So tickt unsere Jugend

Wie stehen Jugendliche zur Politik? Wovor haben sie Angst, wem vertrauen sie? Wie wichtig ist ihnen die eigene Familie? Die Antworten.
von  Rosemarie Vielreicher
Schüler in Baden-Württemberg demonstrieren hier gegen Gewalt gegen Flüchtlinge, nachdem ein geplantes Asylbewerber-Wohnheim abgebrannt ist.
Schüler in Baden-Württemberg demonstrieren hier gegen Gewalt gegen Flüchtlinge, nachdem ein geplantes Asylbewerber-Wohnheim abgebrannt ist. © Alexander Becher/dpa

München - Wer einen Jugendlichen im Haus hat, wünscht sich oftmals: Könnte ich nur in seinen oder ihren Kopf hineinschauen und herausfinden, was darin vorgeht. Eltern und Großeltern würden nur zu gerne wissen, was ihr Kind während des Erwachsenwerdens bewegt, welche Ziel es sich für das eigene Leben setzt und was junge Menschen von der aktuellen Gesellschaft halten. Diese Fragen hat nun die Shell-Studie 2015 aufgegriffen.

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:

 

WORLD WIDE WEB

 

Das sind die drei Zauberworte für quasi alle Jugendlichen: 99 Prozent sind der Studie zufolge online unterwegs. Das beeinflusst auch ihre Freizeit massiv: Das Internet-Surfen gehört zu den Tätigkeiten, die Jugendliche in ihrer Freizeit am häufigsten machen (neben Freunde treffen und Musik hören).

18,4 Stunden pro Woche: So viel im Netz wie ein Teilzeit-Job

Pro Woche ergeben sich 18,4 Stunden, die Jugendliche im Internet verbringen. Das ist fast so viel wie ein Teilzeit-Job.

Vor fünf Jahren, bei der Shell-Studie 2010, waren es noch 12,9 Stunden pro Woche. Jüngere und meist männliche Jugendliche sehen sich vor allem Videos und Filme an oder laden sich Musik herunter. Ihnen geht’s dabei um den Spaß-Faktor. Je älter sie werden, desto häufiger nutzen sie das World Wide Web, um sich über aktuelle Themen zu informieren, so die Studie. Und dann gibt es da noch die Gruppe Jugendlicher, die sich online austauschen will – etwa indem sie einen eigenen Blog betreiben oder Bilder und Videos von sich ins Netz stellen.

 

DIE ELTERN-GENERATION

 

Die Jugendlichen verstehen sich offenbar richtig gut mit ihren Eltern. 90 Prozent sagen, sie haben ein gutes Verhältnis zu ihnen. Immerhin geben 52 Prozent von ihnen auch ganz ehrlich an, dass sie ab und zu auch mal aneinandergeraten und nicht immer einer Meinung sind. Bestens kommen 40 Prozent mit den Eltern aus, das sind fünf Prozent mehr als noch im Jahr 2010.

Eine sichere Arbeit ist wichtig, aber auch die Familie

Ein besonderes Lob für die Eltern gibt’s auch noch hinterher: Fast drei Viertel (74 Prozent) würden ihre eigenen Kinder genauso erziehen, wie die eigenen Eltern es getan haben. Der kleine Haken: Der eigene Kinderwunsch bei den Jugendlichen ist rückläufig. Aktuell sagen nur 64 Prozent, dass sie sich Nachwuchs wünschen. Bei der letzten Shell-Studie wollten das noch 69 Prozent. Heute sagen 40 Prozent der Männer: Man kann auch ohne Kinder glücklich sein. Bei den Frauen sagen das 31 Prozent.

 

HEIMAT

 

Deutschland – da bin i dahoam: Darauf sind insgesamt 62 Prozent der Jugendlichen stolz. Bei jungen Leuten ohne ausländische Wurzeln sind es sogar 70 Prozent.

 

BERUF UND KARRIERE

 

Ein sicherer Job ist fast allen (95 Prozent) wichtig oder sogar sehr wichtig. Dabei die ganz große Karriere zu machen, ist dagegen eher zweitrangig: Weniger als die Hälfte (47 Prozent) hält Überstunden für nötig, um „etwas zu werden“. Dagegen finden 91 Prozent der Befragten, dass Familie und Kinder neben dem Beruf nicht zu kurz kommen dürfen. Bildung ist den Befragten ebenfalls wichtig. Zum Thema Abschluss sagt Abiturient Miran mit türkischem Migrationshintergrund (20): „Wenn ich jetzt nichts mit Schule und Ausbildung gemacht hätte, würde ich auch keine Zukunft haben.“

 

WERTE

 

Freundschaft, Partnerschaft und Familie stehen ganz oben: Gute Freunde sind besonders wichtig (89 Prozent), gefolgt von einem vertrauenswürdigen Partner (85 Prozent) und dem Familienleben (72 Prozent). Auch der Sinn für Gerechtigkeit ist ausgeprägt: 84 Prozent finden Gesetze und Ordnung wichtig. 82 Prozent sprechen sich für Toleranz aus. Man müsse „die Vielfalt der Menschen anerkennen und respektieren“, finden sie.

