mit. Mode, Literatur, Musik und natürlich das Essen wurde stark von den Zuwanderern geprägt.
Irgendwann, es muss wohl Mitte der 80er Jahre gewesen sein, sahen deutsche Hausfrauen ein, dass es beim Türken um die Ecke frischeres Obst und knackigeres Gemüse gab als im Supermarkt. Fortan sah man sie samstags vormittags nicht auf dem Wochenmarkt – sondern in diesen kleinen, dunklen, mit Kisten und Kartons bis an die Decke vollgestellten Räumen, in denen meist hinten, auf einem Stuhl, ein alter Türke saß, dem der Laden gehörte, während vorne zwei junge Türken Salate und Trauben und Apfelsinen in Tüten packten. Der Türke – das war plötzlich nicht nur der stille Fabrikarbeiter, es war einer, bei dem man prima Obst kaufen konnte. Ansonsten aber blieben Türken, blieb türkische Kultur, vielen Deutschen reichlich unbekannt. Und ein bisschen suspekt – was deshalb nichtweiter verwunderlichwar, da Türken ja ursprünglich nicht ins Land geholt wurden, um hierher türkisches Leben, türkische Kultur, türkische Sitten und türkische Bräuche zu bringen.
Einst als Gastarbeiter gekommen gehören sie nun dazu
Die Türken wurden als Arbeitskräfte ins Wirtschaftswunderland Deutschland geholt, ab 1961 war das, sie sollten hier schuften, und irgendwann dann wieder gehen. Nun, sie sind geblieben und mittlerweile zur größten Zuwanderergruppe im Land geworden. Laut Statistischem Bundesamt leben in Deutschland 1,7 Millionen türkische Staatsbürger – und haben, lange unerkannt, dieses Land mehr geformt und geprägt als viele anfangs glaubten. Ein Blick auf die Straßen der Republik reicht völlig aus. Türkische Bistros, türkische Einkaufsläden, türkische Kneipen – und diese gruppieren sich nicht mehr an schäbigen Bahnhofsplätzen oder mehrspurigen Aussfahrtstraßen, sondern sind auch in den Altstadtkernen sowie in den angesagten Hot-Spots der Metropolen zu finden. Um das zu sehen, braucht man nicht eigens in die Hauptstadt zu fahren, wo heute die weltweit größte türkische Gemeinde außerhalb der Türkei lebt. Das kann man auch hier erleben.
Die Türken haben uns mitgeprägt
Junge Menschen, die zusammen in türkischen Teehäusern sitzen. Die süßen Tee schlürfen, die Wasserpfeife rauchen, die einen Döner essen, selbstverständlich, aber auch: Lahmacun, türkische Pizza, und Baklava, die süße Nachspeise. Türkische Küche gehört mittlerweile fest zum Grundrepertoire deutscher Essgewohnheiten, stellt ebenso eine kulturelle Bereicherung dar, wie türkische Mode, Literatur, Musik, mit der Künstler gerade in den vergangenen Jahren deutsche Kultur geprägt haben. Damit ist jetzt nicht der reduzierte Slang junger Deutschtürken aus „bildungsfernen Schichten“ gemeint, wie es bürokratendeutsch heißt, wohl aber der Schriftsteller Feridun Zaimoglu. Mit dem Buch „Kanak Sprak“ hat der in der Türkei geborene Zaimoglu exemplarisch gezeigt, wie sehr türkische Einwanderer die deutsche Sprache durch Wortneuschöpfungen, grammatikalische Vereinfachungen bereicherten, ihr Kraft verleihen. Die ist überall zu hören – auf den Straßen, auf den Schulhöfe, oder im Radio. Türkische Bands wie der Berliner-Rapper „Kool Savas“ oder der in Alzey geborenen Sänger Tarkan haben eine eigene Sprache entwickelt, mixen deutsche und türkische Sprache virtuos wie ihren Kleidungsstil. Auch da, nicht zuletzt, sieht man, wie sehr in Deutschland lebende Türken dieses Land geprägt haben: Deutsche Mädels greifen gerne zu bunten, türkischen Kopftüchern oder goldenen Ohrringen, wie sie Türkinnen oft tragen – und sie tun das auf eine selbstverständliche Art, die ihren Müttern wohl noch fremd gewesen wäre. Aber die Zeiten ändern sich ja.
Jan Chabern
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