Treiben und treiben lassen
Zwischen Hochzeit und Handyrechnung: Timm Klotzek über das Lebensgefühl der Generation 35minus
Wer heute zwischen 20 und 35 ist, kennt die Fragen nur zu gut: Soll ich powern im Beruf, Geld sparen, heiraten? Oder lieber ein entspanntes „Schau ma mal“? Was ist besser: „Planen oder treiben lassen“? So heißt auch das heute erscheinende Buch der Journalisten Timm Klotzek und Michael Ebert. Die AZ fragte den 36-jährigen Klotzek, ob nun endlich das Rezept fürs richtige Leben geschrieben wurde.
AZ: Herr Klotzek, ich habe Ihr Buch gelesen und weiß immer noch nicht, ob ich Lebens-Planer oder Lebens-Treibenlasser bin. Bin ich ein hoffnungsloser Fall oder muss ich mich nur mal richtig schütteln?
TIMM KLOTZEK: Die Allerwenigsten wissen genau, ob sie Planer oder Treibenlasser sind. Mancher lässt zum Beispiel das Verhältnis zu den Eltern einfach laufen, plant aber seine Versicherungen völlig durch in einem Stapel voller Klarsichthüllen mit fünf Leitz-Ordnern. Ich fände es auch eigenartig, wenn sich jemand zu 100 Prozent auf eine Seite festlegen könnte.
Dann bin ich ja ganz normal.
Ich glaube schon, ja. Es gibt da kein Richtig oder Falsch. Es ist auch nicht so, dass nur die Planer die besseren Menschen wären oder umgekehrt.
Über den Umgang mit mutmaßlichen Rechnungen
Was ist aber nun genau ein Planer oder Treibenlasser?
Ein Planer versucht sein Leben aktiv, systematisch und selbststeuernd anzugehen. Er sagt zum Beispiel: Jetzt habe ich fertig studiert und arbeite noch nicht – also muss ich sofort eine Weltreise machen. Dann geht er das total strategisch an, liest sich vorher alles an und weiß genau, wann er wo unterwegs sein wird. Der Treibenlasser dagegen sagt: Okay, wenn es sich ergibt, mache ich eine große Reise, aber wohin und wie genau, das weist sich schon noch, vielleicht kann ich es sogar mal mit dem Beruf verbinden.
Zum Testen schlagen Sie vor, man solle unangenehme Post, also mutmaßliche Rechnungen oder Mahnungen, im verschlossenen Umschlag vor sich hinlegen und beobachten, ob man sie aufmachen möchte oder nicht. Schon mal selbst ausprobiert?
Ich habe den Test gemacht.
Und?
Ich neige dazu, mich zu betrügen, indem ich die Post zwar öffne und lese, dann aber wenig mache außer sie sauber abzuheften. Aber ich bilde mir ein, alles im Griff zu haben.
Systematische Suche nach der großen Liebe im Internet
Richtig, dass letztendlich der Planer doch der unsympathischere Typ ist? Kaum jemand bekennt sich dazu.
Doch, es gibt schon viele, die gerne vor sich selbst oder Kollegen als extrem aufgeräumte Typen dastehen wollen. Planen kann ja auch hilfreich sein, wenn das Leben sonst chaotisch und unsortiert ist. Gerade in Krisenzeiten wächst der Wunsch, zumindest im Privaten alles im Griff zu haben. Das geht bis zur systematischen Suche nach der großen Liebe im Internet – die größtmögliche Planung.
Und wenn man sich nur einfach nicht analog zu Flirten traut?
Sicher, da kommt oft vieles zusammen. Aber eben auch der Reiz des Ökonomischen: Ich schicke 17 Mails an 17 Frauen, da wird schon was dabei sein.
Grübelei und Selbstreflexion
Sie schreiben, das Buch wäre kein Ratgeberbuch. Aber was soll diese Art von gedruckter Lebenshilfe sonst sein?
Wir wollten klarstellen, dass man in dem Buch keine genauen Handlungsanweisungen bekommt. Wer wissen will, welches Handy, welchen Beruf er braucht, wird unbefriedigt bleiben. Wir raten niemandem, entweder Planer oder Treibenlasser zu werden.
Haben es Sensible und Empfindsame bei solchen Fragen schwerer als andere?
Ich denke schon, dass Grübelei und Selbstreflexion ein Wesenszug der Generation zwischen 20 und 35 ist. Da gibt es fast nie ganz klare Wege und Ziele. Das macht den Weg langsamer, aber man läuft auch weniger in Gefahr, zehn Jahre in die völlig falsche Richtung zu galoppieren und dann den Zusammenbruch zu erleiden.
Dann gilt also, in Abwandlung eines Sprichworts: Dumm lebt besser?
Das stimmt total. Es geht nichts über das Dasein einer völlig gedankenfreien Amöbe.
Das Buch zum Lebensgefühl
Viele Journalisten, die mal was Bleibendes hinterlassen wollen, schreiben dann Ihren ersten und oft auch einzigen Roman. Sie konnten einfach „Neon“ zweitverwerten.
Es ist schon deutlich mehr als eine Zweitverwertung. Das merkten wir auch daran, dass wir für dieses Buch sehr viel recherchieren mussten.
Nicht das Buch zum Heft?
Es ist das Buch zum Lebensgefühl des Magazins.
Ihr Verlag schreibt, es ginge um eine unsichere Generation. Waren junge Erwachsene vor 20 oder 100 Jahren nicht genauso unsicher?
Es gab wohl immer historische Phasen, wo sich Generationen eher unsicher fühlten. Im Moment ist wohl so eine. Die 68er dagegen hatten auf beneidenswerte Art dieses Gefühl, ganz genau zu wissen, was richtig und was falsch ist. Heute stahlt niemand diese Art von Selbstsicherheit aus, der nicht total bekloppt ist.
Eenn man Kinder hat, rastet irgendwas ein
Dreht sich letztendlich nicht doch alles um die Frage nach der Liebe? Und weniger um Versicherungen oder Weltreisen?
Ja, das glaube ich auch. Die Liebe zu anderen Menschen und auch die Selbstliebe. Wer sich selbst nicht leiden kann, wird nie ein glücklicher Mensch werden.
Sie werden bald nochmal Vater. Verändert das die eigene Sicht auf die Dinge?
Total!
Nicht mehr alles offen am Horizont?
Nein, wenn man Kinder hat, dann rastet irgendwas tief in einem drin endgültig ein. Das ist sicher die…
…die größte Nummer, die man machen kann?
Allerdings.
Michael Grill
Ebert/Klotzek: „Planen oder treiben lassen? (Heyne)