Tödliches Ende der Loveparade: Wer ist schuld?

An Warnungen vor der Todes-Falle hat es nicht gefehlt. Doch die Stadt Duisburg habe sich vom Veranstalter in die Enge treiben lassen gesagt, klagt die Polizei. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft
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Eine Kerze erinnert an die Toten der Katastrophe von Duisburg
dpa Eine Kerze erinnert an die Toten der Katastrophe von Duisburg

DUISBURG - An Warnungen vor der Todes-Falle hat es nicht gefehlt. Doch die Stadt Duisburg habe sich vom Veranstalter in die Enge treiben lassen gesagt, klagt die Polizei. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft

19 Tote, 342 Verletzte – eine der größten Katastrophen seit Jahren. Aber wer ist daran schuld? Sind die Verantwortlichen sehenden Auges in die Tragödie gegangen? Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eröffnet – und gleich alle Planungsunterlagen beschlagnahmt.

Wie kam es zu der Katastrophe?

Das Festivalgelände, der alte Güterbahnhof von Duisburg, hatte nur einen einzigen Zugang. Dieser lag am oberen Ende einer Rampe, die aus einem langen Tunnel herausführt. Darin kam es schon vor dem Unglück zu beängstigenden Szenen mit Staus und Prügeleien. Ausgelöst wurde die Katastrophe dann auf der kurzen Rampe zwischen Tunnel und Festival-Eingang: Als dort nichts mehr vor und zurückging, kletterten Techno-Fans über Absperrgitter und versuchten, über eine schmale Nottreppe aufs Festival-Gelände zu kommen. Doch einige stürzten aus etwa neun Metern Höhe ab, rissen andere mit sich – da brach die Massenpanik unter den Menschen vor und im Tunnel aus. Erst dann wurde eine zweite Zugangsrampe geöffnet.

Wo gab es die Toten?

Detlev von Schmeling von der Polizei Duisburg teilte am Sonntag mit, dass anders als angenommen keines der 19 Opfer im Tunnel den Tod gefunden hat. 14 seien an der Treppe gestorben, zwei an einer Plakatwand ebenfalls am Aufgang vor dem Gelände. Die anderen seien in Krankenhäusern ihren Verletzungen erlegen – wo sie sich diese zugezogen hatten, ist nicht restlos klar.

Gab es keine Warnungen?

Doch, jede Menge. Zwei Tage vorher schrieb Blogger „Klotsche“: „sehe ich das richtig, dass die versuchen 1 Million Menschen über die 1-spurige! TUNNELSTRASSE! zum Veranstaltungsgelände zu führen? Ich seh schon Tote.“ Er war nicht der einzige. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) erklärte, dass die Polizei von Anfang an Bedenken hatte. „Das Gelände war viel zu klein“, so Vize-Landeschef Wolfgang Orscheschek. „Die Menschen sind Opfer materieller Interessen geworden.“ Die Stadt sei vom Love-Parade-Veranstalter so „in die Enge getrieben worden, dass sie trotz eindringlicher Sicherheits-Warnungen“ Ja gesagt hätte.

Was sind die Vorwürfe?

Erstens das Nadelöhr: Wie kann man nur einen Zugang planen - wenn das Gelände schon anders als üblich eingezäunt ist? Zweitens: „Der Andrang wurde unterschätzt“, sagt GdP-Bundesvize Michael Reinke. Das Gelände fasst 300000 Menschen. Zum letzten Rave in Dortmund waren 1,8 Millionen gekommen; in Duisburg waren es 1,4 Millionen. Wohin aber mit gut einer Million frustrierten Partygängern – die nicht mal umkehren können, weil durch den Tunnel immer neue Besucher nachströmen? Love-Parade-Erfinder Dr. Motte: „Die haben einen krassen Management-Fehler begangen.“

Wie ist die Rolle der Polizei?

Dazu gibt es widersprüchliche Schilderungen: Augenzeugen berichten, sie hätte das Gelände wegen Überfüllung geschlossen und zur Umkehr aufgefordert. Die Polizei widerspricht: Das Gelände sei nie überfüllt gewesen. Man habe ständig versucht, den Zugang zum Tunnel zu regulieren. Sie verweist auch auf die vielen privaten Sicherheitskräfte, die oft für vier Euro die Stunde arbeiten: Die seien mit der Masse berauschter und frustrierter Raver überfordert gewesen. Die Polizei habe ein eigenes Konzept gehabt, so „Spiegel Online“, das sei der Stadt aber zu aufwendig gewesen. Ein Polizist: „Die Stadt hat die Veranstaltung allen Bedenken zum Trotz durchgeboxt. Man wollte sich unbedingt damit schmücken.“ Wer wann was falsch entschieden hat, ist nun Gegenstand der Ermittlungen.

Was sagen Stadt und Veranstalter?

Sicherheitsdezernent Rabe, der bis zuletzt erklärt hat, dass man das „problemlos steuern kann“, will sich mit Hinweis auf das Verfahren nun nicht mehr äußern. Love-Parade-Geschäftsführer ist Rainer Schaller, Inhaber der McFit-Kette. „Worte reichen nicht aus, um meine Erschütterung zu beschreiben.“ Er wolle eine vollständige Aufklärung. Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) warnt vor „voreiligen Schuldzuweisungen“. „Es lag nicht am Sicherheitskonzept, sondern wahrscheinlich an individuellen Schwächen.“ Also sind die Raver selbst schuld? Der Panikforscher Michael Schreckenberg, der das Konzept miterarbeitet hat: „Wir haben viele mögliche Notfälle durchgespielt. Aber dass Menschen von oben herunterfallen, das war nicht vorgesehen.“ Er sagte auch, dass das Konzept für 500000 Leute ausgelegt war – nicht für 1,4 Millionen. Seine Warnungen und Ratschläge (etwa Video-Kameras an der Rampe) seien von den Veranstaltern nicht beherzigt worden.

Warum wurde weitergefeiert?

Rabe: „Wir wollten, dass die Veranstaltung in Ruhe ausklingt.“ Man habe eine weitere Panik gefürchtet. Der britische DJ Mark Knight: „Ich habe meinen Auftritt nicht abbrechen dürfen. Die Veranstalter sagten, die Show müsse weitergehen.“

tan

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