Stress-Coach: "Wer Burn-out hat, hat es lange"

München - Beängstigend: Jeder zweite Bundesbürger fühlt sich von Burn-out bedroht, die Diagnosehäufigkeit hat sich im letzten Jahrzehnt beinahe verdreifacht.
Jetzt kam auch noch Corona. Maximilian von Rossek ist Programmleiter bei TV Bayern Live und Coach für lösungsorientiertes Stress-Mobbing-Burn-out-Management.
AZ: Herr von Rossek, rückblickend auf das letzte Pandemie-Halbjahr: Hat die Gefahr, an einem Burn-out zu erkranken, durch Corona, Lockdown und Homeoffice zu- oder abgenommen?
MAXIMILIAN VON ROSSEK: Laut Umfragen unter Arbeitnehmern hat die Gefahr wohl zugenommen. Das lässt sich auch leicht begründen, wenn man Burn-out definiert.
Wie lautet die genaue Definition?
Laut Herbert Freudenberger ist es eine "individuelle Reaktion auf andauernde beziehungsweise wiederholte emotionale Belastung". Kurz gesagt, aus anhaltend viel Stress und den körperlichen Begleiterscheinungen resultiert auf kurz oder lang ein Burn-out.
"Klare Abgrenzung von Beruf und Privatem "
Was strengt die Menschen derzeit an?
Vor allem die Angst: Angst vor dem Virus selbst, Angst vor der Zukunft und auch Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes durch die einbrechende Wirtschaft. Mitarbeiter auf der ganzen Welt fühlen sich mit ihrer derzeitigen Situation überfordert. Allein in Bayern gibt es fast täglich Updates der Regierung, gefolgt von neuen Regelungen, gefolgt von Widersprüchen durch anerkannte Ärzte oder Verschwörungstheoretiker. Da einen klaren Kopf zu behalten und das auch noch isoliert, ist für viele anstrengend. Der plötzliche Kontrollverlust - zum Beispiel über die Quartalszahlen und die unbekannte Zukunft - haben vor allem bei Managern zu einem Anstieg von Burn-out geführt.

Begünstigt das Homeoffice Burn-out?
Durch die anfänglichen Ausgangsbeschränkungen ergab sich vor allem bei vielen Familien ein großes Spannungsfeld. Das enge Aufeinandersitzen, 24 Stunden, sieben Tage die Woche, erhöhte das Stresslevel aller Beteiligten. Auch jetzt noch kommen im Homeoffice mehr Aufgaben hinzu, die Arbeitnehmer bewältigen müssen. Etwa die Herausforderung, Haushalt, Familie und Arbeit zu vereinbaren. Zwischen März und April sollen sich die Antworten der Arbeitnehmer, die um das Thema Burn-out kreisen, verdoppelt haben. Ich rate hier zu einer klaren Abgrenzung von Beruf und Privatem - auch im Homeoffice.
Niedergeschlagenheit und mangelnder Antrieb
Woher weiß man, ob man Burn-out hat?
Totale körperliche und geistige Erschöpfung, das Gefühl, ausgebrannt zu sein und sich stets gestresst fühlen sind typische Symptome von Burn-out. Auf der vegetativ-hormonellen Ebene sind das feuchte Hände, eine höhere Herzfrequenz, plötzlicher, hoher Blutdruck oder ein Kopfdruck bis hin zur Migräne. Die Folgen davon können sein: Herz-Kreislauf-Beschwerden, Magengeschwüre, Taubheitsgefühle oder zum Beispiel auch Nieren- und Blasenentzündung. Dazu auch körperliche Beeinträchtigungen, also auf der muskulären Ebene. Zum Beispiel ein langfristiger Aufbau von Rückenschmerzen bis hin zu einem Druck auf der Brust. Und auch Einschlafstörungen durch Unruhebewegungen, also das typische Hin- und Herwälzen oder Zähneknirschen, sind ebenfalls der körperlichen Entspannungsunfähigkeit geschuldet. Wer das letzte Stadium des Burn-outs erreicht, ist meist in eine Depression gerutscht. Drei Kernsymptome sind Niedergeschlagenheit, mangelnder Antrieb und Interessenverlust.
Oft heißt es, Burn-out bekommen Menschen, die für ihren Beruf brennen, zum Beispiel Pflegekräfte.
Laut einer Umfrage fielen im Jahr 2018 die meisten Burn-out-Krankheitstage auf Führungskräfte im Verkauf zusammen mit Berufen im Dialogmarketing und in der Altenpflege. Der Wert läge dabei zweieinhalb Mal höher als der Durchschnitt unter AOK-Mitgliedern. Auch die Diagnosehäufigkeit habe sich der Umfrage zufolge in den letzten Jahren drastisch erhöht: von etwa einem von Tausend im Jahr 2005 zu bereits 5,7 im Jahr 2018.
