Servus Deutschland – Wir sind dann mal weg
MÜNCHEN - Aus Deutschland wandern soviele Menschen aus wie seit 120 Jahren nicht mehr. Es gehen vor allem Jüngere und gut Qualifizierte, warnen Experten – eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit .
Was Markus Neuer öfter vermisst, ist das deutsche Brot. „Darauf habe ich immer ’mal wieder Lust“, sagt der 32-Jährige. „Oder auf eine Pizza. Die bekommt man hier in Laos auch nur sehr schwer, vor allem auf dem Land.“
Im Jahr 2004 hat Neuer Deutschland den Rücken gekehrt. Seitdem lebt er in dem südostasiatischen Staat. Mit anderen deutschen Auswanderern hat er freilich nicht nur die gelegentliche Sehnsucht nach deutschen Backwaren gemein. Neuer ist jung, als studierter Sonderschulpädagoge gut ausgebildet – und voller Tatendrang. Alles Merkmale, die auf immer mehr Deutsche zutreffen, die ihre Heimat verlassen – aus Frust über Bürokratie, hohe Steuern und Abgaben, schlechte Berufschancen.
„Jeden Tag verliert Deutschland ein ganzes Dorf“
„Es ziehen verstärkt gut ausgebildete Leute im besten Alter aus Deutschland fort“, stellt Holger Kolb fest, Experte beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration. Und es werden stetig mehr. Noch 2003 gingen 127.000 Deutsche ins Ausland, 2008 waren es 175.000 – Tendenz steigend. Die Zahl der Auswanderer habe „Dimensionen erreicht, wie seit 120 Jahren nicht mehr“, schreibt das „Handelsblatt“ und klagt: „Jeden Tag verliert Deutschland ein ganzes Dorf.“
Dass die Deutschland-Flüchtigen dabei ihre neuen Zelte in exotischen Ländern wie Laos aufschlagen, ist die Ausnahme. Die höchsten Zuwachsraten an deutschen Auswandern verzeichnen Staaten, in denen Hochqualifizierte gute Jobs für gutes Geld finden: Die Schweiz, USA, Österreich, Großbritannien, Kanada oder Australien.
In die Schweiz etwa sind 2008 fast 3100 deutsche Ärzte abgewandert. Aber auch Ingenieure oder Geisteswissenschaftler zieht es ins zahlungskräftige Nachbarland. „Hier kassiert der Staat nur ein Zwölftel des Monatsgehalts an Steuern“, sagt der Münchner Adrian Itschert. Seit 2003 arbeitet der Soziologe an der Uni Luzern.
Neue Existenz mit 40 Mitarbeitern
Zurück nach Deutschland will er nicht mehr. Auch das ein Merkmal, das immer öfter auf Auswanderer zutrifft: „Früher kehrten sie öfter wieder zurück“, sagt Migrations-Experte Kolb – und brachten dabei neue Qualifikationen, neues Wissen mit. „Heute dagegen steigt die Zahl der Abwanderer, die der Rückkehrerer sinkt“, so Kolb. Die Folge: Langfristig dünnt sich das Qualifikationspotenzial Deutschlands aus. „Ein schleichender Prozess“, meint Kolb, „der die Wettbewerbsfähigkeit des Landes in Frage stellt.“
Auch Markus Neuer will nicht zurück. Er hat sich in Laos eine neue Existenz aufgebaut, leitet eine Reise-Firma mit 40 Mitarbeitern. An die Widrigkeiten mit dem Essen hat er sich gewöhnt. Nicht nur beim fehlenden Brot: „Zuerst hatte ich echt Probleme mit der scharfen Chili-Küche. Aber das geht nun auch.
A. Jalsovec/H. Muth
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