Teenie-Trend: Sex-Bilder aufs Handy

MÜNCHEN - Aktuelle Studie: 20 Prozent aller Jugendlichen versenden per Handy aufreizende Aufnahmen – von sich selbst. Welche Gefahren Medienexperten beim „Sexting" sehen
Im Hintergrund hängt ein Poster des amerikanischen Teenager-Idols Zac Efron. Im Vordergrund, auf der Disney-Bettwäsche sitzend, zieht ein etwa 16-jähriges Mädchen ihr Oberteil aus und schürzt lasziv die Lippen. Das Ganze wirkt sehr übertrieben, und irgendwann muss sie selber lachen. Doch der Spaß ist längst vorbei – das sehr private Video im Internet gelandet, unter ihm stehen Kommentare wie „Schlampe“, „Prostituierte“ und „Ich fiiiiiiiiiiiiiiick dich“.
Ob sie die Aufnahme online gestellt hat, es ihr Freund war, eine Freundin oder jemand anders, ist nicht ersichtlich. Fest steht aber, dass sich immer mehr Jugendliche gegenseitig in erotischen oder pornografischen Posen ablichten. Meistens mit ihren Handys, von denen heute rund 90 Prozent über eine Foto-Funktion verfügen. „Sexting“ wird der Trend genannt, ein Kunstwort, das sich aus Sex und Texting (engl. etwa: „Kurzmitteilungen verschicken“) zusammensetzt.
In den USA läuft gerade ein Prozess gegen mehrere Teenager. Die Mädchen hatten den Jungen Nacktaufnahmen von sich selbst geschickt, die prahlten damit auf dem Schulhof, bis ein Lehrer die Handys einkassierte. Die Anklage wirft ihnen nun die Verbreitung von Kinderpornografie vor.
20 Prozent aller Jugendlichen haben schon Nacktfotos von sich verschickt
In Deutschland wäre dies eine juristische Grauzone: Paragraf 184 StGB lässt Straffreiheit zu, wenn sich zwei Jugendliche zwischen 14 und 17 in gegenseitigem Einverständnis filmen. In den Vereinigten Staaten ist es nicht das erste Verfahren: Eine aktuelle Studie geht davon aus, dass rund 20 Prozent aller Jugendlichen schon einmal Nacktfotos von sich selbst verschickt haben.
Hierzulande widmet sich vor allem der Münchner Jugendforscher Axel Dammler dem Phänomen. Belastbare Zahlen gibt es bislang keine. Einen Anhaltspunkt liefert aber die „Dr.-Sommer-Studie“, die Dammler mit seinem Institut durchgeführt hat: Fast jeder Fünfte zwischen 11 und 17 gibt darin an, mindestens einmal „nackt oder leicht bekleidet“ fotografiert worden zu sein. Bei den Mädchen sind es sogar 25 Prozent.
„Das sind in den meisten Fällen keine pornografischen Bilder“, betont Dammler. „Wir reden hier über harmlose Posen im Bikini oder in Unterwäsche.“ Oft fotografieren sich die Mädchen gegenseitig. Ein „spielerisches Ausprobieren von Rollen“ sei das. Die Teenager posieren als Vamp oder Diva, aber auch mal als Spießer, um die eigene Identität zu finden. „Früher wurde so etwas vor dem Spiegel gemacht oder beim Flaschendrehen, jetzt wird’s fotografiert. Eigentlich nicht schlimm.“
Eigentlich. „Problematisch wird es, wenn die Bilder über Umwege ins Internet gelangen“, sagt der Braunschweiger Professor für Medienwissenschaft, Thomas Knieper. Oft seien die ursprünglichen Motive gar nicht bösartig: „Aus falsch verstandenem Stolzgefühl gibt man die Bilder weiter, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein.“
Manchmal spielen Rachegelüste eine Rolle
Und die können verheerend sein, wie zum Beispiel das Internet-Portal „klicksafe.de“ der Landesmedienanstalten dokumentiert: Sind die Bilder einmal online, etwa auf „Facebook“ oder „Lokalisten“, kann jeder darauf zugreifen. Ein Klick auf die rechte, dann auf die linke Maustaste genügt und schon hat man das Bild auf seinem Computer. Kann es hundertfach per Mail verschicken. Oder mit ihm auf einschlägigen Seiten ein „Sexprofil“ erstellen, gar im Namen des ahnungslosen Betroffenen als Prostituierte oder Callboy annoncieren. „Manchmal spielen Rachegelüste des oder der Ex eine Rolle“, sagt Knieper.
„Im Internet verselbständigen sich die Bilder schnell“, so Experte Dammler. Dann können selbst Anwälte nur noch wenig tun, um die Fotos wieder aus dem Verkehr zu ziehen. Eine Strafanzeige macht manchmal alles schlimmer – und erst auf die peinlichen Motive aufmerksam.
Dammler kennt ein weiteres Problem: „Viele Teenager, aber auch Erwachsene bedenken nicht, dass zum Beispiel ein zukünftiger Chef gerne online über den Bewerber recherchiert.“ Und dann eventuell auf Jugendsünden stößt. Das Internet vergisst nie – noch heute sind problemlos Fotos aus den 90ern auffindbar.
Zudem befänden sich die Jugendlichen in einer „extrem labilen Phase“, würden durch „Cybermobbing“ stark belastet, sagt der Experte. In den USA erhängte sich eine 17-Jährige, nachdem sie auf dem Pausenhof als „Prostituierte“ beschimpft wurde. Ihr Ex-Freund hatte Nacktbilder von ihr per SMS an die Mitschüler verschickt.
Timo Lokoschat