Hilfe-Rufnummern und Anti-Stress-Seminare
Was können Chefs unternehmen, um Burn-out bei ihren Mitarbeitern zu verhindern?
Verantwortungsvolle Unternehmen setzen auf regelmäßige Gespräche, bestenfalls auch auf persönlicher Ebene, um alle Faktoren des Stresslevels ihrer Untergebenen, eben auch außerhalb der Arbeit, also in Familie und Freizeit, zu kennen. Besonders jetzt zu Corona sollten sie auch ein Gespür für die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter entwickeln und sie raus aus der Isolation ins Team holen. Dazu auch Sicherheit geben - auch den Arbeitsplatz betreffend. Und, so banal es auch klingt, Wertschätzung - also ein Anzeichen von Anerkennung der Leistung, die ein Mitarbeiter erbringt - kann ein Balsam für die Seele der Person sein.
Und wie können Vorgesetzte helfen, wenn ein Angestellter bereits unter Burn-out leidet?
Das ist eine sehr schwierige Situation, denn Krankheiten sind Privatsache und gehen die Chefin oder den Chef nichts an. Je nach Verhältnis zwischen Angestellten und Vorgesetzten schlage ich vor, das Gespräch zu suchen. Personaler beziehungsweise Betriebsräte sind manchmal näher dran und haben es als Ratgeber leichter. Natürlich kann man auch subtil Flyer rumliegen lassen, in manchen Firmen hängen auch Hilfe-Rufnummern, zum Beispiel an den Wänden der Toiletten. Aber eine sinnvolle Maßnahme ist es, da Stress in der Arbeit oft auch andere betrifft, gemeinsame Anti-Stress-Seminare zu besuchen oder in der eigenen Firma stattfinden zu lassen.
Krankenkassen: Partner in der Prävention
Gab es Burn-out schon früher?
Burn-out ist keineswegs eine Modeerscheinung als Zeichen unserer stressigen Arbeitswelt. Oftmals wird sie ja als Managerkrankheit bezeichnet. Bereits im frühen 20. Jahrhundert gab es ein Krankheitsbild, das den Namen Neurasthenie trug. Berühmtester Patient war Wilhelm II., der letzte deutsche Kaiser und König von Preußen. Seine beschriebenen Symptome entsprechen den heutigen von Burn-out.
Was sagen Sie Menschen, die Burn-out nicht ernst nehmen, weil es keine medizinische Diagnose ist?
Tatsächlich wird es mehr und mehr anerkannt - auch bei Ärzten, Krankenkassen und Arbeitnehmern, denn die Ausfälle durch psychische Erkrankungen nehmen schon seit Jahren stetig zu. Die Krankschreibungen aufgrund psychischer Diagnosen dauern im Durchschnitt 35,5 Tage. Das sind finanzielle Verluste für die Wirtschaft im Millionenbereich. Die Krankenkassen sind hierbei aus Sicht von Personalverantwortlichen wichtige und kompetente Partner in der Prävention. Allerdings wünschen sie sich in der psychischen Gesundheit noch mehr Unterstützung. Was hilft, ist ein professionelles, betriebliches Gesundheitsmanagement und -coaching, mit dem man gegensteuern kann.
Freunde und Familie: Anzeichen für Burn-out erkennen
Welche kurzfristigen Methoden gibt es, Burn-out zu bekämpfen?
Burn-out kann man nicht mal schnell mit zwei Tabletten bekämpfen. Wer Burn-out hat, hat es lange, denn es sitzt tief und lähmt einen. Kleinste Dinge des Alltags werden zu großen Hürden und Aufgaben. Man muss geistig und körperlich an sich arbeiten und seine Person wieder aufbauen.
Wie können Angehörige oder Freunde Betroffenen helfen, die den Burn-out nicht bemerken oder bemerken wollen?
Da verhält es sich ähnlich wie in der Berufswelt, nur dass hier das Vertrauensniveau wesentlich höher ist. Somit sollte man es am besten direkt ansprechen - eventuell auch mit Hinweisen zu Beratungsstellen. Wichtig ist es, die Anzeichen zu erkennen. Es können harmlose Anfänge sein, wie das öftere Anecken mit dem Körper an Gegenständen - nicht schmerzhaft und kaum der Rede wert -, aber es ist ein Zeichen für Konzentrationsmangel. Aber auch Pessimismus oder verringertes Selbstvertrauen, welches aus Gesprächen erhörbar ist, können Anzeichen sein.