 

POLITIK

 

Jugendliche interessieren sich für nichts – und schon gar nicht für Politik? Diese Zeiten sind vorbei. 41 Prozent der Zwölf- bis 25-Jährigen bezeichnen sich selbst als politikinteressiert.

Zum Vergleich: Im Jahr 2002 sagte das gut jeder Dritte. Das war der Höhepunkt des Desinteresses (34 Prozent). Bei den etwas Älteren, den 15- bis 24-Jährigen sagen laut Shell-Studie sogar 46 Prozent: Ja, wir interessieren uns grundsätzlich oder sogar stark für Politik – das sind so viele wie seit dem Jahr 1996 nicht mehr. Damals waren es 47 Prozent.

69 Prozent finden: Politiker interessieren sich nicht für Junge

Aber: Zufrieden sind die jungen Menschen deswegen noch lange nicht mit dem, was politisch in Deutschland getan wird. „Politiker kümmern sich nicht darum, was Leute wie ich denken“ – dieser Aussage in der Befragung stimmen 69 Prozent der Jugendlichen im Alter von 15 bis 25 Jahre zu. Teilnehmer Dominik (14) etwa sagt bei der Studie, „dass die Politiker immer sehr viel reden, obwohl es im Nachhinein im Klartext eigentlich gar nicht so viel ist.“

 

DIE VERTRAUENSFRAGE

 

Weil die Jugendlichen nicht so ganz einverstanden sind, was Politiker und Parteien machen, rangieren die Politiker bei den Gruppen, denen junge Menschen weitgehend vertrauen, recht weit hinten. Auf einer Skala von eins bis fünf gibt’s eine 2,6. Sehr viel besser schneiden bei der Vertrauenswürdigkeit die Polizei (Note 3,5), Gerichte sowie Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen (jeweils 3,5) ab.

Die Europäische Union bekommt eine 3,1 unter den Befragten, die Bundesregierung eine 3,0. Auch der Kirche vertrauen Jugendliche eher weniger (2,7). Unten im Vertrauens-Ranking: Banken (2,6).

 

ZUWANDERUNG

 

Das Thema Zuwanderung ist derzeit so präsent wie kein anderes. Aber wie stehen junge Menschen dazu? Was denken sie darüber? Auch das hat die Shell-Studie die Teilnehmer gefragt. Das Ergebnis: Trotz der steigenden Flüchtlingszahlen sind die Jugendlichen nicht besorgt, was die Zuwanderung nach Deutschland angeht. 54 Prozent haben insgesamt gar nichts gegen Zuwanderer.

Im Detail: 39 Prozent sprechen sich dafür aus, dass künftig genauso viele Menschen aus dem Ausland zu uns kommen dürfen wie bisher. 15 Prozent befürworteten sogar mehr Zuwanderung. Die Zahl der Gegner ist seit 2010 von 46 auf 37 Prozent geschrumpft. 29 Prozent haben Angst vor Zuwanderung. Das sind im Vergleich zur Studie 2010 zwar zwei Prozent mehr, doch die Shell-Experten beschwichtigen: Damals gab es eine sehr geringe Zuwanderung. Nimmt man die heutige Extremsituation, ist die geringe Steigerung der ängstlichen Jugendlichen relativ zu sehen.

Angemerkt werden muss auch: Die Umfrage wurde im Frühjahr durchgeführt. Würden die Werte heute anders ausfallen? Nein, sagen Experten. Diese Offenheit bilde einen stabilen Wertewandel ab. Dafür haben sehr viel mehr Jugendliche als noch 2010 Angst davor, dass mehr Menschen ausländerfeindlich werden könnten. 48 Prozent haben diese Befürchtung, vor fünf Jahren war es nur 40 Prozent gewesen.

 

RECHTS ODER LINKS?

 

Könnten sich junge Menschen zunehmend nach rechts orientieren oder gar radikalisieren? Ihrer eigenen Einschätzung zufolge nicht: Nur drei Prozent ordnen sich politisch rechts ein. Die meisten der 15- bis 25-Jährigen sehen sich selbst in der politischen Mitte (26 Prozent), „eher links“ sagen 25 Prozent von ihnen. Im Vergleich zu den Vorjahren ist die Anzahl derer, die sich links verorten, gestiegen: Das sind in diesem Jahr zwölf Prozent (2010: neun Prozent).

 

IHRE ÄNGSTE

 

Wovor habt ihr Angst? Am häufigsten ist bei dieser Frage ein Wort gefallen: Terroranschläge (73 Prozent). Aber auch vor einem möglichen Krieg in Europa fürchten sich 62 Prozent. Auf dem letzten Platz mit 29 Prozent liegt: Zuwanderung nach Deutschland. Mehr Angst haben die Befragten davor, dass ihnen etwas gestohlen wird (31 Prozent).

 

DIE ZUKUNFT

 

Sechs von zehn Befragten sind optimistisch, wenn es um die eigene Zukunft geht. 52 Prozent glauben das aber auch von der gesellschaftlichen Zukunft. Heißt also: Schaut guad aus für die junge Generation.

Die Studie: Seit 1953 werden für die Shell- Studie alle drei bis fünf Jahre Menschen zwischen 12 und 25 Jahren befragt. Die jüngste Befragung von 2558 Jugendlichen fand im Frühjahr statt.

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