Sprossen und anderes Gemüse weiter unter Verdacht
Auch nach der Warnung vor dem Verzehr roher Sprossen steht anderes Gemüse weiterhin unter EHEC-Verdacht. Derzeit sei kein Nachweis erbracht, dass es sich bei Sprossen um die einzig wahrscheinliche Quelle für Erkrankungen durch den lebensgefährlichen Darmkeim handele.
Berlin/Hannover/Luxemburg - Das betonte am Montag das Bundesverbraucherministerium in Berlin. Der Scheitelpunkt der Infektionswelle scheint noch nicht erreicht.
Ein Sprecher von Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) erläuterte, Sprossengemüse sei als eine mögliche Infektionsquelle "sehr plausibel". Der Nachweis sei jedoch noch nicht erbracht. Das niedersächsische Agrarministerium wollte am Montagnachmittag die Ergebnisse erster Laborproben aus einem EHEC-verdächtigen Biohof im niedersächsischen Kreis Uelzen bekanntgeben.
Das Bundesverbraucherministerium betonte, alle Produkte des Betriebs seien unverzüglich vom Markt genommen worden. Nun gehe es darum, Lieferketten und Kundenlisten auszuwerten. Das Ministerium habe zudem die Länderbehörden gebeten, bundesweit schwerpunktmäßig Produzenten von Sprossen zu überprüfen. Das Robert Koch-Institut (RKI) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hielten weiter an der Warnung vor rohen Gurken, Tomaten und Salat insbesondere in Norddeutschland fest.
Der hannoversche Nierenarzt Jan Kielstein berichtete, Sprossengemüse sei bei den EHEC-Patienten der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) bisher nicht in Verdacht geraten. Bei der Aufnahme in die Klinik würden die Patienten, die sich mit dem aggressiven Darmkeim infiziert haben, ausführlich nach ihren Ernährungsgewohnheiten befragt. "Das Wort Sprossen ist dort nie explizit in Erscheinung getreten", sagte der Mediziner.
Der Mikrobiologe Alexander Kekulé von der Universität Halle-Wittenberg nannte Sprossen als mögliche EHEC-Träger jedoch sehr plausibel: "Sprossen waren von Anfang an einer der üblichen Verdächtigen, die man hätte schon von Anfang an verhaften können", sagte er im ARD-"Morgenmagazin". Sie seien ein typisches Gemüse, das auf vielen verschiedenen Mahlzeiten ist, in ganz Deutschland verteilt wird und über längere Zeit immer wieder Infektionen auslösen kann.
Unterdessen stiegen die Infektionszahlen weiter an. In Niedersachsen wurden am Montag 503 EHEC-Fälle und -Verdachtsfälle gezählt, 45 mehr als am Samstag. "Der Scheitelpunkt ist leider noch nicht erreicht", sagte der Sprecher des niedersächsischen Gesundheitsministeriums, Thomas Spieker.
Die ebenfalls schwer betroffenen Länder Hamburg und Schleswig-Holstein meldeten eine leichte Entspannung, weil die Zahl der EHEC-Erkrankungen nun zumindest langsamer als noch in der vergangenen Woche steigt. In Hamburg wurden bis Montagvormittag 849 EHEC-Fälle oder -Verdachtsfälle gemeldet, 79 mehr als vor zwei Tagen. "Die heutigen Erkrankungszahlen geben zur Hoffnung Anlass, dass sich die Situation ein wenig entspannt", erklärte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). Schleswig-Holstein meldete 554 bestätigte EHEC-Infektionen bis Sonntagabend, 37 mehr als am Donnerstag. Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) berichtete, erstmals seit dem Beginn der EHEC-Welle seien mehr Patienten nach Hause entlassen worden als neue aufgenommen wurden.
Beim Treffen der europäischen Gesundheitsminister verteidigte Deutschland das eigene Vorgehen in der EHEC-Krise gegen Kritik. "Wir hatten den Verdacht und deshalb war es richtig die entsprechenden Verzehrempfehlungen zu geben", sagte Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz am Montag in Luxemburg. "Das sind wir den Menschen wirklich schuldig". Der Erreger sei "derart aggressiv" und die Häufung der Fälle in Norddeutschland so massiv, "dass wir jeder Ursache und jeder Spur nachgehen mussten." Widmann-Mauz sprach von einem "vorbeugenden Gesundheitsschutz". Die Staatssekretärin vertrat Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) bei dem Treffen.