Staatsanwältin beschreibt „unvorstellbares Martyrium“
Im Inzest-Prozess von Amstetten hat Staatsanwältin Christiane Burkheiser von einem „unvorstellbaren Martyrium“ der Opfer gesprochen. Die Anklage lautet auf Mord, Vergewaltigung, Blutschande und jahrzehntelange Freiheitsberaubung.
„Keiner kann sich wirklich vorstellen, was sich da unten abgespielt hat“, sagte sie am Montag vor dem Gericht in St. Pölten zu dem Kellerverlies, in dem der Angeklagte Josef F. laut Anklage 24 Jahre lang seine Tochter festgehalten, missbraucht und mit ihr sieben Kinder gezeugt hat.
Die ersten neun Jahre ihrer Gefangenschaft habe die Frau auf elf Quadratmetern gelebt, ehe der Vater den Keller ausbaute, „zeitweise mit drei kleinen Kindern und einem Baby im Bauch“, erklärte die Staatsanwältin. Bereits am zweiten Tag ihrer Gefangenschaft habe F. die damals 18-Jährige „im Kellerverlies vergewaltigt“.
„Es gab kein Warmwasser, keine Dusche, keine Heizung und vor allem kein Tageslicht und keine Frischluftzufuhr“, beschrieb Burkheiser die Lebensumstände der Gefangenen. Diese habe lediglich wegen der undichten Mauern Luft zum Atmen gehabt. In den ersten neun Jahren habe es dort nichts außer einem Waschbecken, einem Schlafplatz und einer Kochplatte gegeben.
"Morbide Atmosphäre"
Die Anklägerin hatte die Tür zum Schwurgerichtssaal in einer Höhe von 1,74 Metern markieren lassen, um den Geschworenen die Höhe des Kellerverlieses mit einem Laserpointer vor Augen führen zu können. Zweimal habe sie den Keller besichtigt, sagte Burkheiser: „Dort herrscht eine morbide Atmosphäre. Sie müssen auf den Knien kriechen, um ins Verlies zu gelangen. Die Schleusentür ist nur 83 Zentimeter hoch. Es ist feucht, schimmlig, modrig. Die Feuchtigkeit kriecht ihnen in den Rücken und in die Knochen.“
Danach überreichte die Staatsanwältin den Geschworenen eine Box mit Mitbringseln aus dem Keller. Sie selbst sprach von „Duftproben“ und forderte die Laienrichter auf: „Riechen Sie an den Gegenständen!“
„Wie ein netter alter Herr von nebenan“
Über den Angeklagten sagte sie, er habe „keine Anzeichen von Reue und Unrechtsbewusstsein gezeigt“. F. wirke „wie ein netter alter Herr von nebenan“. Sie bescheinigte ihm „ein gut gepflegtes Äußeres und höfliches Auftreten“. Der 73-Jährige habe sich kooperativ gezeigt: „Er hat alle meine Fragen beantwortet.“ Vor dem Prozess sagte F.s Verteidiger Rudolf Mayer, sein Mandat sei nervös.
F. saß zitternd und mit gefalteten Händen vor der Vorsitzenden Richterin Andrea Humer. Diese machte in ihren einführenden Bemerkungen deutlich, dass man es sich mit einem Einzeltäter zu tun habe: „Das ist nicht das Verfahren eines Ortes oder einer gesamten Nation.“
Verteidiger: «Wenn ich das nur wegen des Sex' mach, dann mach ich doch keine Kinder.»
Verteidiger Rudolf Mayer wandte sich zunächst frontal gegen die Medien, die aus F. ja längst «ein Monster» gemacht hätten. Er, Mayer, sei immer wieder beschimpft und bedroht worden, weil er diesen Mann verteidige, sagte der 60-jährige Staranwalt. «F. ist kein Monster», rief Mayer den Schöffen zu: «Außergewöhnlich an diesem Fall ist nur, dass sich jemand hier eine Zweitfamilie aufgebaut hat.» Und er fügte hinzu: «Wenn ich das nur wegen des Sex' mach, dann mach ich doch keine Kinder.»
Mayer wies den Anklagepunkt der «Sklaverei» gegen F. zurück. «Sklaverei» setze in jedem Fall ein materielles Gewinnstreben des Sklavenhalters voraus. Auch den Vorwurf des Mordes an dem Baby wies Mayer zurück. «F. ist in diesen Tagen mehrfach in den Keller gegangen, um nach dem Kind zu schauen.» Sollten die Schöffen F. des Mordes schuldig finden, muss er vermutlich lebenslang hinter Gitter. Für die übrigen Vergehen liegt die Höchststrafe bei 15 Jahren. Die Staatsanwaltschaft hat für den Angeklagten, wegen seines «abnormen» Verhaltens zusätzlich Sicherungsverfahrung beantragt.
"Nicht schuldig"
F. selbst bekannte sich nur in der Frage des Mordes an einem im Verlies geborenen Baby und der Sklaverei für «nicht schuldig». «Dies ist die Tat eines Einzeltäters, nicht das Verbrechen eines ganzen Ortes, oder einer ganzen Nation», sagte die Vorsitzende Richterin zum Auftakt des Prozesses. Anschließend wies die Staatsanwältin die Geschworenen auf die besondere Grausamkeit des Falles hin. Verteidiger Rudolf Mayer wandte sich in seiner Erwiderung gegen die Beschreibung seines Mandanten als «Monster». F: habe nicht aus reiner sexueller Lust gehandelt, sondern weil er eine Zweitfamilie haben wollte.
Zu dem «Jahrhundertprozess» sind 200 Journalisten aus aller Welt nach St. Pölten in Niederösterreich gereist. Die Verhandlung wird von einem Großaufgebot an Polizei begleitet. Zum Schutz der Opfer findet der größte Teil des auf fünf Tage angesetzten Prozesses jedoch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Im Fall einer Verurteilung wegen Mordes droht F. eine lebenslange Freiheitsstrafe.