Interview

Tag der Rückengesundheit: "So viel Bewegung wie möglich"

Björn Oltmer erklärt zum heutigen Tag der Rückengesundheit, was gegen das Kreuz mit dem Kreuz hilft, das so viele Menschen plagt und wie (wenig) sinnvoll Stehschreibtische sind.
von  Ruth Schormann
Gerade im unteren Rücken verspannen die Muskeln gern. Doch Schmerzen sind nicht normal, man kann etwas dagegen machen, sagt der Sporttherapeut.
Gerade im unteren Rücken verspannen die Muskeln gern. Doch Schmerzen sind nicht normal, man kann etwas dagegen machen, sagt der Sporttherapeut. © IMAGO / Westend61

München - AZ-INTERVIEW mit Björn Oltmer: Der ehemalige Profi-Eisschnellläufer und Diplom-Sportwissenschaftler (42) leitet seit diesem Jahr das Schön Klinik Therapie- und Trainingszentrum in Harlaching.

AZ: Herr Oltmer, einer RKI-Studie aus dem Jahr 2021 zufolge haben zwei Drittel aller Befragten angegeben, in den vergangenen zwölf Monaten an Rückenschmerzen gelitten zu haben. Ganz schön viele. Bestätigt sich das in Ihrem Therapiezentrum?
BJÖRN OLTMER: Definitiv.

Bewegungsmangel als Hauptgrund für Rückenschmerzen

Haben die Corona-Krise und das vielerorts neue Homeoffice das Problem verstärkt?
Ja, natürlich - denn das sind die Hauptgründe für Rückenschmerzen: Bewegungsmangel und sitzende, teilweise einseitige Tätigkeiten. Und was bei vielen dazukommt: Durch die mangelnde Bewegung ist die Belastbarkeit schon so schlecht, dass, wenn ich im Alltag dann doch mal etwas mache, beispielsweise etwas hochhebe oder mit den Kindern oder Enkeln spiele, jede kleine Alltagsbelastung fast schon zu hoch ist.

Welche Beschwerden haben denn Ihre Patienten konkret?
Das ist ein Zusammenspiel: Der Körper baut, um die Wirbelsäule zu schützen, eine Schutzspannung der Muskulatur auf. Die Patientinnen und Patienten kommen dann häufig wegen dieser massiven Verspannungen zu uns. Den Schaden an der Bandscheibe, den sie vielleicht haben, spüren sie also teilweise gar nicht, sondern den Schutzmechanismus des Körpers. Personen mit deutlichen Bandscheibenvorfällen spüren eher die Ausstrahlungen Richtung Gesäß oder Richtung Bein, weil die Bandscheibe auf den Nerv drückt.

Wann sollte man mit Rückenproblemen zum Arzt gehen?

Ein bisserl zwickt es ja bei jedem hie und da. Ab wann sollte ich wirklich zum Arzt gehen?
Das ist schwierig. Es kommt darauf an: Wenn die Muskulatur rechts und links neben der Wirbelsäule im unteren Rücken ein bisschen verspannt ist, das kriege ich vielleicht auch mal durch Sauna oder eine warme Badewanne weg. Wenn es aber eher mittig schmerzt und sticht oder ausstrahlt Richtung Oberschenkel oder Pobacke, dann ist es auf jeden Fall sinnvoll, einen Arzt aufzusuchen, um abzuklären, dass es nichts mit der Bandscheibe ist.

Gerade weil Rückenschmerzen so häufig sind, kursieren viele Ratschläge dazu. Gibt es auch Irrtümer? Etwa, dass man stets gerade und aufrecht sitzen sollte?
Wir sind generell nicht für das statische Sitzen gebaut. Grundsätzlich ist es quasi egal, ob ich krumm oder aufrecht sitze - flapsig gesagt. Bewegung ist das Beste. Man sollte also lieber alle halbe Stunde mal aufstehen, Kollegen in Nachbarbüros besuchen, statt anzurufen, zum Drucker oder Scanner gehen - und, was man Kindern früher verboten hat: auf dem Stuhl zappeln.

Wie sieht es mit speziellen Stehtischen oder ergonomischen Hockern aus?
Diese Hilfsmittel geben nur die Möglichkeit, mich mehr zu bewegen - sind aber nicht an sich schon gut.

Was heißt das?
Auch ein Steharbeitsplatz allein tut keinem gut, man muss ihn schon auch richtig nutzen.

Wie?
Indem ich aufrecht dort stehe, mit angespanntem Bauch und Gesäß, und die Position oft wechsle. Acht Stunden stehen, am besten mit an die Tischkante angelehntem Bauch, ist genauso schlecht wie sitzen.

