Trauerfeier in Duisburg: „Ihr seid nicht allein“

Am Samstag trauerten 5000 Menschen um die Toten von Duisburg. Christian Ortner aus Wolfratshausen war auch dabei und nahm Abschied von Clancie, der 27-jährigen Australierin, mit der er auf der Loveparade war.
von  Abendzeitung
Bei der Loveparade in Duisburg am 24. Juli 2010 starben 21 Menschen im tödlichen Gedränge. Bilder von der Katastrophe.
Bei der Loveparade in Duisburg am 24. Juli 2010 starben 21 Menschen im tödlichen Gedränge. Bilder von der Katastrophe. © dpa

DUISBURG - Am Samstag trauerten 5000 Menschen um die Toten von Duisburg. Christian Ortner aus Wolfratshausen war auch dabei und nahm Abschied von Clancie, der 27-jährigen Australierin, mit der er auf der Loveparade war.

Hannelore Krafts Stimme zittert, als sie von den 21 Opfern spricht. „Sie sind aus ihren Hoffnungen und Träumen, aus ihren Zukunftsplänen, Familien und Freundeskreisen gerissen worden“, sagt die Ministerpräsidentin in der Duisburger Salvatorkirche. Ihr 17-jähriger Sohn war selbst auf der Love-Parade, acht Stunden wartete Kraft auf das erlösende Lebenszeichen. Jetzt sagt sie zu den Hinterbliebenen: „Öffnen Sie Ihr Herz für alle, die Ihnen Trost spenden wollen und Ihnen über den Verlust eines unersetzlichen Menschen hinweghelfen möchten. Sie sind nicht allein.“

In der Kirche sitzt auch der 27-jährige Christian Ortner, der um die Australierin Clancie trauert, mit der er auf der Love-Parade gewesen ist. „Hannelore Kraft hat da keine politische Show abgezogen. Das war sehr echt und bewegend“, sagt Ortner nach seiner Rückkehr zur AZ. „Sie hat uns danach mit Tränen in den Augen umarmt.“

Am Samstag fand die offizielle Trauerfeier in Duisburg statt. Neben Kraft reisten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Wulff und Außenminister Westerwelle an. In der Kirche verfolgten die Politiker mit den Angehörigen und Freunden der Opfer den Gottesdienst, der auch ins Stadion übertragen wurde. Danach zogen rund 5000 Menschen in einem stillen Trauermarsch durch die Stadt zum Unglücksort und ließen dort 21 schwarze und viele weiße Luftballons steigen.

Zum ersten Mal seit der Katastrophe vom 24. Juli ist Christian Ortner wieder an der Stelle gewesen, an der es geschah. Angehörige und enge Freunde durften ohne Öffentlichkeit den Unglücksort besuchen. Auf einem Schild steht dort: „ Clancie – Knowing you made (life) better. You will be missed“, neben einer australischen Flagge. „Ich wollte da hin, weil ich mich noch gar nicht richtig verabschiedet habe“ erzählt Christian Ortner. „Dort kam dann alles wieder hoch.“

Die Bilder von der Panik, von den bewusstlosen Menschen – und von den Toten. Ortner war mit seiner Verlobten und vier australischen Freunden, darunter Clancie, auf der Love-Parade (AZ berichtete). Inmitten der Menschenmassen verloren sich die Freunde aus den Augen. Ortner und seine Verlobte wurden zu der kleinen Treppe geschoben und entkamen. Für Clancie konnten sie nichts mehr tun. „Im Nachhinein sieht das alles noch viel kleiner und enger aus, als ich es in Erinnerung habe. Wenn man das sieht, ist es unbegreiflich, wie überhaupt jemand denken konnte, dass durch diesen Tunnel eine Million Menschen passen könnten. Man ist fassungslos: 21 Menschen starben, weil irgendjemand sagte: Das geht schon.“

Auch Clancies Vater und Bruder kamen aus Australien, um an der Feier teilzunehmen. Beim Trauermarsch wollten Christian und seine Freunde nicht mitmachen. „Es ist ganz einfach so, dass wir nicht nochmal in eine Menschenmasse wollten, nicht wieder mit Tausenden in den Tunnel.“ Ortner traf sich statt dessen mit anderen Angehörigen, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kam persönlich dazu. Hinterbliebene erzählten ihre Geschichten, es soll eine Community gegründet werden, eine Leidensgemeinschaft. Der Samstag war aber nicht nur ein Tag der Trauer. Viele drückten auch ihre Wut aus: „Sauerland, du bist ein Mörder“, steht auf einem Schild. „Profiteure gehen über Leichen“, auf einem anderen.

„Man weiß, dass daran nicht einer alleine schuld ist. Aber für die Angehörigen ist es ein Schlag ins Gesicht, dass jeder die Verantwortung von sich schiebt“, sagt Ortner. „Es ist jetzt wichtig, dass den Familien schnell und unkompliziert geholfen wird. Und wir hoffen natürlich, dass alles lückenlos aufgeklärt wird und Verantwortliche bestraft werden.

Für den Studenten geht jetzt der Alltag mit seiner Diplomarbeit weiter. Er hofft aber, im Januar wieder nach Australien reisen zu können. „Dann werde ich auch Clancies Vater besuchen. So ein Erlebnis schweißt zusammen.“

Eigentlich gehen Ortner und seine Freunde immer aufs Oktoberfest. „Ob das in diesem Jahr das Richtige ist, wissen wir noch nicht.“ Es glaubt aber, dass es in Clancies Sinne gewesen wäre. „Sie hätte sicher nicht gewollt, dass wir uns unterkriegen lassen.“ Und er weiß auch, egal, wann und wo wieder ein großes Fest steigt: „Im Herzen feiern wir mit ihr.“ Tina Angerer

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