Stars suggerieren: Trinken ist toll

MÜNCHEN - Millionen Frauen haben ein Alkohol-Problem – nicht nur Howard Carpendales Gefährtin. Warum sie abhängig sind, was ein Experte rät.
Mehrfach hat Donnice Pierce (49), die Lebensgefährtin von Howard Carpendale, versucht, dem Teufelskreis Alkohol zu entkommen. Vergeblich. Seit 1990 ist sie süchtig. Jetzt will und kann der Schlagerstar ihr nicht mehr helfen (AZ berichtete). Nur allein auf sich gestellt, könne sie den Kampf gewinnen, glaubt er. Hat er Recht? „Die Trennung kann eine schwere Krise bei ihr auslösen. Sie braucht jetzt optimale therapeutische Unterstützung und von ihm das Signal, dass er für sie da ist, wenn sie trocken ist“, sagt der Münchner Sucht-Experte Markus Backmund. In Deutschland sind derzeit 3,5 Millionen Menschen alkoholkrank und 9,5 Millionen gefährdet, so eine aktuelle Studie der Bundesregierung.
Während vor einer Generation das Verhältnis zwischen trinkenden Männern und Frauen noch 10:1 war, steht es jetzt 1:3, „und gleicht sich immermehr an“, so Privatdozent Backmund.
Promis machen es vor: „Rehab“- Soul-Diva Amy Winehouse hat im Suff gerade wieder in einem Londoner Pub auf einen Gast eingeschlagen. Paris Hilton hat wegen Trunkenheit am Steuer ihren Führerschein verloren. Drew Barrymore hatte bereitsmit 9 Jahren ihren ersten Vollrausch. Britney Spears strauchelt gerade zurück ins Leben. „Sex and the City“-Darling Kristin Davis süffelt im Film gern Cosmopolitans, rührt aber im Leben keinen Tropfen an. „Ich bekomme viele ,Cosmos’ spendiert“, sagt sie. „Ich trinke sie niemals.Warum sollte ich das riskieren?“ Die 43-Jährige ist trockene Alkoholikerin, hat in früheren Jahren oft zur Flasche gegriffen. „Ich war schüchtern, wusste nicht, wie ich aus meinem Schneckenhaus herauskommen sollte. Der Alkohol hat mich befreit.“
Warum trinken Frauen noch?
„Es gilt als schick, gehört heute in der Öffentlichkeit scheinbar dazu“, sagt Experte Backmund. Hinzu kämen die Doppelbelastung zwischen Beruf und Familie, der Stress, immer und überall perfekt zu sein, Unzufriedenheit, später die Menopause. . . „Wenn die Frau merkt, dass hier ein Prosecco, da ein Weißbier oder Wein und nach dem Essen ein Schnapserl ihre psychische Belastung lindert, brennt sich das im Gehirn ein“, weiß Markus Backmund aus seiner Praxis. Das kann der Einstieg sein. Viele Frauen vertuschen ihre Sucht, trinken heimlich. Anders als Betty Ford (90), die Witwe des 38. US-Präsidenten Gerald Ford. In den 70ern, als trinkende Frauen in der Öffentlichkeit noch nicht wie heute toleriert wurden, gestand sie: „Der Alkohol gibt mir ein warmes Gefühl.“
1982 gründete sie in der Nähe von Palm Springs eine nach ihre benannte Entzugs- Klinik. Liz Taylor, Lindsay Lohan, Kirsten Dunst – viele Stars und Sternchen haben dort schon Hilfe gesucht. „Promis fühlen sich oft getrieben, ihre Grenzen auszuloten, kokettieren damit“, sagt Markus Backmund. „Das hat eine fatale Wirkung auf ihre Fans. Die Stars suggerieren, Trinken ist toll. Dabei kann’s lebensgefährlich sein.“
Auch wenn Frauen beim Prosten mithalten, so viel rinken wie Männer sollten sie auf keinen Fall, rät der Experte: „Die europäischen Männer bauen Alkohol schneller ab, können dreimal so viel trinken. Bei Frauen bleibt der Alkohol länger im Blut, gefährdet Herz, Bauchspeicheldrüse, Leber, kann zu Krebs führen.“ Täglich mehr als 20 Gramm (ein halbes Bier) könne auf Dauer abhängig und krank machen. „Nicht erstwarten, bis eines morgens die Hände zittern“, sagt er. „Wer merkt, dass er abends nur lustig sein kann, wenn er Alkohol intus hat, sollte dringend sein Leben überdenken und möglichst schnell eine neue Sinngebung finden.“
Das Problem hat Tilda Swinton nicht. Die Oscar-Preisträgerin brilliert derzeit als Alkoholikerin „Julia“ im Kino. Eigene Erfahrungen hat sie nicht eingebracht: „Ich tauge einfach nicht zum Trinken, schlafe nach nur einem Drink schon ein.“
Renate Schramm