Björn Oltmer
Björn Oltmer © Schön Klinik

"Die Kombination aus Bauch- und Gesäßmuskulatur braucht es"

Was bietet sich vorbeugend gegen Rückenschmerzen an?
Spazierengehen. In der Mittagspause, abends um den Block, wenn man aus dem Auto steigt, bevor man heimkommt, um Bewegung in den Körper zu bringen. Es geht darum, dass der Stoffwechsel hochfährt. Es ist für den Rücken besser, über den Tag verteilt immer wieder für ein paar Minuten aufzustehen und kurze Wege zurückzulegen, als abends nach acht Stunden sitzen eine Dreiviertelstunde Joggen zu gehen.

Gibt es konkrete Übungen?
Ja, aber dabei kann man auch viel falsch machen, das merken wir hier im Zentrum auch. Das sollte unter Anleitung stattfinden, damit auf die Haltung geachtet wird. Es gibt viele Möglichkeiten, Rückenkurse zum Beispiel.

Während der Lockdowns haben einige angefangen, sich über Youtube-Videos anleiten zu lassen - keine gute Idee?
Man benötigt ein gutes Körpergefühl, um das machen zu können. Wenn wir ehrlich sind, hat sich die Haltung bei uns allen geändert, egal, ob wir viel stehen oder sitzen. Wir sacken in uns zusammen, haben eine relativ schwache Bauch- und Pomuskulatur und eine sehr verspannte Rückenmuskulatur. Außerdem haben fast alle, die viel sitzen, einen verkürzten Hüftbeuger vorne. Wenn ich da nicht gezielt einzelne Körperteile aktiviere und dehne, dann werde ich bei den Übungen genau in die Muster fallen, die im Alltag auch Beschwerden machen. Klar, jede Bewegung ist gut, wenn ich das beschwerdefrei machen kann, okay. Aber unserer Erfahrung nach forciert eigenes Training ohne das Auge des Trainers die Fehlhaltung manchmal noch eher.

Es geht also nicht nur um den Rücken?
Das denken viele - fälschlicherweise. Wir haben den großen Rückenstrecker hinten, der ist bei einigen im Verhältnis zur Bauchmuskulatur viel zu stark. Dann fangen die Leute an, den Rücken zu trainieren. Was dabei untergeht, ist, dass man die Kombination von Bauch- und Gesäßmuskulatur braucht. Deren Training ist viel wichtiger.

Rückenproblemen vorbeugen: Wandern, Spazierengehen, Walken

Gibt es Sportarten, die besonders gut für den Rücken sind?
Ursprünglich sind wir als Menschen zum Gehen gebaut, auch die Bandscheiben sind darauf ausgelegt und brauchen die dabei entstehende Stoßbewegung für die Versorgung. Gehe ich jetzt beispielsweise extrem viel Radfahren, am besten auch noch in einer sportlichen Position, dann habe ich eine sehr gebogene Wirbelsäulenposition, was nicht so gut ist. Oft wird gesagt: Gehen Sie schwimmen. Das entlastet den Rücken, ja, aber je mehr ich entlaste, desto schwächer werden die Strukturen. Wandern, Spazierengehen, Walken - alles, was diese uns angeborene Fortbewegungsart ist, ist am besten.

Und für die tiefe Rückenmuskulatur?
Hierfür ist alles gut, was mit Gleichgewicht zu tun hat. Zum Beispiel auf Wanderwegen unterwegs sein, wo Wurzelwerk den Boden säumt. Oder, moderner, auf einer Slackline balancieren.

Wie hilfreich ist Yoga?

Auch im Yoga, was ja sehr beliebt ist seit geraumer Zeit, ist Balance ein Thema.
Da geht es um die Mobilisierung des gesamten Körpers und der gesamten Wirbelsäule, was oftmals noch wichtiger ist als das Kräftigen. Das merke ich in der Therapie gerade bei älteren Leuten, die noch eine sehr gute Haltung haben: Die machen oft Yoga oder Ähnliches. Das hilft.

Wenn man akute Schmerzen hat - was hilft dann? Eine Wärmflasche und Abwarten?
Wenn jede Bewegung wehtut, ist Wärme gut, weil sie den Muskel entspannt und die Durchblutung fördert. Sobald es geht, ist Bewegung aber fast immer besser. Gehen geht eigentlich immer und lindert meist den Schmerz. Und: nicht aussitzen und es als "normal" abtun.

Begegnet Ihnen diese Meinung öfter?
Ja, das ist erschreckend. Das hat sich so eingebürgert, weil eben so viele Rückenbeschwerden haben. Dann scheint das normal zu sein - ist es aber nicht. Kein Schmerz ist normal. Man sollte frühzeitig dagegen angehen und einen Arzt aufsuchen. Der schickt einen ja nicht gleich unters Messer. Es geht darum, das Ganze mit Training anzugehen.

Lässt sich dadurch viel im Keim ersticken?
Wir kriegen schon sehr viel hin. Und sehr viel ist vermeidbar, wenn ich einfach mehr Bewegung in meinen Alltag bringe. So viel, wie es nur geht.

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